Eisenhüttenstadt: Wahlkampf hart wie Stahl

Eisenhüttenstadt ist nicht mehr das Land der roten Helga, die den Landtagswahlkreis einst gewann

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Beim Abstich von Roheisen im Stahlwerk von Eisenhüttenstadt
Beim Abstich von Roheisen im Stahlwerk von Eisenhüttenstadt

Die Schorfheide, wo sie wohnt, liegt rund 160 Kilometer von Eisenhüttenstadt entfernt. An die zwei Stunden dauert die Autofahrt, aber Katharina Slanina fährt diese Strecke dieser Tage immer wieder. Jede Woche ist sie dort, nächstes Mal diesen Sonntag zu einem Kaffeeklatsch mit Senioren. Die Landesvorsitzende der Linken tritt bei der Landtagswahl am 22. September in dem Wahlkreis an, zu dem Eisenhüttenstadt gehört. Für den Fall der Fälle hat sie bei einer Genossin, die ein Zimmer frei hat, einen Schlafplatz. Das Angebot hat Slanina bisher aber nicht in Anspruch genommen.

Dass Slanina in den Landtag einzieht, ist mehr als unwahrscheinlich. Das weiß sie auch selbst: »Da bin ich realistisch.« Darauf kommt es ihr aber nicht an. Sie hat sich extra nicht auf einen aussichtsreichen Listenplatz setzen lassen. Ihr Name ist auf der Landesliste ihrer Partei erst auf Position 18 zu finden.

An der Kandidatur im Wahlkreis 29 reizte sie aber die Aussicht einer Auseinandersetzung mit dem Landtagsabgeordneten Dennis Hohloch (AfD), dessen politische Positionen sie schrecklich findet. »Ich würde ihn gerne mal treffen und mit ihm diskutieren«, sagt Slanina. Bei Gesprächsrunden zum Beispiel bei der Volkssolidarität ist sie allerdings nur auf andere Kandidaten anderer Parteien getroffen und nie auf Hohloch.

Slanina hat den Eindruck, Hohloch mache lieber seine eigenen Veranstaltungen – etwa einen Jugendabend, zu dem eingeladen wird, wer keine Lust mehr auf linke Lehrer habe oder darauf, »ständig als Deutscher beleidigt zu werden, während deine ausländischen Mitschüler sich alles erlauben können«. Bei Bier und Bratwurst wolle man im Wahlkreisbüro in Eisenhüttenstadt »über die Dinge sprechen, über die ihr sonst nicht reden dürft«.

Dennis Hohloch erklärt übrigens, er habe bislang keinerlei Einladungen zu solchen Diskussionsrunden mit anderen Kandidaten erhalten.

Die 47-jährige Slanina hat sich nach eigenen Angaben »bewusst« für diesen Wahlkreis »mit seinen vielen Problemen und so viel Potenzial« entschieden. »Hier gibt es ’ne Menge Diskussionsbedarf rund um die aktuellen gesellschaftlichen Probleme«, meint sie. Es sei Zeit, die Lösung der Probleme anzugehen. So wie es heutzutage ist, gibt es Eisenhüttenstadt, das von 1953 bis 1961 Stalinstadt hieß, nur wegen seines Stahlwerks. Seit der Wende war die Zukunft des Betriebs immer mal wieder ungewiss. Von den einst 17 000 Beschäftigten sind nur noch 2700 übrig geblieben.

Stahl zu kochen, verbraucht viel Strom und verursacht damit angesichts der derzeitigen Energiepreise hohe Kosten. Der Konzern Arcelor Mittal hat sich auf den Weg gemacht, künftig klimaneutral zu produzieren. Die Aussichten könnten schlechter sein – und doch gibt es in der Bevölkerung Befürchtungen.

