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Die Liebe für Bobby
Die Sängerin Cat Power ist vor allem mit dem Repertoire anderer bekannt geworden. Jetzt kommt sie auf Deutschland-Tour
Ich hatte nie einen Lieblingskünstler – abgesehen von Bob«, hat Cat Power einmal dem »Guardian« erzählt. »Nie zuvor habe ich einen Mann gehört, der so beschützend über Frauen singt.«
Geborgenheit und Sicherheit sind Grundbedürfnisse, die, das lässt sich aus der Distanz mit einer gewissen Sicherheit behaupten, die Sängerin, Gitarristin und Komponistin Cat Power alias Charlyn Marshall in ihrer Kindheit nicht immer erfahren hat.
Marshall, die von allen nur »Chan« gerufen wird, wird 1972 in Atlanta geboren. Die »Welt« behauptete jüngst, das Mädchen wäre bei der Großmutter aufgewachsen, weil ihre »Hippie-Eltern« mit dem Baby überfordert gewesen seien – die Wahrheit dürfte komplexer sein. Die Bezugspersonen in Marshalls Kindheit wechseln offenbar häufig. Prägende Figuren sind neben der Oma ihr Stiefvater mit seiner großen Plattensammlung. Die Mutter liebt David Bowies Ziggy-Stardust-Alias so sehr, dass sie sich »Ziggy« nennt und die Haare rot färbt. Der Vater singt in einer Band.
Mit 16 kauft sich Chan eine E-Gitarre. Das Instrument steht jahrelang ungenutzt in der Ecke. »Ständig versprachen irgendwelche Typen, dass sie es mir beibringen würden. Nach ein paar Jahren würde ich dann halbwegs passabel spielen können«, erinnert sich Marshall im Gespräch mit dem »Guardian«. »Eines Nachmittags probierte ich das Ding dann selbst aus und dachte: ›Das ist echt nicht so schwer.‹«
Der Mann, den die Künstlerin so zärtlich »Bob« nennt, ist da schon in ihrem Leben, sie entdeckt ihn in der LP-Sammlung des Stiefvaters: Robert Allen Zimmerman alias Bob Dylan. Marshalls Karriere hat jedoch zunächst wenig mit dessen Folk-Platten zu tun; sie tobt sich in der Punk- und Experimentalszene von Atlanta aus. »Alkohol war ein Teil meiner Erziehung«, gibt sie später in typischer Freimütigkeit zu Protokoll. »Als ich nach New York City kam, hatte ich das Gefühl, etwas überlebt zu haben.«
1992 zieht Chan Marshall in den Big Apple, auf einer Basecap entdeckt sie die Aufschrift »Cat Diesel Power« und nennt sich von nun an Cat Power. Zwei Jahre später nimmt sie im Stadtteil Chinatown ihre ersten beiden Alben in einem Rutsch auf. Ihre Songs klingen, als wären sie »im Mondlicht auf einer wackeligen Veranda im tiefen Süden während einer ›dark night of the Soul‹ geschrieben worden«, wie ihre Biografin schreibt. Cat Powers viertes Album »Moon Pix« erscheint 1998, ein verwundbares, rohes, großartiges Werk.
Die Lobeshymnen der Kritik bekommen der Künstlerin schlecht. »Ich fühlte mich in meinem Körper nicht wohl, hatte Depressionen.« Sie traut sie sich nur noch auf die Bühne, wenn sie Whiskey und Tabletten intus hat. Cat Power spielt Solo-Konzerte, das Repertoire besteht aus Coverversionen: Rolling Stones, Velvet Underground, und natürlich Bob Dylan. Die Songwriting-Künste der Vorbilder sind ihre Rettung, im zweifachen Sinne: Sie bauen ihr angeschlagenes Selbstwertgefühl auf, und sie helfen ihr, den nächsten Karriereschritt zu gehen.
»The Covers Record« erscheint im Jahr 2000. Es ist bis heute ihr erfolgreichstes Album, Cat Powers erstes von mehreren Alben mit reinem Fremdrepertoire. Bob Dylan ist immer präsent, selbst in ihren eigenen Songs: »Song to Bobby« ist ihre Liebeserklärung an den großen Singer/Songwriter: »I wanna tell you… What I feel in my heart from the beginning ’til my dying day.«
Am oft als krächzig empfundenen Gesang des späteren Nobelpreisträgers hat sie sich nie gestört: »Ich liebe den Kerl einfach. Wenn ich seine Songs höre, fällt mir nie auf, dass seine Stimme irgendwie schlecht klingt. Mir fällt auf, dass seine Texte Spaß machen.«
Im Jahr 2022 bekommt die Künstlerin, inzwischen um mehrere Top-20-Alben reicher, einen Anruf. Innerhalb kürzester Zeit muss sie sich entscheiden, ob sie in der ehrwürdigen Londoner Royal Albert Hall spielen will. »Fuck, yeah! But only Dylan!«, sei ihr erster Impuls gewesen. »Lasst uns etwas Schönes, Elegantes machen. Keine Improvisation, keine verdammte Dekonstruktion. Lasst es uns echt und einfach machen.«
Im November 2022 führen Cat Power und ihre sechsköpfige Band ein komplettes Konzert erneut auf, Song für Song: Bob Dylans »Royal Albert Hall Concert« aus dem Jahre 1966. Der Name stammt von einem falsch beschrifteten Bootleg (die Aufnahme stammt tatsächlich aus Manchester). Ein legendärer Live-Mitschnitt, weil Dylan hier erstmals an der E-Gitarre zu hören war.
Cat Power spielt alle 15 Songs von damals, erst akustisch, dann elektrisch, in derselben Reihenfolge. Sogar die berühmte »Judas«-Beleidigung, die Dylan ereilte, weil er mit den puristischen Folk-Traditionen gebrochen hatte, ist aus dem Publikum zu hören.
Die Sängerin übertreibt es nicht mit der Werktreue, zum Glück. »She Belongs to me« singt sie aus der Ich-Perspektive: »I’ve got everything I need/I’m an artist/I don’t look back«.
Das Harmonika-Spiel des damals 24-jährigen Dylan wirkt geradezu dürftig im Vergleich zu dem der 50-jährigen Cat Power; bei ihr ist es tiefempfunden, dem Blues würdig, dazu faucht die Hammond-Orgel, Marshalls langjähriger Mitstreiter Erik Paparazzi lässt seine Gitarre aufjaulen.
Nachzuhören ist das auf dem Ende 2023 als Album erschienenen »Cat Power Sings Dylan«.
2024 bereist Cat Power die Welt, für drei Konzerte in Hamburg, Halle (Saale) und Dortmund kommt sie Ende dieses Monats auch nach Deutschland. Fast das ganze Jahr lang ist sie auf Tournee, und spielt dabei nichts anderes als Dylan. Was diese Konzerte so einzigartig macht, ist ihre Stimme. Charakteristisch tief und rau, weniger selbstbewusst als das Original, zärtlich, fast brüchig. Der größte Unterschied: Jeder Ton sitzt.
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