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Berliner Polizei setzt umstrittene Gesichterkennungssoftware ein

Datenschützer und Opposition kritisieren den Einsatz der umstrittenen Systeme scharf

Alles im Blick: Überwachungsanlage an einem S-Bahnhof
Alles im Blick: Überwachungsanlage an einem S-Bahnhof

Die Berliner Polizei hat in insgesamt sechs Fällen umstrittene Gesichtserkennungssoftware eingesetzt. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage des Grünen-Abgeordneten Vasili Franco hervor. Demnach fanden die Einsätze nicht in Berlin selbst, sondern »im Rahmen der Amtshilfe in Brandenburg und Sachsen« statt. Ziel der Maßnahmen waren insgesamt 31 Verdächtige, die mit bandenmäßigem Diebstahl in Verbindung gebracht werden.

»Die Systeme werden zum Zweck der Identifizierung und zur Aufhellung von Fluchtrouten sowie von bei der Tat genutzten Wegen bekannter Tatverdächtiger eingesetzt«, heißt es in der Senatsantwort. Die Ermittlungsmaßnahmen wurden demnach von Ermittlungsrichtern genehmigt. Geld sei für die Amtshilfe aus Sachsen und Brandenburg nicht geflossen. Eigene Gesichtserkennungssysteme anzuschaffen, plant der Senat laut eigener Aussage nicht.

Bereits im April war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Berlin in zwei Verfahren Gesichtserkennungssoftware eingesetzt hatte. Auch in diesen Fällen ging es um Bandenkriminalität. »Dabei handelt es sich um ein System von fest installierten sowie mobil auf Kraftfahrzeugen betriebenen Kameras, welche Bilder von Personen und Fahrzeugen erstellen und untereinander biometrisch abgleichen«, hieß es damals in einer Antwort auf eine AfD-Anfrage.

Der Schluss liegt daher nahe, dass es auch in den nun bekannt gewordenen Fällen um ein Gesichtserkennungssystem geht, das von der sächsischen Polizei entwickelt wurde. Diese verfügt über hochauflösende Kameras, die in parkenden Fahrzeugen oder Immobilien versteckt werden können. Das Software-System gleicht die Aufnahmen anschließend mit einer Referenz-Datenbank ab, in der Gesichter und Kennzeichen gesuchter Personen und ihrer Fahrzeuge gespeichert sind.

Dass das Gesichtserkennungssystem auch in Brandenburg eingesetzt wird, war dagegen bislang noch nicht bekannt. Man äußere sich grundsätzlich nicht zu Antworten anderer Landesregierungen auf schriftliche Anfragen, erklärte ein Sprecher des Brandenburger Innenministeriums auf Anfrage von »nd«.

»Diese Systeme sollten am besten gar nicht eingesetzt werden«, sagt Simone Ruf. Die Juristin arbeitet für die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die sich für den Schutz von Privatssphäre und Freiheitsrechten einsetzt. »Aus grundrechtlicher Perspektive ist Gesichterkennungssoftware hochproblematisch.« Anonymität im öffentlichen Raum gehe dadurch verloren. Die Gesichtserkennung könne einen »abschreckenden Effekt« aufbauen, der Menschen einschüchtere, etwa an Demonstrationen teilzunehmen. »Viele Menschen haben ein Interesse, dass der Staat nicht weiß, an welchen Versammlungen sie sich beteiligen«, sagt Ruf. Das betreffe auch Journalisten, die sich im öffentlichen Raum mit anonymen Quellen treffen wollen.

Ein derart weitreichender Einsatz sei in Deutschland zwar bisher nicht dokumentiert – aber die technischen Möglichkeiten dafür seien offenbar schon vorhanden. »Das Risiko ist hoch, dass die Software am Ende für alles Mögliche eingesetzt wird.« Zudem seien die Systeme massiv fehleranfällig und identifizierten regelmäßig Personen falsch.

»Das ist ein großer Schritt in eine dystopische Zukunft.«

Matthias Marx Chaos Computer Club

»Ein großer Schritt in eine dystopische Zukunft« sei der Einsatz von Gesichtserkennungssystemen, sagt auch Matthias Marx von der Hackervereinigung Chaos Computer Club. Er führt zurzeit selbst mehrere Klagen gegen den Einsatz einer Gesichtserkennungssoftware. »Die breite Öffentlichkeit wird überwacht«, kritisiert er. Zwar existierten bereits viele Videokameras im öffentlichen Raum. Doch Gesichtserkennung sei »eine neue Dimension«.

»Es wird eine neue Form des Trackings möglich«, sagt Marx. Auf Basis der Gesichtserkennung könnten Bewegungsprofile erstellt werden, die ermöglichen, alle Personen im öffentlichen Raum nachzuverfolgen. Man wisse, dass sich diese Form von Überwachung auf das Verhalten der Beobachteten auswirkt. »Man versucht, sich unauffällig zu verhalten«, sagt Marx. Dieser »Chilling-Effekt« schränke die freie Persönlichkeitsentfaltung im öffentlichen Raum ein.

Ruf kritisiert, dass keine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware vorliege. »Es gab nie eine parlamentarische Auseinandersetzung zu dieser Frage«, sagt sie. Im Ampel-Koalitionsvertrag auf Bundesebene lehnten die Regierungsparteien den Einsatz solcher Software ab. Die Polizei schaffe mit dem Einsatz Tatsachen. »So funktioniert der Rechtsstaat nicht«, sagt Ruf. »In einer Demokratie muss das diskutiert werden.«

»Der Senat muss gegenüber dem Parlament transparent machen, dass er auch bei der Bekämpfung von Bandenkriminalität nach Recht und Gesetz handelt«, kommentiert Vasili Franco, der die Anfrage an den Berliner Senat gestellt hatte. »Fatal wäre ein möglicher rechtswidriger Datenmissbrauch von unbeteiligten, aber betroffenen Personen.«

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