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Surfen ohne Meer
Europas größter Wellenpark bei München soll den deutschen Surfsport aufs nächste Level heben
Die Wegbeschreibung zum besten deutschen Surfspot klingt noch etwas ungewöhnlich. Nicht vor Sylt oder Noderney, sondern in einem Gewerbegebiet am Münchner Flughafen bricht die beste Welle hierzulande. An einer Bundesstraßenausfahrt in der 12 000-Seelen-Gemeinde Hallbergmoos zwischen einem Küchenstudio und einer Ausbildungsstätte für Fahrlehrer*innen rollen seit kurzem täglich türkisblaue Brecher heran.
Die Surftown München, Europas dritter und größter Wellenpark, hat das Meer nach Bayern gebracht – zumindest den Teil, den man auch an den deutschen Küsten kaum findet: Wellen, wie es sie in Europa eigentlich nur an einigen ausgewählten Stränden in Frankreich, Portugal und auf den Kanaren gibt. Zwei Meter hoch, kraftvoll und gleichmäßig. Perfekt geeignet, um auf ihnen zu reiten.
Der tägliche Strom an Nachrichten über Krieg, Armut und Klimakrise bildet selten ab, dass es bereits Lösungsansätze und -ideen, Alternativprojekte und Best-Practice-Beispiele gibt. Wir wollen das ändern. In unserer konstruktiven Rubrik »Es geht auch anders« blicken wir auf Alternativen zum Bestehenden. Denn manche davon gibt es schon, in Dörfern, Hinterhöfen oder anderen Ländern, andere stehen bislang erst auf dem Papier. Aber sie zeigen, dass es auch anders geht.
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Im Freiluft-Pool der Surftown, der ungefähr so groß ist wie zwei hintereinander gelegte Fußballfelder, können sie im Minutentakt erzeugt werden. Möglich macht das ein pneumatischer Wellengenerator mit 34 Überdruck-Kammern. Während selbst an den berühmtesten Surfspots Wind und Wetter über die Qualität der Wellen entscheiden, gibt es im Münchner Norden ab sofort perfekte Bedingungen auf Knopfdruck – und zwar das ganz Jahr lang.
Das will sich auch die Surfelite zu Nutzen machen. Michael Zirlewagen, der Präsident des Deutschen Wellenreitverbands (DWV), hat die Surftown zur offiziellen Trainingsstätte ernannt. In Zukunft werden auch Camilla Kemp und Tim Elter, die vor fünf Wochen noch bei Olympia auf der legendären Welle von Teahupo’o auf Tahiti surfen durften, am Münchner Flughafen trainieren.
»Ich freue mich sehr auf das Training in der Surftown, weil es uns technisch unglaublich verbessern wird. Dadurch dass die Welle immer gleich ist, hat man einen sehr großen Trainingsvorteil, weil man das gleiche Manöver immer und immer wieder trainieren kann«, erklärt Tim Elter im Interview mit »nd«. Der 20-Jährige verspürt nach der riesigen Aufregung der Olympischen Spiele aktuell zwar noch eine gewisse Leere, blickt aber auch schon wieder voraus. Für das große Ziel, die Qualifikation für die Spiele 2028 in Los Angeles, sieht er die Surftown als wichtigen Faktor.
Camilla Kemp geht sogar noch ein Stück weiter: »Ich glaube, dass das auf jeden Fall ein Game Changer für uns sein wird, gerade für die Vorbereitung auf Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und eben die olympische Qualifikation für LA 2028.« Für die erste deutsche Olympia-Surferin der Geschichte hat die Surftown das Potenzial, das Wellenreiten in Deutschland komplett zu revolutionieren, mit dem klaren Ziel, in vier Jahren um die Medaillen mitzusurfen.
Um eine Revolution im mehrfachen Sinn geht es auch dem Team hinter der Surftown. Einerseits sollen hier optimale Trainingsbedingungen für Profisurfer*innen geschaffen werden. Andererseits soll der 40 Millionen Euro teure Wellenpark auch komplette Neulinge an den Sport heranführen. »Die Vision ist, Surfen für alle zugänglich und möglich zu machen«, sagt Pressesprecher Jonathan Hendess.
Dafür wurde in der Surftown eine weltweit einzigartige Technologie verbaut. Die 34 Luftdruckkammern des 120 Meter langen Wellengenerators lassen sich einzeln ansteuern. »Wir können jede Kammer wie eine Taste beim Klavier anspielen und so ganz viele verschiedene Wellen anbieten. Im Sortiment haben wir 25 Wellen auf sieben Erfahrungslevel aufgeteilt. Wir können aber auch nach Belieben Wellen umprogrammieren und so echte Meeres- und Contestbedingungen darstellen«, erklärt Hendess.
