Das Berliner Badeschiff als Kultstätte

Unsere Kolumnistin mischt sich unter das internationale Publikum im schwimmenden Spree-Pool

Die Mitarbeiter des Berliner Badeschiffs legen viel Wert auf das »herrlich saubere Wasser« in ihrem schwimmenden Pool.
Die Mitarbeiter des Berliner Badeschiffs legen viel Wert auf das »herrlich saubere Wasser« in ihrem schwimmenden Pool.

Auf einem Saaleplateau liegt der Kurpark von Bad Dürrenberg. Ein Springbrunnen plätschert unweit der Stelle, wo eine goldene Kugel nebst Tafel auf eine Grabung hinweisen: Hier wurde vor 9000 Jahren eine außergewöhnliche Frau bestattet – die »Schamanin von Bad Dürrenberg«. Die Frau mit dem Tierzahn-Schleier vor den Augen fasziniert mich seit den ersten Berichten über ihre Identität als Heilerin und Wahrsagerin.

An einem Augusttag besuche ich die Landesgartenschau im schön gestalteten Kurpark, wo man die Schamanin vor 90 Jahren beim Anlegen eines Grabens fand. Ihre Knochen wurden von den Nazis ins Landesmuseum nach Halle gebracht, falsch gedeutet und sie geriet für Jahrzehnte in Vergessenheit. Die einstige Kultstätte über der Saale bietet heutzutage einen Blick auf Schornsteine und Kraftwerktürme, unten zieht dunkel die Saale dahin.

Über Wasser

Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.

Kultige Orte lieben wir Menschen, denke ich, als ich mich durch die Hallen der einstigen Berliner Omnibus-AG schlängele. Am Ende einer Backsteinhalle öffnet sich eine Pforte, das zweistündige Zeitfenster habe ich vier Tage vorher online gebucht. Eine sandige, mit Schirmen, Liegestühlen und urigen Sitzecken gefüllte Brache auf die Spree öffnet sich. Wenn das Umziehen in Kabine oder Toilette gelungen und das Gepäck verstaut ist, schlendert es sich frei zum Badeschiff.

Links blühen Seerosen auf der Spree, rechts ruht ein Blesshuhn auf einem Stein, drei Möwen beäugen den Barbetrieb. Geradeaus leuchtet der Tank, in dem fröhliche Leute in türkisblauem Wasser lümmeln. Über Holzdecks geht es an zwei Duschen und einem lässigen Bademeister mit Strohhut vorbei, zwei Leitern geleiten ins Wasser. Gefühlt tummelt sich die Hälfte der 250 Badegäste pro Slot im Pool, vom Enkel bis zur Oma. Vorherrschende Sprache ist Englisch, kaum jemand ohne Tattoo. Ich tauche zwischen dutzenden Füssen hindurch an den Rand, stütze das Kinn auf die Kurzseite des Tanks. Hier wird gelegen, an den Längsseiten gesessen – und überall gestaunt. Das Panorama entblättert sich von Fernsehturm bis Molecule Man und dem Treptower-Hochhaus.

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Auf der Spree tummeln sich Kanus und Schiffchen. Am Samstagnachmittag sind einige Skipper schon heiter, ein Kanu steuert auf uns zu. Ein greller Pfiff ertönt und alles wendet die Köpfe, die Bootsverleiher, der Kormoran auf dem Holzpflock und sämtliche Schiffsbesatzungen. Unser Bademeister droht dem Sünder, der schnell abdreht. Eine Badegrazie, die just den Rand des Kahns erklimmt, schlüpft lieber schnell ins Becken zurück.

Ob schon mal jemand in die Spree gefallen sei, frage ich den Künstler an der Pfeife später auf seinem Deck. Unser Bademeister lacht, es springe immer mal wieder jemand. Die klettern dann drüben an Land, dürften aber nicht wieder in den Pool, weil man hier nicht mit Seife duscht und »unser Wasser so herrlich sauber bleiben soll«. Die Engländer und Spanier wundern sich, wie wenig die Haut rieche nach dem Baden, meint er. Bei ihnen sei der Chlorgehalt in Pools dreimal so hoch. Wir schauen über Oberbaumbrücke, Kähne und Möwen die Spree entlang und ich halte ein wenig die Luft an.

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