»Die Angst, dass dieses Stahlwerk zumacht und damit die Stadt stirbt, die spürst du an allen Ecken«, berichtet Landtagskandidatin Slanina. Auf ihren Wahlplakaten steht nicht von ungefähr die Forderung: »Gestern, heute, morgen – Stahl!« Von früher 50 000 ist die Einwohnerzahl auf nur noch 24 000 geschrumpft. Das Durchschnittsalter der hier lebenden Menschen steigt, weil die Jugend in den 90er Jahren wie vielerorts in Ostdeutschland mangels Perspektive nach Westen abgewandert ist, um überhaupt einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu finden. So erging es damals auch Mirko Böhnisch, der Ende der 80er Jahre Metallurge für Walzwerkstechnik gelernt hatte. Als er sich vom Wehrdienst zurückmeldete, wurde er auf Kurzarbeit null gesetzt, schulte um zum Hotelfachmann und ging für ein halbes Jahr nach Irland, kehrte aber in die alte Heimat und in den alten Beruf zurück.

2019 kandidierte Mirko Böhnisch für den Landtag. Es wäre zu schön gewesen, wenn endlich mal ein echter Proletarier zur Linksfraktion in Potsdam gestoßen wäre. Doch kurz vor der Wahl ahnte Böhnisch, wie es kommen würde, weil er Bodenhaftung hat und wusste, wie die Kollegen reden und denken: Kathleen Muxel (AfD) gewann den Wahlkreis mit 28 Prozent der Stimmen. Weil ihre Partei sich in den Meinungsumfragen nun wieder auf einem ähnlichen Niveau bewegt wie damals, müsste Dennis Hohloch diesen Erfolg der AfD am 22. September wiederholen können.

»Die Angst, dass dieses Stahlwerk zumacht und damit die Stadt stirbt, die spürst du an allen Ecken.«

Katharina Slanina Linke-Kandidatin

2014 hatte der Tierarzt und Ökobauer Andreas Gliese den Wahlkreis für die CDU geholt, nun tritt er als Einzelbewerber erneut an. Die CDU nominierte den Biologen Markus Zaplata, die SPD den Handelsfachwirt Björn Wotschefski. Die Grünen schicken den Werkstoffprüfer Ronny Böhme ins Rennen, die Freien Wähler den Ingenieur Thoralf Schapke.

»Mirko Böhnisch unterstützt mich. Den treffe ich regelmäßig«, freut sich Sozialistin Slanina. Denn der Name Böhnisch hat in Eisenhüttenstadt unter den Alteingesessenen immer noch einen guten Klang. Die wegen ihrer Haltung und ihrer Haarfarbe einst »rote Helga« genannte Mutter von Mirko Böhnisch hatte den Wahlkreis 2004 und 2009 gewonnen. Sie war 2014 drei Monate vor der damaligen Landtagswahl verstorben, bei der die Lehrerin im Alter von dann 67 Jahren aber sowieso nicht mehr angetreten wäre. Slanina nennt Eisenhüttenstadt und Umgebung ehemaliges »Helga-Böhnisch-Land«.

Bei der Landtagswahl 2004 hatten die Sozialisten brandenburgweit 28 Prozent erhalten, bei der Landtagswahl 2009 dann 27,2 Prozent. Von diesen Rekordergebnissen sind sie mittlerweile meilenweit entfernt. Sie müssen sich anstrengen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, was ihnen nach den jüngsten Umfragen gerade so gelingen könnte.

Auch in Eisenhüttenstadt weht ein anderer Wind als noch vor 15 oder 20 Jahren. 2009 war Dagmar Püschel (Linke) zur Bürgermeisterin gewählt worden, was ihr 2017 nicht wieder gelang. Aus Protest gegen die Misere wird heutzutage nicht mehr die Linke angekreuzt, sondern die AfD oder allenfalls noch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), dem landesweit 17 Prozent vorhergesagt werden. Direktkandidaten in den 44 Landtagswahlkreisen hat das BSW allerdings nicht aufgestellt, sondern nur eine Landesliste mit dem ehemaligen Sozialdemokraten Robert Crumbach an der Spitze und den ehemaligen Sozialisten Stefan Roth und Niels-Olaf Lüders auf den Plätzen drei und vier.

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