Geflüchtete von Festen fernhalten?

Brandenburger Landtag debattiert den Amoklauf von Solingen und seine Folgen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
AfD-Positionen übernommen? Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt (r.) im Landtag
AfD-Positionen übernommen? Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt (r.) im Landtag

Wenn AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt im brandenburgischen Landtag ans Rednerpult tritt, gießt er sich zunächst ein Glas Wasser ein. »Gluck, gluck«, ist deutlich zu vernehmen, weil das Glas immer nah am Mikrofon steht. Es dauert ein paar Sekunden. Es sieht so aus, als bräuchte der Politiker, der früher Personalratschef in der Berliner Universitätsklinik Charité war, so ein Ritual, um sich zu sammeln. Keiner der anderen 87 Landtagabgeordneten macht das so wie er. Doch wenn Berndt getrunken hat, legt er los.

Genauso wieder am Donnerstag bei der 112. Landtagssitzung seit der Wahl 2019. Es sind drei Sitzungen mehr geworden, als vor Beginn der Sommerpause abzusehen war. Denn zwei Sondersitzungen gab es während der Parlamentsferien wegen eines notwendig gewordenen Nachtragshaushalts – und nun gibt es eine dritte Sondersitzung zum Amoklauf eines syrischen Flüchtlings am 23. August im nordrhein-westfälischen Solingen.

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Die AfD hat eine Aussprache zu dieser Bluttat und den Folgen für Brandenburg verlangt. Sie fordert, unverzüglich eine brandenburgische Grenzschutzpolizei aufzustellen und mindestens fünf Jahre keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen. Sie fordert, Asylbewerber abzuschieben und Ausländer zur freiwilligen Ausreise zu bewegen. Wenn Flüchtlinge in ihren Heimatländern Urlaub machen, dann sollen sie ganz dorthin zurückkehren. Regenbogenfahnen an öffentlichen Gebäuden möchte die AfD untersagen, die finanziellen Zuwendungen für das Aktionsbündnis »Tolerantes Brandenburg« einstellen. Vereinen, die Vielfalt als einen ihrer Vereinszwecke haben, soll die Gemeinnützigkeit aberkannt werden können. Damit würden Steuervorteile entfallen. Außerdem verlangt die AfD, Flüchtlingen den Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen zu verwehren.

Der Landtag lehnt diese Ansinnen ab. Linksfraktionschef Sebastian Walter fragt, ob denn gewollt sei, dass die Frau des AfD-Landtagsabgeordneten Dennis Hohloch nicht mehr beim Baumblütenfest in Werder (Havel) mitfeiern dürfe?

Allerdings ist die AfD-Europaabgeordnete Mary Khan-Hohloch in Frankfurt am Main geboren und hat lediglich Migrationshintergrund. Linksfraktionschef Walter will wissen, wie bei öffentlichen Veranstaltungen der etwaige Asylstatus der Besucher kontrolliert werden solle. »Mit einem A auf der Brust?« Denn der gelbe Stern, den Juden unter den Nazis ab 1941 tragen mussten, sei ja schon für eine andere Menschengruppe vergeben. »Das stinkt ganz gewaltig nach Nürnberger Rassegesetzen«, empört sich Walter über den Vorstoß der AfD. Und der Versuch, Vereinen die Gemeinnützigekeit abzuerkennen, sei »Gleichschaltung« wie 1933 – und das sei Faschismus. »Das Asylrecht ist eine Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg und darf nicht angegriffen werden«, sagt Walter.

Weil auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) meint, die Migrationspolitik der vergangenen zehn Jahre müsse überprüft werden, erinnert Sebastian Walter den Regierungschef daran, dass der spätere Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) 1933 in Norwegen Zuflucht gefunden hatte – und damals froh sein konnte, dass nicht einer wie Woidke in Norwegen Ministerpräsident gewesen sei.

Vielfalt sei keine Stärke, findet die AfD. Einfalt aber auch nicht, kontert SPD-Fraktionschef Daniel Keller. Das von der AfD begehrte Zugangsverbot von Geflüchteten erinnert Keller an »schlimmste Zeiten der deutschen Geschichte«. Er sagt: »Das ist purer Faschismus.« Keller weist darauf hin, dass in Solingen drei Menschen erstochen und weitere verletzt wurden. Es gehe um die Würde der Opfer und ihrer Angehörigen. Doch der AfD-Fraktionschef wolle keine Aufklärung der Tat, sondern einen Showkampf vor den Landtagswahlen, einen »Wahlkampf auf dem Rücken von Toten«. Dies sei an Niederträchtigkeit nicht zu überbieten.

Doch Daniel Keller fordert auch selbst eine »kritische Überprüfung der Asylpolitik auf allen Ebenen«. Wessen Asylantrag abgelehnt wurde, der müsse Deutschland verlassen. Das Dublin-Verfahren müsse wieder wortgetreu umgesetzt werden. Das würde bedeuten: Ein Flüchtling muss in dem ersten EU-Land Schutz suchen, das er erreicht. Er kann von dort nicht weiterziehen. Im Falle des Amokläufers von Solingen hätte dies bedeutet, in Bulgarien zu verweilen.

Innenminister Michael Stübgen (CDU) gesteht: »Die traurige Wahrheit lautet: Wir können nicht ausschließen, dass es auch in Brandenburg Personen gibt, die Taten wie in Mannheim oder Solingen nachahmen wollen.« In Mannheim erlag zwei Tage nach einer Ende Mai erfolgen Messerattacke ein Polizist seinen Verletzungen. Von 75 000 möglichen Dublin-Rückführungen aus der Bundesrepublik in EU-Staaten, die Geflüchtete zuerst betreten hatten, konnten im vergangenen Jahr nur 5000 durchgeführt werden, bedauert Innenminister Stübgen. »Das kann doch Deutschland nicht länger akzeptieren.«

Péter Vida von den Freien Wählern sagt, wer »den Krieg in unsere Städte trägt«, der dürfte in Kriegsgebiete abgeschoben werden. CDU-Fraktionschef Jan Redmann vertritt unter Berufung auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster die Ansicht, in Syrien sei es nicht mehr gefährlich. »Der Krieg ist vorbei.«

Für Linksfraktionschef Walter wäre es dagegen ein Unding, als Konsequenz aus dem Anschlag in Solingen, hinter dem mutmaßlich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) steht, nun Menschen abschieben zu wollen, die vor dem IS beispielsweise aus Syrien geflohen seien. Walter warnt davor, den Rechtsextremismus bekämpfen zu wollen, indem man dessen Forderungen erfülle. Das habe noch nie funktioniert und werde auch jetzt nicht klappen.

»Man verteidigt das Grundgesetz nicht, indem man seine Werte opfert«, stimmt Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke zu. »Das wird es mit den Grünen nicht geben«, beteuert er.

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