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Mückenalarm in Lateinamerika
Das Dengue-Fieber breitet sich durch den Klimawandel vor allem in Lateinamerika rasant aus
Die Schlafsäle im Hospital Roosevelt in Guatemala-Stadt sind völlig überfüllt. Ein Mann auf Krücken ist wütend, weil er für eine Röntgenaufnahme mehr bezahlen soll, als er in einer Woche als Tagelöhner verdient. Eigentlich sollten die Diagnosen und Therapien der öffentlichen Krankenhäuser in Guatemala kostenlos sein. Doch letztlich resignieren alle und fügen sich der Willkür des staatlichen Gesundheitssystems.
Besonders eng ist es in den Räumen der Notaufnahme für Kinder. Der Familienvater Luis Hernández ist froh und dankbar, dass sein elfjähriger Sohn trotz der offensichtlichen Mangelsituation besondere Aufmerksamkeit bekommt: »Es begann mit starken Bauchschmerzen. Wenig später bekam er hohes Fieber. Wir haben ihn ins Gesundheitszentrum gebracht. Dort wurde uns gesagt, er müsse ins Krankenhaus. Auf dem Weg hierher begann er, heftig aus der Nase zu bluten. Die Ärzte sagen, er habe hämorrhagisches Dengue-Fieber.«
Als der Junge aufgenommen wurde, hielt sich die Krankenschwester Raquel Calderón an das übliche Vorgehen bei Dengue-Patienten. Sie legte ihm eine Infusion in den Arm, um dem kleinen Körper eine Kochsalzlösung zuzuführen. »Zuerst denkst du: ›Da kommt noch ein krankes Kind mehr.‹ Aber mit der Zeit wurde es immer schlimmer. Er hörte nicht auf zu bluten und die Zahl der Blutplättchen sank immer weiter. Da begannen die Ärzte, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Er wurde ständig überwacht und bekam sowohl Plasma-Transfusionen als auch intravenöse Infusionslösungen.«
Dem Vater steht die Angst ins Gesicht geschrieben. »Erst gestern habe ich meinen älteren Sohn aus einem anderen Krankenhaus geholt. Er hatte dasselbe. Zu all dem kommen noch die wirtschaftlichen Probleme. Ich kann nicht arbeiten gehen, weil ich für die Jungs da sein muss. Meine Frau hat schon so lange am Krankenbett gesessen, dass ihre Beine angeschwollen sind.«
Mehr Ansteckungen
Wenn eine infizierte Mücke das Blut einer erkrankten Person saugt, vermehrt sich das Virus in ihrem Körper. Bei einem weiteren Stich wird der Erreger auf den nächsten Menschen übertragen. Heute gibt es weltweit achtmal mehr Ansteckungen mit dem Dengue-Virus als noch vor zwanzig Jahren. Aufgrund des Klimawandels überleben bestimmte Mückenarten auch in Orten wie Guatemala-Stadt auf 1500 Metern über dem Meeresspiegel.