Die Wellenhöhe variiert dabei zwischen 30 Zentimetern und zwei Metern, je nachdem, wer gerade im Becken ist. Bis zu 700 Surfer*innen aller Erfahrungsstufen können über den Tag verteilt versuchen, möglichst viele Wellen zu erwischen. Eine zweistündige Session inklusive Equipment und Surflehrer*in gibt es ab 69 Euro.
Dabei wirbt die Surftown damit, dass das Wellenreiten in Hallbergmoos besonders klimafreundlich ist. Das Süßwasser im Pool läuft dank eigener Wasseraufbereitungsanlage durch einen geschlossenen Kreislauf. Außerdem wird das Becken nicht beheizt. Stattdessen gibt es an kalten Tagen dickere Neoprenanzüge. Der Strom für den Wellengenerator kommt bereits jetzt zu einem großen Teil aus den eigenen Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach des wellenförmigen Surftown-Gebäudes neben dem Pool. Nach der Fertigstellung eines nahegelegenen Solarparks soll dieser Anteil sogar noch wachsen. »Mit einem Stromspeicher ist es unser Ziel, auf bis zu 90 Prozent Autarkie mit Sonnenenergie zu kommen«, verspricht Hendess.
Ob Europas größter Wellenpark auch etwas gegen den CO2-Fußabdruck des reiseintensiven Surfsports tun kann, muss sich dagegen erst noch zeigen. Bisher war es hierzulande eigentlich unmöglich, ein höheres Niveau im Wellenreiten zu erreichen. Dafür fehlten schlicht die natürlichen Bedingungen. An eine Profikarriere war ohne Reisen überhaupt nicht zu denken. Das verdeutlichen auch die beiden deutschen Olympia-Surfer*innen von Tahiti. Tim Elter wurde auf Fuerteventura geboren, Camilla Kemp in Cascais an der portugiesischen Atlantikküste. Beide lernten dort auch das Surfen.
Für Elter ist deswegen klar, dass die Surftown eher eine Ergänzung als ein Ersatz fürs Meer sein kann: »Der große Vorteil an der Surftown-Welle ist, dass man den technischen Aspekt im Surfen sehr herunterbrechen kann und man sich gar nicht mehr darauf konzentrieren muss, welche Welle man nimmt und wo man sich platziert.« Nachteil der Welle sei dagegen, dass sie immer eine ähnliche Größe haben werde und nicht so unberechenbar wie die Wellen im Meer sein kann.
Auch Camilla Kemp sieht das ähnlich. Die 28-Jährige kann sich zwar vorstellen, zukünftig mehr Zeit in München zu verbringen. Um das höchste Level zu erreichen, bleibt das Reisen aber weiterhin alternativlos: »Ich glaube, dass das Meer auch immer dazu gehört, und das heißt, das Reisen natürlich auch. Ich glaube, alle Surfer versuchen, das Beste zu geben, dass wir so nachhaltig wie möglich sind und dass das weiter ein Thema bleibt, gerade weil wir so von der Natur abhängig sind.«
Die Zukunft des Surfens in Deutschland, sie liegt irgendwo zwischen dem Meer und dem Münchner Flughafen. Das zeigt auch die Entscheidung des Wellenreitverbands, die deutschen Meisterschaften im Oktober in der Surftown zu veranstalten. Zum ersten Mal in ihrer 28-jährigen Geschichte finden die nationalen Meisterschaften damit tatsächlich in Deutschland statt. Es werden außerdem die ersten inklusiven Titelwettkämpfe, weil Surfer*innen mit und ohne Behinderung zur gleichen Zeit am selben Ort antreten.
Man habe die Chance der Surftown-Eröffnung jetzt einfach nutzen wollen, um ein Zeichen für Inklusion zu setzen, sagte Verbandschef Michael Zirlewagen zu der Entscheidung. Außerdem wolle man etwas wagen und die neuen technologischen Möglichkeiten testen. Der DWV-Präsident fügte gegenüber dem »nd« aber auch an, dass Meisterschaften im Wellenpool vorerst eine einmalige Angelegenheit bleiben sollen: »Surfen ist und bleibt eine Natursportart. Aber wir machen das einfach mal, weil wir Dinge ausprobieren wollen und da Spaß dran haben.«
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