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»Migranten müssen dafür zahlen, dass sie arbeiten dürfen«

Sozialforscherin Isobel Archer über die Gründe der besonders starken Ausbeutung von Arbeitsmigranten

  • Interview: Peter Stäuber
  • Lesedauer: 4 Min.
Krankenpfleger protestieren in London für bessere Arbeitsbedingungen. Besonders in der Pflege häuft sich die Ausbeutung von Arbeitsmigranten.
Krankenpfleger protestieren in London für bessere Arbeitsbedingungen. Besonders in der Pflege häuft sich die Ausbeutung von Arbeitsmigranten.

Das Business & Human Rights Resource Centre schreibt in einem neuen Bericht, dass Ausbeutung und Missbrauch von Arbeitsmigranten in Großbritannien besonders häufig vorkommen. Wie sind Sie zu diesem Schluss gekommen?

Das Business and Human Rights Resource Centre ist in erster Linie eine digitale Plattform. Wir führen eine Datenbank, in der wir Fälle von Ausbeutung rund um die Welt sammeln – die Meldungen basieren meist auf Medienberichterstattung oder Untersuchungen von NGOs. Wir haben ein globales Team, das alle Weltregionen im Blick behält. Natürlich ist es keine erschöpfende Datenbank, die alle Fälle von Ausbeutung auflistet, aber es bietet einen guten Schnappschuss auf die Situation weltweit. Unser jüngster Bericht bezieht sich auf die Situation im ersten Halbjahr 2024. Großbritannien kommt an erster Stelle – das Land wird nicht nur in Europa, sondern weltweit am häufigsten genannt. Das zeigt, dass die Situation für Migranten, besonders für jene mit temporären Visa, hier besonders ernst ist.

Wie sieht diese Ausbeutung aus?

Am stärksten äußert sie sich in sogenannten »recruitment fees«, also Anwerbegebühren. Das heißt, die Migranten müssen dafür bezahlen, dass sie hier arbeiten dürfen. Manche dieser Gebühren werden für temporäre Visa verrechnet – das verstößt gegen die internationalen Standards, laut denen der Arbeitgeber für die Rekrutierungskosten aufkommen muss. Darüber hinaus müssen die Arbeitnehmer oft für Flugtickets, Uniformen, Reisepässe, Ausrüstung oder medizinische Tests bezahlen. Man muss bedenken, dass viele Migranten sehr viel Geld ausgeben, um hierher zu reisen. Viele nehmen Kredite auf, manche mit Zinsen von bis zu 30 Prozent. Man kann sich vorstellen, wie verzweifelt sie nach Arbeit suchen, wenn sie erst einmal hier sind. Und das ist auch ein Grund, weshalb sie andere Arten von Missbrauch am Arbeitsplatz nicht melden – Drohungen, physischer Missbrauch, Einschüchterung. Sie wollen ihre Arbeit nicht verlieren, obwohl sie ausgebeutet werden.

Interview

Isobel Archer ist Senior Researcher im Bereich Arbeit und Rechte von Arbeitsmigranten bei der Non-Profit-Organisation Business & Human Rights Resource Centre. Sie forscht schwerpunktmäßig zum Thema Ausbeutung am Arbeitsplatz und hat zuvor für eine Reihe von Organisationen gearbeitet, darunter die Shiva Foundation, Ardea International und Environmental Resources Management.

In welchen Sektoren kommt solcher Missbrauch vor?

Die Pflege war in den vergangenen Jahren besonders stark im Fokus. Die Arbeitskräfte, von denen viele aus dem globalen Süden stammen, müssen nicht nur ausbeuterische Anwerbegebühren bezahlen. Sie haben zudem exzessive Arbeitszeiten und müssen schlichtweg zu viele Patienten behandeln. Das ist klare Ausbeutung. Dann gibt es Branchen, in denen vornehmlich Frauen arbeiten, die Reinigung zum Beispiel. Sie arbeiten oft allein in Hotelzimmern oder in Korridoren, und das macht sie anfälliger für sexuellen Missbrauch. Auch in der Landwirtschaft sind die Arbeits- und Lebensbedingungen sehr schlecht.

Warum kommt Ausbeutung in Großbritannien so häufig vor?

Das hat mehrere Gründe. Teilweise liegt es daran, dass die Gesetze von der Regierung und den Behörden nicht durchgesetzt werden. Diesbezüglich ist Großbritannien nicht allein – in vielen Ländern fehlt den Behörden die Kapazität, um die Arbeitsbedingungen zu überprüfen. Ein anderer Grund ist, dass viele Unternehmen dem Thema Missbrauch und Ausbeutung zu wenig Bedeutung schenken – und wenn man nicht danach sucht, wird man sie auch nicht finden. Die Supermarktketten nehmen hier eine wichtige Rolle ein. Es gibt in Großbritannien etwa zehn große Supermärkte; diese haben viel Einfluss und könnten sicherstellen, dass es weiter unten in der Versorgungskette zu weniger Missbrauch kommt – zum Beispiel in den Firmen, von denen sie ihre landwirtschaftlichen Produkte beziehen. Letzten Endes haben die Unternehmen die Verantwortung, sicherzustellen, dass die Menschenrechte in ihren Versorgungsketten eingehalten werden. Das heißt auch, dass sie proaktiv nach möglichen Problemen suchen sollten.

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Die britische Regierung hat in den vergangenen Jahren die Asylpolitik verschärft – wer irregulär ins Land gekommen ist, soll beispielsweise schneller abgeschoben werden können. Sie schreiben im Bericht, dass diese harte Politik die Ausbeutung von Migranten begünstigt. Können Sie das erklären?

Zunächst einmal: Es wird oft der Mythos verbreitet, dass die migrantischen Arbeitskräfte in ganz wunderbaren Verhältnissen leben, staatliche Sozialleistungen empfangen und so weiter. Das ist Unsinn. Die Arbeitskräfte, die etwa für landwirtschaftliche oder Pflege-Visa ins Land geholt werden, dürfen keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Ihre Arbeits- und Wohnbedingungen sind oft prekär. Und für die Arbeitgeber ist es oft einfach, das Risiko der Abschiebung zu nutzen, um Leute zum Schweigen zu bringen. Viele Migranten haben uns gesagt, einer der Hauptgründe, warum sie Missbrauch nicht melden, ist die Angst, die Anstellung zu verlieren und aus dem Land gebracht zu werden.

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