Alain Delon: Ein Mann und sein Vogel

Alain Delon ist tot: Ein Rückblick auf den Film, der ihn zu dem machte, was er war

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 5 Min.
Verblüffenderweise hatte er nicht nur im Film einen Vogel: Alain Delon in »Le samouraï«, 1967
Verblüffenderweise hatte er nicht nur im Film einen Vogel: Alain Delon in »Le samouraï«, 1967

Alain Delon – so heißt die Erfindung eines als Jean-Pierre Grumbach geborenen Regisseurs und Studiobesitzers. Grumbach sagte, er sei erstens Jude, zweitens Elsässer, drittens Franzose, viertens einsam; Juden seien ohnehin einsam. Er hatte in der Résistance aus Verehrung für den neben Edgar Allan Poe und Emily Dickinson größten US-amerikanischen Schriftsteller, Herman Melville, dessen Namen angenommen. Der Film, in dem der jüdisch-elsässisch-französische Melville den Delon erfand, heißt »Le samouraï« (Der Samurai, 1967) und handelt von der Einsamkeit. Der deutsche Verleih gab ihm den albernen Titel »Der eiskalte Engel«.

Delon war wegen seiner außergewöhnlichen Schönheit schon vor seiner Zusammenarbeit mit Melville beliebt, ja, bekleidete Hauptrollen in Filmen von Luchino Visconti oder Michelangelo Antonioni. Doch im Ernst erinnert man sich an ihn nur noch in dieser einen Rolle, der noch zwei weitere, ähnliche bei Melville folgen sollten (»Vier im roten Kreis«, 1970; »Un flic/Der Chef«, 1972).

Dass seine Filme Tragödien sind, sei, sagte Melville, schon daran zu erkennen, dass ihre Helden von Anfang an Tote sind, wandelnde Tote. Wir sehen zu Beginn von »Le samouraï« ein hohes, halbdunkles Totengemach mit zwei Fenstern. Genau zwischen den Fenstern ist ein Vogelkäfig aufgebaut, auf den Licht von draußen fällt. Aus dem Käfig dringt das klägliche Piepsen eines Vogels, wir hören Autos, die auf nassem Asphalt vorüberfahren. Erst weil er sich eine Zigarette entzündet, fällt ein vorher regungsloser Mann auf einer Chaiselongue auf. Der Rauch fängt einen Rest Tageslicht ein.

Ein Motto aus dem »Buschido«, dem Kodex der Samurai, wird eingeblendet: »Es gibt keine tiefere Einsamkeit als die des Samurai – es sei denn, vielleicht, die des Tigers im Dschungel.« Das Zitat ist frei erfunden, denn die Samurai waren alles andere als einsam, sondern gehörten einem äußerst streng geführten feudalen Orden an. Aber wie sich bald herausstellen wird, haben wir es in diesem Film ohnehin nicht mit einem Samurai, sondern mit einem Ronin zu tun, also einem herrenlosen und entrechteten Kämpfer, der die alten Rituale kennt und einhält, aber sich auf eigene Faust durchschlagen muss. Jef Costello, so heißt der Ronin dieses Films, ist ein Auftragskiller.

Eine weitere Einblendung gibt das Datum an: »Samstag, 4. April, 6 Uhr abends«. Naheinstellung auf ein Bündel in der Mitte zerschnittener 500-Franc-Scheine; ein Vorschuss, ein Auftrag. Der Mann, es ist Delon in Anzug, weißem Hemd und Krawatte, drückt die Zigarette aus, erhebt sich, streift lässig mit den halben Scheinen am Gitter des Käfigs entlang. Die Kamera folgt ihm, während er den Vorschuss im kalten Kamin versteckt. Er knöpft sich das Jackett zu, streicht sich über den Nacken, zieht vor einem Spiegel seinen Trenchcoat an, setzt seinen Borsalino auf, mustert sich aufmerksam, streift ein wenig selbstverliebt über die Krempe des Huts und verlässt die Wohnung.

Die Szene kehrt fast identisch wieder, und nicht nur, um eine Routine, sondern auch, um einen Abschied festzuhalten. Denn am Ende schaut Jef, bevor er aus der Tür geht, noch einmal in die Wohnung, auf den Vogelkäfig. Er scheint zu wissen, dass er nicht zurückkehren wird.

Ganz ähnliche Szenen finden sich »Bob le flambeur« (Drei Uhr nachts, 1956) oder in »Armee im Schatten« (1969). Auch in diesem letzten Film, dem wohl besten von Melville, schaut Lino Ventura noch einmal ins Zimmer zurück, bevor er es verlässt, aber Delon war für genau diesen ikonischen Moment eindeutig die Idealbesetzung. Denn ein Auftragskiller hat gewöhnlich andere Sorgen als die, ob sein Hut richtig sitzt. Man stellt ihn sich von Schlägerei, Knast und Suff gebeutelt, nicht als einen hübschen Jüngling vor.

Delons Eleganz vollendete zwar die Stilisierung, aber widersprach zugleich dem Klischee, ja, mischte etwas Ironie bei. Melville gewann aus Dutzenden US-amerikanischen Filmen der »Schwarzen Serie« ein Destillat, doch verlieh er ihm überall etwas Verfeinertes; in diesem Fall, indem er den Killer eben nicht von einem heimischen James Cagney oder Humphrey Bogart, etwa von Ventura, sondern eben von Delon spielen ließ.

War das bloß ein Film über Filme, eine Stilübung, eine Reverenz an Hollywood? Sicherlich nicht. Als »Le samouraï« in Deutschland herauskam, schrieb Uwe Nettelbeck (»Die Zeit«, 28/1968), Jefs Gegenspieler seien weder seine Auftraggeber noch die Polizisten, sondern es sei »der Apparat des Kapitals«. Melvilles Figuren, ob sie auf der Seite des Staates stünden oder nicht, dienten allesamt diesem Apparat, auch wenn sie ihn zu bedienen, also zu steuern, meinten. So werde auch das sonst beruhigende »moralische Gefälle zwischen Guten und Bösen« aufgehoben. Dass Melville die Polizei in allen seinen Filmen so unbarmherzig zeichnete, mag aber auch seine Erfahrungen in der Résistance spiegeln.

Delon schien nach diesem Film dazu verdammt, zu einem Jef Costello zu werden – erst recht im Alter, als er, von der Welt zurückgezogen, mit seinen Tieren lebte. Er trat gelegentlich mit Tiraden, etwa gegen die »widernatürlichen« Schwulen, hervor und gestand gern, dass ihn mit dem Paten des französischen Faschismus, Jean-Marie Le Pen, eine jahrzehntelange Freundschaft verbinde. Le Pen selbst sagte, er und Delon seien halt »Patrioten, Leute, denen Frankreich, dessen Vergangenheit und Armee« nicht gleichgültig seien. Immer wenn er den Schauspieler treffe, lägen sie sich in den Armen wie Brüder – nicht wie warme, natürlich.

Nachdem Delon am Sonntag im Alter von 88 Jahren verstorben ist, würdigte ihn vor allem die extreme Rechte. Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal sprach fast verliebt vom »stählernen Blick« des Mannes. Er sei ein »Mann mit großem M«; ein echter Kerl, ergänzte Éric Ciotti, der vor den Wahlen zur Nationalversammlung die Gaullisten auf die Seite der Le-Pen-Partei hatte putschen wollen. »Als ehrlicher Patriot und Rechter«, so Ciotti weiter, habe Delon »stets eine bestimmte Vorstellung von Frankreich vertreten«. Man ahnt, welche. Verblüffenderweise hatte Alain Delon nicht nur im Film einen Vogel.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal