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Lebenserwartung je nach Einkommen
Neue Studien zeigen Zusammenhang mit sozialer und regionaler Ungleichheit
Rund eine Million Menschen sind im vergangenen Jahr in Deutschland gestorben. Immerhin ist die Zahl der Todesfälle erstmals seit 2016 wieder gesunken – um 3,6 Prozent, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden am Mittwoch mitteilte. Und noch eine gute Nachricht: Mehr als die Hälfte der verstorbenen Frauen und fast ein Drittel der verstorbenen Männer waren 85 Jahre alt und älter. Summa summarum ist erstmals seit der Covid-Pandemie auch die Lebenserwartung wieder gestiegen, und zwar bei beiden Geschlechtern – sie liegt nun für Frauen bei 83,3 Jahren und für Männer bei 78,6 Jahren.
Hinter diesen Durchschnittswerten verbirgt sich allerdings ein Phänomen: die Ungleichheit. Wer besser verdient, lebt länger und ist gesünder. Bei Männern zeigt sich dies beim individuellen Einkommen, bei Frauen hingegen erst über das Haushaltseinkommen. Der Grund: Sie unterbrechen häufiger ihre Erwerbskarriere und arbeiten mehr in Teilzeit. Allerdings wohnen Frauen aus höheren sozioökonomischen Schichten tendenziell auch mit Männern zusammen, die ein höheres Einkommen haben – und damit deren Partnerinnen eine höhere Lebenserwartung.
Das sind Ergebnisse aus aktuellen Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Dafür haben die Berliner Ökonomen unter anderem berechnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für unterschiedliche Einkommensgruppen ist, bereits im Alter von 55 bis 76 Jahren zu sterben. Grundlage sind Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), der wichtigsten repräsentativen Wiederholungsbefragung von Privathaushalten in Deutschland, für die Jahre 1984 bis 2021.
Daraus konnten die Wissenschaftler auch einen Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesundheit ableiten: Mit steigendem Einkommen sind Frauen wie Männer psychisch und physisch besser drauf. Damit nicht genug, sind »Besserverdiener« obendrein noch glücklicher. »Es wird deutlich, dass das Einkommen nur eine Dimension von sozialer Ungleichheit erfasst«, erläutert Studienautor Peter Haan. »Weitere Ungleichheiten bestehen in der Lebenserwartung und der mentalen und physischen Gesundheit«, so der Experte für empirische Wirtschaftsforschung.
»Es wird deutlich, dass das Einkommen nur eine Dimension von sozialer Ungleichheit erfasst.«
Peter Haan DIW-Berlin
Phänomene, die sich zugleich auf die Rente auswirken. Ein Grundpfeiler dieser Alterssicherung ist nämlich das sogenannte Äquivalenzprinzip: Die Höhe der Rente hängt von der Höhe der eingezahlten Beiträge ab. Dahinter steht die Annahme des Gesetzgebers, dass sich die Lebenserwartung innerhalb eines Jahrgangs nicht nach Einkommen unterscheidet. Was das DIW widerlegt. Somit unterläuft die einkommensabhängige Lebenserwartung das Äquivalenzprinzip. »Vereinfacht könnte man sagen: Bei der Rente wird teilweise von unten nach oben umverteilt«, meint Haan. Wer früh stirbt, hat zwar eingezahlt, kriegt aber wenig raus – wer lange lebt, kriegt mehr raus. Die Politik sollte daher niedrige Rentenansprüche aufwerten, fordert das DIW.
Die Lebenserwartung hat außerdem Bedeutung für die Sozialversicherung. Menschen mit niedrigem sozialen Status und niedrigem Einkommen werden häufiger krank und beziehen häufiger Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung. Diese Risiken sammeln sich in den gesetzlichen Krankenkassen, wodurch dort die Beiträge steigen. Dagegen sind Menschen mit höherem Einkommen eher in der privaten Krankenversicherung und benötigen weniger Gesundheitsleistungen.
Die DIW-Daten, die Ergebnisse internationaler Studien bestätigen, belegen, dass auch in Deutschland Menschen in sozioökonomisch benachteiligten Wohngegenden früher sterben als Menschen in wohlhabenden Gegenden. Dem ist auch ein Team unter Federführung des Robert-Koch-Instituts (RKI) auf den Grund gegangen. Es zeigt sich, dass die Lebenserwartung zwischen benachteiligten und wohlhabenden Regionen in Deutschland heute noch weiter auseinanderklafft als vor zwanzig Jahren. Eine Entwicklung, die sich bereits vor Corona abzeichnete und in der Pandemie verschärfte.
Regionen mit hoher Sterblichkeit befinden sich überwiegend in ländlichen Gebieten im Norden und Nordosten Deutschlands. Weitere Schwerpunkte sind vom wirtschaftlichen Strukturwandel betroffene Regionen der alten Bundesländer, etwa im Ruhrgebiet. »Die Studienergebnisse machen deutlich, dass die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ein wichtiges Handlungsfeld ist, um die gesundheitliche Chancengleichheit zu verbessern«, schreiben die RKI-Forschenden.
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