Ein anachronistisches Bündnis

Museum Berlin-Karlshorst erinnert an den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt vor 85 Jahren

  • Daniela Fuchs
  • Lesedauer: 5 Min.
Das jüngst in Wrocław eingeweihte »Denkmal für die unbeugsamen und verstoßenen Soldaten«; es erinnert auch an die Angehörigen der Heimatarmee, die im Untergrund noch bis in die 60er Jahre gegen die sozialistische Volksrepublik Polen kämpften.
Das jüngst in Wrocław eingeweihte »Denkmal für die unbeugsamen und verstoßenen Soldaten«; es erinnert auch an die Angehörigen der Heimatarmee, die im Untergrund noch bis in die 60er Jahre gegen die sozialistische Volksrepublik Polen kämpften.

Selten wurde in der Geschichte über viele Jahrzehnte in solch einem Ausmaß gelogen, manipuliert und verschleiert wie im Fall des sogenannten Hitler-Stalin-Pakts, auch als Ribbentrop-Molotow-Pakt firmierend, mit seinem geheimen Zusatzprotokoll und den Folgeverträgen. Auch heutzutage noch sind hitzige Debatten programmiert, wenn an dieses geschichtliche Ereignis erinnert wird.

Vor 85 Jahren, am 23. August 1939, unterzeichneten die Außenminister des Deutschen Reiches und der Sowjetunion, Joachim von Ribbentrop und Wjatscheslaw Molotow, zwei gewichtige Dokumente: einen Nichtangriffsvertrag, der sofort veröffentlicht wurde, und ein Geheimes Zusatzprotokoll, das über Jahrzehnte unter Verschluss bleiben sollte. Darin teilten die beiden Staaten Ostmitteleuropa zwischen Ostsee und dem Schwarzen Meer in Interessensphären auf. Finnland und die baltischen Staaten Estland und Lettland wurden der Sowjetunion als Einflusssphäre zugesprochen, Litauen Deutschland. Für den Fall der militärischen Niederlage Polens in dem sich bereits ankündigenden Krieg sollte Litauen das Gebiet um Wilna erhalten und die UdSSR die polnischen Gebiete ostwärts einer durch die Flüsse Narew, Weichsel und San markierten Linie. Die Sowjetunion beanspruchte außerdem das zu Rumänien gehörende Bessarabien. Später akzeptierte Hitler auch noch die sowjetische Kontrolle über Litauen im Austausch gegen mittelpolnische Gebiete bis zum Bug.

Die Folgen dieses Vertragswerkes zwischen Hitlerdeutschland und der Sowjetunion waren verheerend, insbesondere für Polen, aber auch für die kommunistische Bewegung und alle antifaschistischen Kräfte. Das anachronistische Bündnis zwischen dem faschistischen und einem sich sozialistisch nennenden Staat zerbrach knapp zwei Jahre darauf mit dem deutschen Überfall der Wehrmacht am 22. Juni 1941 auf die UdSSR.

Die Folgen des Paktes waren verheerend, insbesondere für Polen. Aber auch für die kommunistische Bewegung.

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Diesem gesamten, diffizilen Komplex des Hitler-Stalin-Pakts und dessen Auswirkungen ist eine Ausstellung im Museum Karlshorst gewidmet, die in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf entstanden ist. Dem Kurator der mit »Riss durch Europa« betitelten Exposition, Christoph Meißner, ist es nach eigenem Bekunden wichtig, dass nicht nur die Verbrechen, die in Folge des Paktes begangen wurden, benannt werden, sondern auch die Unterschiede in den Zielen und Methoden zwischen den nationalsozialistischen und stalinistischen Verbrechen, um einer Gleichsetzung der in ihrem Wesen konträren Systeme entgegenzuwirken. Vier geografische Regionen werden in der Ausstellung näher vorgestellt. Estland, Lettland und Litauen als die eine Region, Finnland, Polen und Rumänien als gesonderte Regionen.

