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Krieg und Frieden auf Zwickaus Markt

Zwei bundespolitische Themen dominierten die Landtagswahlkämpfe. Eines davon könnte der AfD weiteren Schub geben

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Strukturell wirkungslos: Friedensappelle aus Zwickau im Landtagswahlkampf
Strukturell wirkungslos: Friedensappelle aus Zwickau im Landtagswahlkampf

Das Grundgesetz ist eigentlich klar. »Der Bund«, heißt es in Artikel 73, »hat die ausschließliche Gesetzgebung für die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung.« Später wird auch »die Ein- und Auswanderung« als Frage benannt, für die allein der Bund zuständig ist. Heißt im Umkehrschluss: Außenpolitik und Migration sind keine Ländersache.

Wer derzeit in Sachsen, Thüringen und Brandenburg unterwegs ist, bekommt einen gänzlich anderen Eindruck. In den drei ostdeutschen Bundesländern stehen Landtagswahlen an, die ersten an diesem Sonntag. Auf Plakaten der Parteien geht es auch um Lehrer und Nahverkehr, bei denen die Länder viel entscheiden können, zudem um kostenloses Mittagessen für Kinder, Solidarität oder, wie die Brandenburger Grünen formulieren, ein gutes »Mut-einander«.

All das aber wirkt nebensächlich. Dominierendes Thema des Wahlkampfs war zunächst stattdessen die Frage von Krieg und Frieden. Es ging um die Unterstützung der Ukraine gegen den Angriffskrieg Russlands, die von 62 Prozent der Sachsen abgelehnte Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland oder das militärische Vorgehen Israels in den Palästinensergebieten nach dem Terror der Hamas.

Wagenknecht geht es vor allem um ein Signal nach Berlin.

Auf den Plakaten wird all das nicht explizit benannt. Dort wird das Thema grundsätzlich angegangen. In Sachsen fordert Die Linke unter einem Foto von Spitzenkandidatin Susanne Schaper: »Die Waffen nieder!« Die AfD verspricht: »Wir schaffen Frieden«. Die rechtskonservative Splitterpartei Bündnis Deutschland formuliert derb: »Krieg ist Scheiße«. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erklärt, man gebe »Frieden wieder eine Heimat«.

Vor allem dessen Gründerin erhebt das Thema zur entscheidenden Frage nicht nur für die Wahl, sondern auch für die Zeit danach. Das BSW stilisiert die Landtagswahl zur »Abstimmung über die deutsche Außenpolitik«, wie Wagenknecht bei einer Kundgebung auf dem Zwickauer Markt formulierte. Zwar räumt sie ein, die Frage von Krieg und Frieden werde »nicht in Sachsen entschieden«. Die Länder könnten aber im Bundesrat »ihr Gewicht in die Waagschale« werfen. Eine explizite Verpflichtung dazu soll sogar der Preis für die Beteiligung an Landesregierungen sein, bei denen das BSW für die CDU unter Umständen die einzige Alternative zur AfD ist. Mit Blick auf die geplante Raketenstationierung und die Waffenlieferungen sagte Wagenknecht: »Es muss natürlich im Koalitionsvertrag eine Position zu diesen Themen stehen.«

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Dass sich der Wahlkampf so stark um Krieg und Frieden dreht, setzt vor allem die Parteien der Berliner Ampel unter Druck. Sachsens SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping räumte ein, dass die harte Linie gegen den russischen Aggressor und das Bekenntnis zur militärischen Unterstützung der Ukraine in Sachsen auf Vorbehalte stoßen: »Wir in Ostdeutschland sind anders sozialisiert. Die Nato und die Amerikaner waren die Feinde, die Sowjetunion hat uns unterstützt.« Es gebe zwar eine große Bereitschaft zu humanitärer Hilfe für ukrainische Flüchtlinge, aber auch ein »riesengroßes Interesse an Frieden«.

Differenzierte Debatten indes sind im Wahlkampf nicht möglich. Als Köpping das bei einem Termin mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in Leipzig versuchte, ließen pro-palästinensische Aktivisten die Veranstaltung im Tumult untergehen. Schaper wiederum klagt, dass selbst in der TV-Runde der Spitzenkandidaten keine Gelegenheit gewesen sei, der Komplexität des Themas gerecht zu werden: »Nach 20 Sekunden wird reingegrätscht.« Sie schaffte es immerhin anzumerken, dass sie selbst einen Hilfstransport in die Ukraine mitorganisiert habe, aber die Lieferung von Waffen in Kriegsgebiete ablehne.

Noch zentraler war nach ihrer Wahrnehmung ein anderes Thema, das nach der mutmaßlich islamistischen Terrortat von Solingen mit drei Toten endgültig dominierte: die Migration. Zwar warnte beispielsweise Köpping eindringlich, es »verbietet sich eine Instrumentalisierung im Wahlkampf«. Doch derlei Appelle verhallen. Sachsens CDU-Spitzenkandidat Michael Kretschmer wetterte in einem über die offiziellen Social-Media-Kanäle der Staatskanzlei verbreiteten Interview mit dem Desinformationskanal Nius über »Hassprediger mit doppelter Staatsangehörigkeit« und warf der Bundesregierung einmal mehr Versagen beim Vorgehen gegen »irreguläre Migration« vor. Die Zahl der Zuwanderer sei auf 20 000 bis 30 000 zu begrenzen. Im März hatte er 200 000 als Obergrenze benannt.

Nutznießer der Debatte dürfte vor allem die AfD sein, die in Sachsen ohnehin Slogans wie »Abschieben, abschieben, abschieben« plakatierte und deren fremdenfeindlicher Deutung der Themen Migration und Kriminalität sich nun auch andere Parteien anschließen. Der Journalist Martin Debes erinnerte im »Stern« an den Messerangriff in Mannheim zehn Tage vor der Europawahl, bei dem ein Polizist starb. Die AfD, zuvor in Umfragen bei 14 Prozent geführt, legte auf 16 Prozent zu. »Solingen«, schreibt Debes, könnte auch jetzt »die Wahlen entscheiden« und der AfD zur Sperrminorität von einem Drittel der Parlamentssitze verhelfen, mit der etwa Verfassungsänderungen blockiert werden können.

Dass die Wahlkämpfe derart von bundespolitischen Themen überlagert werden, sorgt durchaus auch für Unmut. In Thüringen mahnten 17 Landräte und Oberbürgermeister in einem Offenen Brief, es gehe »nicht um ideologischen Popanz, sondern um ganz konkrete und ehrliche Antworten« für landespolitische Fragen. Wer suggeriere, dass sich am Sonntag die Frage von Krieg und Frieden entscheide, »der täuscht die Wähler«. Bei manchem ist das allerdings wohl sogar das Kalkül. Sahra Wagenknecht jedenfalls räumte in Zwickau offen ein, dass Landespolitik nur an zweiter Stelle steht: Ein gutes BSW-Ergebnis sei »ein Signal für eine andere Politik in Sachsen, aber vor allem auch in der Außenpolitik«.

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