»Wenn heute jemand von einer infizierten, weiblichen Mücke gestochen wird, dauert die Inkubation fünf bis sieben Tage«, erklärt der Kinderarzt Ricardo Menendez. »In dieser Zeit breitet sich das Virus im Körper des Infizierten aus. In der akuten Phase der Krankheit ist der Mensch fünf Tage lang ansteckend.«
Die meisten Dengue-Infektionen verlaufen mild. Aber wer im Hospital Roosevelt stationär aufgenommen wird, dessen Fall ist kompliziert. Doktor Ricardo Menendez arbeitet seit bald vierzig Jahren in dem Hospital. In den letzten Monaten hat er so viele Dengue-Fälle betreut wie nie zuvor. »Einer der Todesfälle war ein Junge, der in einem Lager für gebrauchte Autoreifen gearbeitet hat. Die Reifen sind ideale Brutstätten für Mücken. Der Junge hatte extreme Blutungen. Der Tod eines Achtjährigen ist ein harter Schlag, verheerend für die Psyche der Eltern.«
Luis Hernández vermutet, dass sich sein Sohn zu Hause infiziert hat. In der Hütte leben acht Personen in zwei Räumen. Das Armenviertel liegt keine zehn Kilometer von dem Hospital Roosevelt entfernt. »Unser Nachbar hat eine Wiese voller Müll«, sagt der Vater. »Von dort kommen viele Mücken rüber zu uns.«
Im Laufe der vergangenen Wochen hat sich fast die gesamte Familie mit dem Dengue-Virus infiziert. Für den Jungen ist es die erste Erfahrung in einem Krankenhaus. Er klagt: »Ich habe starke Bauchschmerzen. Auch meine Füße tun weh. Die Haut juckt, als ob ich eine Allergie hätte. Es kommt so viel Blut aus meiner Nase. Ich habe Angst, dass das schlimmer wird.«
Fast immer wird das Virus durch bestimmte Mückenarten von erkrankten Personen auf gesunde übertragen. Deshalb besteht in der Umgebung von Dengue-Patienten erhöhte Gefahr, sagt die Krankenschwester Raquel Calderón: »Von zehn Neueinweisungen, die morgens reinkommen, sind manchmal acht Patienten mit Dengue. Die meisten haben schon Nasenbluten und hohes Fieber. Wir halten die Leute intravenös hydriert. Ansonsten können die Ärzte nicht viel tun.«
Wegen der heftigen Gelenkschmerzen wird Dengue auch »das Knochenbrecher-Fieber« genannt. Raquel Calderón kennt sich aus mit den Symptomen. Sie selbst war auch schon infiziert. »Ich hatte schlimme Schmerzen. Die Knie taten mir sehr weh. Ich war immer müde. Der Erholungsprozess war quälend langsam.
Eine globale Gefahr
Weltweit sind vier verschiedene sogenannte Serotypen des Dengue-Virus bekannt. Bei einer ersten Infektion nehmen die meisten Betroffenen nahezu keine Symptome wahr. Danach sind sie in der Regel immun gegen diesen speziellen Serotyp. Doch wenn es zu einer zweiten Infektion mit einem anderen Serotyp kommt, kann das aufgrund einer verstärkten Immunantwort des Körpers zu schwereren Krankheitsverläufen und lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Werden dann keine Transfusionen verabreicht, liegt die Sterberate bei 15 Prozent.
Seit Kurzem gibt es zwei Dengue-Impfstoffe. Ihre Wirkung hält geschätzte fünf Jahre lang an. Allerdings reicht die Produktion bisher noch längst nicht, um die Ausbreitung des Virus effektiv durch Impfkampagnen eindämmen zu können.
Auch Covid-Fälle werden auf der Kinderstation behandelt. Ricardo Menendez vermutet, dass nicht einmal die Hälfte der guatemaltekischen Bevölkerung gegen Corona geimpft ist. Verlässliche Zahlen gibt es nicht: «Außerdem fehlt es häufig an Medikamenten, um die Patienten angemessen behandeln zu können.»
Ein Teil des Personals ist noch immer erschöpft von der Pandemie. Richtig Zeit zur Erholung gab es nie, denn die Herausforderungen des normalen Alltags in einer der gewalttätigsten Städte der Welt bestehen ja weiter. «Es gibt Krankenschwestern, die kämpfen jetzt genauso engagiert gegen Dengue, wie sie schon gegen Covid gekämpft haben,» sagt Ricardo Menendez. «Zudem kommen auch die Opfer von Schießereien in dieses Krankenhaus. Man denkt vielleicht, mit der Zeit gewöhnt sich das Personal an all das Leid. Aber nein. Wir sind ja auch nur Menschen und haben unsere Grenzen.»
Das Team der Kinderabteilung fragt sich: «Warum erkranken so viele Kinder an Dengue?» Früher hat es das nicht gegeben. Ricardo Menendez kennt eine Antwort. Er steht in Kontakt mit dem meteorologischen Institut in Guatemala. Das bezeichnet das Jahr 2023 als das bisher wärmstes seit Beginn der Aufzeichnungen. So lässt sich die rapide Zunahme der Dengue-Fälle erklären. «Früher gab es ab einer bestimmten Höhe über dem Meeresspiegel kein Dengue, weil die Mücken in diesen Temperaturen nicht überleben. Aber jetzt ist es wärmer geworden, sodass sie sich auch in diesen Gegenden wohlfühlen.»
