Talente-Show bei der Vuelta

Die 23-jährigen Radprofis Florian Lipowitz und Pablo Castrillo sorgen bei der Spanienrundfahrt für Furore

  • Tom Mustroph, Luanco
  • Lesedauer: 5 Min.
Nach zwei harten Vuelta-Wochen als Helfer immer noch auf Platz sechs: Florian Lipowitz
Nach zwei harten Vuelta-Wochen als Helfer immer noch auf Platz sechs: Florian Lipowitz

Ältere Semester wie der 28-jährige Ben O’Connor oder der sechs Jahre ältere Primož Roglič führen das Klassement der Spanienrundfahrt nach zwei Wochen an. Aber zwei 23-Jährige ragen bei der Vuelta ebenfalls heraus. Einer ist der Spanier Pablo Castrillo, der dem unterklassigen Team Kern Pharma in der zweiten Woche gleich zwei Bergetappensiege bescherte, den ersten ausgerechent am Tag der Nachricht vom Ableben des Rennstallgründers Manolo Azcona. Das sorgte für ganz besondere Emotionen.

Aber auch der deutsche Radsport darf sich über die munteren Taten eines Talents freuen. Florian Lipowitz wurde am Sonntag mal wieder aufs Siegerpodest gerufen und durfte sich das weiße Trikot des besten Jungprofis überstreifen. Zuvor stand er im Finale der 15. Etappe im Rampenlicht. Mit einer Tempobeschleunigung am letzten Anstieg dünnte er zunächst das Favoritenfeld aus. Das stellte zugleich die perfekte Vorbereitung für einen Antritt seines Kapitäns Primož Roglič dar. Der Slowene enteilte. Zwar schloss der Spanier Enric Mas zu ihm auf, ließ ihn zwischenzeitlich stehen, wurde aber wieder von Roglič eingeholt. Vor allem aber holten Roglič als Gesamtzweiter und Mas als Dritter 38 Sekunden auf den Gesamtführenden O’Connor heraus.

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»Der ganze Tag war extrem hart, es war von Anfang an ein superhohes Tempo. Am letzten Anstieg habe ich versucht, bei den besten Fahrern zu bleiben. Auf den letzten drei Kilometern habe ich dann einen Angriff für Primož gestartet und alles gegeben. Wir haben heute alle eine gute Leistung gezeigt und sind dem roten Trikot schon viel näher gekommen«, fasste Lipowitz selbst das Geschehen zusammen.

Sein eigenes Erfolgserlebnis mit dem weißen Trikot thematisierte er dabei nicht. Das liegt ganz auf Linie des Teams. »Es ist schön, dass er das Trikot hat. Aber es ist ein sekundäres Ziel. Das Hauptziel ist immer, Rennen zu gewinnen. Das bedeutet, hier bei der Vuelta das rote Trikot zu holen«, sagte der sportliche Leiter Patxi Vila zu »nd«. Ins gleiche Horn stieß auch Lipowitz’ Teamkollege Nico Denz: »Wir haben keine Ambition auf Weiß. Wir sind ganz klar für Rot hier.«

Die Zurückhaltung in Sachen Weiß ist einerseits verständlich. Rot zählt schließlich mehr, der Gesamtsieg einer Rundfahrt ist wichtiger als das am wenigsten bedeutsame der anderen Wertungstrikots. Und wie schnell man sich bei der Jagd nach zu viel unterschiedlichen Trophäen verzetteln kann, zeigt bei der Vuelta auch das Beispiel Wout van Aert. Weil der Belgier neben dem Punktetrikot, das er ziemlich sicher hat, auch noch das Bergtrikot ins Visier nahm, investierte er Kräfte, die ihn zumindest am Samstag den Etappensieg kosteten.

Derartige Fehler will man bei Red Bull-Bora-Hansgrohe nicht begehen. Das ist löblich für das übergeordnete Ziel »vierter Vuelta-Sieg von Roglič«. Andererseits ist der Rennstall ja weiterhin in Deutschland lizenziert. Und für deutsche Radsportler sind weiße Trikots bei den großen Rundfahrten echte Raritäten.

Bei der Vuelta fuhr seit Einführung der Nachwuchskategorie im Jahr 2017 kein einziger deutscher Profi vor Lipowitz in Weiß, geschweige denn, dass einer die Wertung gewann. Beim Giro triumphierte ebenfalls kein einziger deutscher Jungprofi in diesem Spezialklassement. Und bei der Tour de France waren es lediglich Dietrich Thurau und Jan Ullrich, die sich das weiße Trikot auch am Ende der Tour in Paris überstreifen durften, Ullrich zwischen 1996 und 1998 sogar dreimal. Lipowitz in Weiß stellt angesichts der kleinen Brötchen, die der deutsche Straßenradsport in den vergangenen Jahren zu backen pflegte, fast schon ein Marzipancroissant dar.

Der 23-Jährige, der vor der Vuelta schon mit dem Gesamtsieg der Sibiu Tour, einem zweiten Platz bei den deutschen Meisterschaften und einem famosen Ritt auf der ersten Bergetappe des Giro aufhorchen ließ, reiht in Spanien eine beeindruckende Leistung an die andere. Er bereitet Attacken seines Kapitäns vor wie auf der 15. Etappe. Er schützt den Chef, wenn dieser schwächelt wie auf Etappe 9. Da drohte Roglič bei einem Antritt von Enric Mas den zweiten Gesamtrang zu verlieren. »Florian hat an diesem Tag aber einen fantastischen Job geleistet und Primož wieder vorn herangeführt«, lobte ihn Teamleiter Vila gegenüber »nd«. Und selbst in einer Ausreißergruppe war Lipowitz schon aktiv, holte auf der 6. Etappe einen beachtlichen dritten Tagesrang. Bei der Gelegenheit ließ er aus der Gruppe allerdings auch O’Connor entwischen, der seitdem das Klassement anführt. Ein taktischer Fehler, wie sowohl Vila als auch Lipowitz selbst zugaben.

Seit jenem Tag tut der Jungprofi alles, damit sein Teamkapitän den dort erlittenen Rückstand reduzieren kann. Weil auch die Konkurrenz mittlerweile die Stärke des früheren Biathleten kennt, ist dessen Radius für neuerliche Ausreißversuche eher begrenzt. »Ich denke, die anderen Teams werden ihm nicht erlauben, erneut in eine Fluchtgruppe zu gehen. Ich an deren Stelle würde das jedenfalls nicht zulassen. Und warum soll ich ihn aufopfern, wenn ich weiß, dass vier oder fünf Teams ihn jagen würden? Das macht keinen Sinn«, meinte Vila. Und so wird Lipowitz wohl bis zum Abschluss dieser Vuelta aufmerksam an der Seite von Primož Roglič fahren, um für ihn Rot zu sichern, und für sich als Nebenprodukt der Teamtaktik vielleicht auch Weiß.

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