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Eine Minute Zeit für die Linkspartei

Landtagskandidat Tobias Lübbert führt Haustürwahlkampf im brandenburgischen Ludwigsfelde

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Wenn Tobias Lübbert sein Infomaterial überreichen darf, ist das für ihn ein erster Schritt.
Wenn Tobias Lübbert sein Infomaterial überreichen darf, ist das für ihn ein erster Schritt.

Früher war Tobias Lübbert schüchtern. Aber als die AfD bei der Bundestagswahl 2017 mit 12,6 Prozent mehr Stimmen einfuhr als die Linkspartei, wollte er etwas gegen diesen Trend tun und trat der Linken bei. In der Parteiarbeit habe er seine Zurückhaltung abgelegt, sagt Lübbert. Mittlerweile macht es dem 30-Jährigen nichts mehr aus, vor der Landtagswahl am 22. September bei fremden Menschen zu klingeln und um Stimmen zu werben. Lübbert ist heute Geschäftsführer im Kreisverband Teltow-Fläming.

Orstermin am Freitagabend in einer Eigenheimsiedlung am Stadtrand von Ludwigsfelde. Der Blick geht weit hinaus auf einen Acker. Lübbert klingelt, und wenn sich eine Tür öffnet, sagt er seinen Spruch auf: Er sei der Direktkandidat der Linken im Wahlkreis und würde sich gern kurz vorstellen, wenn sein Gegenüber eine Minute Zeit dafür habe. »Ich bin jetzt 30 Jahre alt, und meine Generation hat den Eindruck, dass wir seit 30 Jahren über dieselben Probleme reden, aber nichts geschieht«, erklärt Lübbert. »Es kommt darauf an, die Probleme endlich mal zu lösen.«

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Das würde er sich zur Aufgabe machen, wenn er in den Landtag einzieht. Das Problem ist nur: Lübbert steht auf Listenplatz neun. Das hätte bei allen Landtagswahlen seit 1990 ausgereicht für einen Parlamentssitz. Doch jetzt steht Brandenburgs Linke in den Umfragen bei fünf Prozent und darf maximal noch auf sieben Abgeordnete hoffen.

Lübbert weiß das ganz genau, macht aber unverdrossen fleißig Haustürwahlkampf. Es geht schließlich um die Zukunft, auch um die seiner kleinen Tochter, die vor 13 Wochen zur Welt gekommen ist. »Der Naturschutz ist im Zweifel irrelevant«, beschwert sich Lübbert, wenn die Sprache darauf kommt, wie für die Tesla-Autofabrik in Grünheide jedes Hindernis aus dem Weg geräumt wurde.

Bei einer Frau muss Lübbert nicht erst klingeln. Sie steht vor ihrem Haus und packt den Kofferraum ihres Autos. Sie sagt, sie sei über die Positionen der Linken bereits bestens informiert. »Ich kann Ihnen schon mal sagen: AfD werde ich nicht wählen.« Aber wen sie stattdessen ankreuzt, da sei sie noch im Zweifel. Die Frau ist Unternehmerin und hat schlechte Erfahrungen mit Flüchtlingen aus Äthiopien und aus der Ukraine gemacht, die sie einstellen wollte. Sie hätten schwarz arbeiten wollen, und solche illegalen Praktiken kamen für die Unternehmerin nicht infrage. Im Prinzip glaubt sie, ohne Zuwanderung werde es angesichts des Personalmangels, etwa in der Pflege, nicht gehen.

Mit Frauen kommen Tobias Lübbert und sein 17-jähriger Genosse Collin leichter ins Gespräch. Mancher Mann knallt ihnen dagegen die Tür brüsk vor der Nase zu. Einer wartet am Zaun, und es ist gleich zu sehen, dass er den Linken seine abgrundtiefe Verachtung ausdrücken will. »Wir warten, bis unsere Frauen vergewaltigt werden, unsere Leute abgestochen werden«, schimpft er über die Asylpolitik.

Beleidigt und bedroht, wie es anderen Linken im Landtagswahlkampf schon widerfahren ist, wird Lübbert allerdings nicht. Er ist 2,03 Meter groß, hat breite Schultern und versucht freundlich zu bleiben. Wenn er sieht, dass eine Diskussion zwecklos ist, beendet er sie und wünscht noch einen schönen Abend. In Schulungen wird den Haustürwahlkämpfern eingetrichtert, die Gespräche ganz kurz zu halten, um viele Adressen zu schaffen. Doch Lübbert hält sich nicht an diese Vorgabe. Wenn es geboten scheint, nimmt er sich die Zeit für lange Gespräche.

Innerhalb von drei Stunden klingelt er an diesem Abend an 42 Türen. 25 Mal wird ihm geöffnet. Acht geführte Gespräche nahmen nach seiner Einschätzung einen positiven Verlauf. Er kann auf die Stimmen der Angesprochenen hoffen. Bei sechs Gesprächen reagierten die angetroffenen Menschen so neutral, dass Lübbert nicht sagen kann, ob sie ihn und seine Partei wählen wollen. Aber es besteht immerhin die Möglichkeit. Für den Kandidaten ist das eine ermutigende Quote angesichts des Umfragewertes von landesweit nur fünf Prozent.

»Es kommt darauf an, die Probleme endlich mal zu lösen.«

Tobias Lübbert (Linke) Landtagskandidat

Das Viertel ist für Die Linke allerdings auch ein vergleichsweise gutes Pflaster. 2021 ist Lübbert im Bundestagswahlkampf mit der beliebten Landrätin Kornelia Wehlan (Linke) hier unterwegs gewesen, die in jenem Jahr auch in ihrem Amt bestätigt wurde. Damals sagten ihm etliche Bewohner, sie würden sonst immer Die Linke wählen, aber diesmal aus taktischen Gründen die SPD. Darum ist Lübbert jetzt erneut hier. Er möchte diesen Leuten sagen, dass sie diesen Fehler nicht noch einmal begehen sollen.

Nebenbei kann Wahlkampfhelfer Collin noch einige Unterschriften sammeln für die von der Linken, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden gestartete Volksinitiative für ein elternbeitragsfreies Mittagessen für alle Grundschüler in Brandenburg. Es unterzeichnen auch Menschen, die der Linken nicht nahestehen. Die Schulspeisung ist ihnen wichtig. Das Bündnis Sahra Wagenknecht spielt in den Haustürgesprächen keine Rolle. Niemand fragt danach. Lübbert erzählt, das sei immer so.

Eine Überraschung gibt es beim Stadtverordneten Niels Laag (parteilos). Der kommt schmunzelnd an sein Gartentor und fragt: »Woher wusstet ihr, dass ich heute Geburtstag habe?« Schließlich bittet er Tobias Lübbert gastfreundlich auf ein Stück Kuchen herein. Der 42-Jährige mischt schon lange in der Ludwigsfelder Kommunalpolitik mit. Seine neue Liste Familie und Sport holte bei der Kommunalwahl am 9. Juni aus dem Stand 10,1 Prozent und damit drei Mandate.

In Lübberts Landtagswahlkreis 23 gibt es noch fünf andere Kandidaten, darunter der CDU-Landtagsabgeordnete Danny Eichelbaum. Der SPD-Landtagsabgeordnete Helmut Barthel, der den Wahlkreis vor fünf Jahren mit 28,8 Prozent gewonnen hatte, tritt nicht wieder an. Lübbert befürchtet, dass diesmal Lion Edler von der AfD die besten Aussichten hat.

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