Mücken mögen es heiß und feucht. Der Kinderarzt rechnet damit, dass es künftig auch im Hochland von Guatemala häufiger zu medizinischen Notlagen kommen wird. «Davon werden vor allem die Ärmsten betroffen sein, obwohl sie kaum etwas zum Klimawandel beitragen. Die durch die weltweite Industrieverschmutzung ausgelöste Klimakrise ist längst Realität. Wir erleben mehr Hitze, verheerendere Hurrikane und überbordende Flüsse.»
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass sich das Dengue-Fieber bald zu einem globalen Problem entwickeln könnte. In Guatemala spricht Ricardo Menendez schon von einem epidemischen Ausbruch: «Im letzten Monat hatten wir hier im Krankenhaus achthundert Patienten mit Dengue. Vier sind gestorben. Wir haben die WHO um Hilfe gebeten. Erst war es endemisch, jetzt epidemisch. Womöglich liegt das an einer Zunahme der tropischen Stürme, die den Boden feucht machen. Die vielen Pfützen sind ideale Brutstätten für die Mücken und ihre Larven.»
Über die Hälfte der Kinder in Guatemala gelten als unterernährt. Ihre geschwächten Körper sind besonders gefährdet. «Wir kümmern uns nicht ausreichend um die verschmutzte Umwelt, um Parasiten und Tuberkulose», schimpft der Kinderarzt. «Es wird mehr und schwerere Hitzewellen geben. Das führt zu einer Ausbreitung von Enterobacteriaceae wie Salmonella Typhi, Escherichia coli und Shigella. Diese Erreger verursachen schwere Krankheiten.»
Die Arbeitszeit der Krankenschwester Raquel Calderóns geht zu Ende. Sie zieht sich um, verabschiedet sich von ihren Kolleginnen und verlässt das Krankenhaus. Auf der Straße ruft sie ein Tuctuc herbei, ein Motorrad mit drei Rädern. Ihr Chef, Ricardo Menendez, macht sich Sorgen um seine Krankenschwestern: «Wir bekommen viel Unterstützung von Frauen, die in der Umgebung von Guatemala-Stadt leben. Manche sind in mehreren Krankenhäusern angestellt. Nur so können sie genug verdienen, um ihre Familien zu versorgen. Doch sie sind total überarbeitet und haben fast keine Zeit, ihre eigenen Kinder zu sehen.»
«Einer der Todesfälle war ein Junge, der in einem Lager für gebrauchte Autoreifen gearbeitet hat. Die Reifen sind ideale Brutstätten für Mücken.»
Ricardo Menendez Kinderarzt
Raquel Calderón erzählt von Kolleginnen, die um drei Uhr morgens in einen Bus steigen und erst drei Stunden später im Krankenhaus ankommen. «Das machen sie jeden Tag. Sie wohnen in abgelegenen Gegenden, wo es keine Möglichkeiten gibt, Geld zu verdienen. Schon gar nicht für Frauen.»
Die Krankenschwester steigt aus dem Tuctuc und überquert eine Fußgängerbrücke. «Dort drüben nehme ich einen Bus», sagt sie und zeigt auf eine Straßenecke, an der Dutzende Personen auf dem Asphalt stehen. Der schmale Bürgersteig bietet keinen Platz für eine ordentliche Haltestelle.
«Achtung», ruft Schwester Raquel. Sie ist jetzt hellwach. «Hier ist es sehr gefährlich. Du musst auf den Verkehr achten und auf die Leute, die Schlechtes im Schilde führen. Hier kommt es oft zu Überfällen, Diebstählen und Unfällen. Das macht Angst. Auch jetzt gerade ist es nicht sicher.»
Im nächsten Moment springt sie geschickt auf die Stufen eines Busses. Der bleibt nur einen kurzen Augenblick lang stehen, bevor er sich wieder mit einem riskanten Manöver in den Verkehr einordnet.
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