Werbung

Neues Staatsangehörigkeitsrecht: Gebt die deutschen Pässe raus!

Ein neues Gesetz macht es leichter, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Nathaniel Flakin findet, dass jede*r die gleichen Rechte verdient

Demokratie – Neues Staatsangehörigkeitsrecht: Gebt die deutschen Pässe raus!

Am 27. Juni ist das neue deutsche Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft getreten, das einige wichtige Verbesserungen für Ausländer*innen mit sich bringt. So kann der deutsche Pass bereits nach fünf statt acht Jahren beantragt werden, und die doppelte Staatsbürgerschaft wird nun generell akzeptiert. Mit diesem Gesetz, das von der selbsternannten »Fortschrittskoalition« aus SPD, Grünen und FDP verabschiedet wurde, ist Deutschland einen kleinen Schritt weg von einer »Blut und Boden«-Ideologie und hin zur Moderne gegangen.

Einige Konservative und Rechtsextreme meinen nun, dass deutsche Pässe praktisch im Ausverkauf verschenkt würden: Alexander Dobrindt von der bayerischen CSU sprach von »verramschen«, während andere CSU-Politiker schrieben, den deutschen Pass müsse man sich »verdienen«.

Selbst in meinen Kreisen habe ich gehört, dass Liberale sich fragen, ob fünf Jahre nicht zu schnell seien. Es ist immer seltsam, in solchen Gesprächen der einzige Ausländer zu sein. Verdienen alle Einwanderer volle Rechte? Natürlich meinen sie nicht mich – sie denken an andere, »gefährliche« Einwanderer.

Red Flag

»Red Flag« ist eine Kolumne über Berliner Politik von Nathaniel Flakin. Sie erschien von 2020 bis 2023 im Magazin »Exberliner« und fand ein neues Zuhause bei der Zeitung »nd« – als deren erster Inhalt, der auch auf Englisch zu finden ist. Nathaniel ist auch Autor des antikapitalistischen Reiseführers Revolutionary Berlin.

Read this column in English.

In unserer durch kapitalistische Nationalstaaten organisierten Welt hängen die grundlegendsten Rechte eines Menschen davon ab, dass ein Staat bereit ist, einen anzuerkennen. Keine Staatsbürgerschaft an dem Ort zu haben, an dem man lebt, bedeutet, dass man sich in seinem Zuhause nicht immer wirklich sicher fühlen und seine Meinung nicht so äußern kann, wie es andere können. Wissen die meisten Menschen, wie sich das anfühlt?

Ich gehörte zu der Gruppe von Amerikaner*innen, die vor fast zehn Jahren durch eine Gesetzeslücke die doppelte Staatsbürgerschaft erhielten. Davor habe ich viele Jahre ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Deutschland verbracht. Und auch wenn ich keine allzu große Diskriminierung erlebt habe, ist es doch eine enorme Belastung, zu wissen, dass ein gesichtsloser Bürokrat einen mit einem Federstrich aus seiner Wahlheimat vertreiben könnte.

Ich frage mich oft: Was genau haben diese rechten Politiker*innen getan, um sich ihren eigenen Pass zu »verdienen«, und zwar genau an dem Tag, an dem sie geboren wurden? Die Vorstellung, dass die Rechte eines Menschen vom Zufall der Geburt abhängen sollten, halte ich für Rassismus schlechthin. Um den Rassismus etwas weniger offensichtlich zu machen, ist dann die Rede von der »Anerkennung unserer Werte«, als ob Einwanderer eine Bedrohung für die Demokratie darstellen würden. Wie »nd« berichtet hat, arbeiten die deutschen Behörden emsig daran, Menschen abzuschieben, die an Demonstrationen gegen die deutsche Unterstützung für Israels Krieg in Gaza teilgenommen haben und des »Antisemitismus« beschuldigt werden.

Das alles ist eher fragwürdig, wenn es von der CSU kommt, die derzeit mit Hubert Aiwanger koaliert, der in eine Affaire um ein antisemitisches Flugblatt verwickelt war (für das sein Bruder die Verantwortung übernahm). Tatsache ist: Weiße Deutsche scheinen viel eher dazu zu neigen, den sogenannten Extremismus zu unterstützen als Einwanderer. In Deutschland leben Tausende gewalttätige Nazis, und ich habe noch nie gehört, dass jemand gefordert hätte, sie nach Afghanistan abzuschieben. (Wer würde sie überhaupt aufnehmen?)

Ein einfacher Weg, die AfD zu bekämpfen, wäre es, allen in Deutschland lebenden Menschen das Wahlrecht zu geben. Im Moment können 23 Prozent der Erwachsenen in Berlin nicht wählen. Können wir wirklich von einer Demokratie sprechen, wenn so viele Menschen, die in Deutschland leben, ausgeschlossen sind, weil sie nicht die richtige Staatsbürgerschaft haben?

Auch auf die Gefahr hin, als gefährlicher Extremist bezeichnet zu werden, bin ich der Meinung, dass absolut jede*r die gleichen demokratischen Grundrechte verdient. Das neue Staatsangehörigkeitsrecht macht die Dinge ein bisschen weniger undemokratisch. Aber letztendlich bedeutet Demokratie, dass jede*r das gleiche Recht auf Mitsprache hat. Also ja, gebt auf jeden Fall die deutschen Pässe raus.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.