Mit dem Vertragssystem war der Weg für den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 leichter geworden, begünstigt durch das kodifizierte Stillhalten der Sowjetunion. Das Vorrücken der Roten Armee am 17. September 1939 in die Moskau versprochenen Einflusssphären beschleunigte die Niederlage der polnischen Streitkräfte. Es folgten Massendeportationen aus Ostpolen nach Sibirien. Die stalinistischen Massaker an polnischen Offizieren im Wald von Katyń nahe Smolensk im April/Mai 1940 brannten sich schmerzhaft ins kollektive Gedächtnis der Polen ein und belasten weiterhin das Verhältnis zu Russland. Nicht nur der deutsche Eroberungs- und Vernichtungskrieg ist in unserem Nachbarland unvergessen. 

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Die Ausstellung zeigt nicht nur die Umstände, die zum Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes führten, sondern auch dessen Nachwirkungen für mehrere Staaten Ostmitteleuropas, die »noch immer weitgehend unbekannt« seien, wie der Direktor des Karlshorster Museums Jörg Morré betont. Man habe deshalb einen Fokus auf die dortigen Diskurse gelegt. Die Ausstellungsmacher verweisen auch auf die Unterschiede in der Erinnerungskultur in den beiden deutschen Staaten. In der Bundesrepublik wurde der Pakt ausschließlich als Vorstufe zum Zweiten Weltkrieg und Kumpanei zweier Diktatoren gewertet, Sicherheitsinteressen der Sowjetunion ausblendend, während in der DDR jene überbetont wurden, man auf die ablehnende Haltung des Westens gegenüber sowjetischen Angeboten eines kollektiven Sicherheitssystems verwies und die Existenz des Geheimen Zusatzprotokolls beharrlich bestritt, sich der sowjetischen Geschichtsinterpretation anschließend.

Im Lehrbuch »Geschichte der UdSSR« von 1978 für Studierende konnte man beispielsweise lesen: »Am 17. September überschritten Einheiten der Roten Armee die sowjetisch-polnische Grenze und befreiten innerhalb weniger Tage mehr als 13 Millionen Ukrainer und Belorussen, die ein Gebiet von 20 000 Quadratkilometern bewohnten, von der kapitalistischen Ausbeutung«. Das Schicksal der polnischen Bevölkerung unter stalinistischem Drangsal fand keinerlei Beachtung. Erst 1992 gestand Moskau, dass man im Besitz des Originals des Geheimen Zusatzprotokolls sei. Die Sowjetunion gab es zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr. Heutzutage wird in Russland dieses Kapitel stalinistischer Geschichte erneut relativiert.

In der Ausstellung werden neben der großen Politik auch Schicksale von Angehörigen verschiedener Nationalitäten vorgestellt. Zu ihnen gehört die damals 13-jährige Finnin Anja Kesäläinen aus Karelien. Nachdem ihre Heimat zum Kriegsgebiet geworden war, floh sie mit ihrer Familie nach Südfinnland; erst im Sommer 1942 konnten sie in ihr Dorf zurückkehren, als finnische Soldaten Karelien zurückerobert hatten. 1944 wurde Karelien erneut sowjetisch besetzt und die Familie floh abermals nach Südfinnland, wo sie dauerhaft ihr Zuhause finden sollte. Eine Rückkehr in ihre alte Heimat war ihnen verwehrt.

Grenzen, die damals gezogen wurden, existieren immer noch. Daran sollte um des Friedens willen nicht gerüttelt werden. Die politischen, gesellschaftlichen und geopolitischen Folgen des Hitler-Stalin-Paktes sollten jedoch nicht in Vergessenheit geraten. Die als Wanderausstellung konzipierte Schau in Karlshorst erinnert und bietet zudem ein umfangreiches Begleitprogramm an (www.museum-karlshorst.de).

»Riss durch Europa. Die Folgen des Hitler-Stalin-Paktes«. Museum Berlin-Karlshorst, Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Mo. geschlossen, Eintritt frei.
Dr. Daniela Fuchs ist Mitglied des Sprecherrats der Historischen Kommission der Linken.

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