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Regierungsbildung in Sachsen nur rechnerisch einfach
Die siegreiche CDU hat zwei Möglichkeiten zur Koalitionsbildung, doch bei beiden hakt es
Eine Devise, die Lebensberater in Krisensituationen gern mit auf den Weg geben, lautet: Freue dich an den kleinen Dingen! Susi Schaper schien das Motto am Tag nach der verlorenen Landtagswahl beherzigen zu wollen. Die Landeschefin der Linken, die im Freistaat erstmals im Osten an der Fünfprozenthürde gescheitert und nur dank des Gewinns zweier Direktmandate in den Landtag eingezogen ist, verwies auf die Folgen für die AfD. Diese erhält dadurch »nur« 40 Sitze und verfehlt haarscharf das Quorum, mit dem sie Verfassungsänderungen und andere wichtige Entscheidungen hätte blockieren können. »Wir haben durch unseren Einzug die Sperrminorität verhindert«, sagte Schaper, »und damit im Unterschied zu anderen die extreme Rechte tatsächlich geschwächt.«
Abgesehen davon hat Die Linke im Dresdner Landtag vor allem erheblich an Gewicht verloren. Sie stellt mit sechs Abgeordneten die kleinste Gruppierung. Ob diese Zahl wie bisher für die Bildung einer Fraktion reicht, muss das Parlament entscheiden, das sich innerhalb von 30 Tagen nach der Wahl konstituieren muss. Die CDU, die am Wahlabend die Nase knapp vor der AfD hatte und diese mit einem Ergebnis von 31,9 Prozent um 1,3 Punkte hinter sich ließ, kommt auf 41 Abgeordnete, davon 27 direkt gewählte. Bei der AfD sind 28 der 40 Abgeordneten direkt in den Wahlkreisen gewählt. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) brachte es aus dem Stand auf 11,8 Prozent und stellt 15 Abgeordnete. Die SPD verschlechterte sich leicht auf 7,3 Prozent, was für zehn Sitze reicht, die Grünen rutschten deutlich auf 5,1 Prozent ab und stellen noch sieben Abgeordnete, darunter ebenfalls zwei Wahlkreissieger aus Leipzig und Dresden. Um die Zahlen hatte es am Morgen nach der Wahl Verwirrung gegeben. Der Landeswahlleiter machte eine Softwarepanne dafür verantwortlich, dass zunächst irrtümlich andere Zahlen veröffentlicht worden waren. Laut diesen wäre die AfD auf 41 Mandate gekommen und hätte die Sperrminorität erreicht.
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Rechnerisch ist die Lage mit Blick auf die Regierungsbildung damit einfach, die Möglichkeiten sind überschaubar. Keine andere Partei will sich mit der AfD einlassen. Deren Generalsekretär Jan Zwerg betonte zwar, man stehe »für Gespräche bereit«; die Wähler wünschten eine »stabile, freiheitlich-konservative Regierung« im Freistaat. Allerdings erwiderte CDU-Generalsekretär Alexander Dierks, zur Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der AfD habe es stets eine »klare Ansage« gegeben, die »natürlich Bestand« habe. Auch BSW-Landesvize Lutz Richter betonte, man werde keinen AfD-Ministerpräsidenten wählen: »Da gibt es bei uns große Einigkeit.«
Gleichzeitig gibt es eine parteiübergreifende Abneigung gegen eine Minderheitsregierung. Dierks betonte, man wolle das »aufgewühlte und zerrissene Land« einigen und eine »Mehrheitsregierung« bilden. Auch SPD-Landeschef Henning Homann betonte, Sachsen brauche stabile Verhältnisse. Das bedeute aber auch, dass es »natürlich nicht viele Optionen« gebe. Die rechnerisch naheliegendste ist ein Bündnis aus CDU, BSW und SPD, das zusammen 66 der 120 Abgeordneten stellen würde. Allerdings zeichnete sich schon am Tag nach der Wahl ab, dass Gespräche zäh verlaufen dürften. Vor allem die SPD zeigt ihr Unbehagen über die neue Partei deutlich. Er sehe diese »extrem skeptisch«, sagte Homann und merkte an, der programmatische Kurs der Wagenknecht-Partei sei »völlig unklar«. So sei offen, wie das BSW zu aus SPD-Sicht wichtigen landespolitischen Themen wie einem Vergabegesetz stehe.
Das BSW wiederum zeigt sich bereit zum Mitregieren und bestreitet auch Spekulationen, Bundeschefin Wagenknecht habe daran mit Blick auf die Chancen bei der Bundestagswahl 2025 kein Interesse: »Das ist ein Gerücht«, sagte Landeschef Jörg Scheibe. Gleichwohl stehe das BSW für eine grundsätzlich andere Politik im Land: »Wir sind nicht nur Steigbügelhalter.« An den Themen, die Scheibe in den Vordergrund rückte, lässt sich der versprochene Umbruch freilich noch nicht unbedingt ablesen. Er nannte einen Corona-Untersuchungsausschuss sowie den Abbau von Bürokratie und »Förderdschungel«. Oberste Priorität habe ohnehin die »Friedensproblematik«. Sachsen solle im Bundesrat auf eine diplomatische Lösung des Krieges in der Ukraine drängen. SPD-Chef Homann merkte an, es gebe »überhaupt keinen juristischen Weg, dass Sachsen den Bund zu Friedensverhandlungen nötigt.«
All das deutet auf schwierige Gespräche hin. CDU-General Dierks, der jede inhaltliche Einschätzung etwa zum BSW tunlichst vermied, sprach mehrfach von »langen Gesprächen« und betonte, man werde »Stück für Stück« nach politischen Schnittmengen und Kompromissen suchen. Wen die CDU dazu einladen wird, ließ er offen. Darüber müsse zunächst in den Gremien beraten werden.
Rechnerisch gibt es immerhin noch eine weitere Option: Die CDU könnte auch die bisherige Koalition mit SPD und Grünen fortsetzen, wenn sie um Die Linke erweitert würde. Ein solches Viererbündnis käme auf 63 Stimmen. Das gilt aber als höchst unwahrscheinlich, nicht nur, weil CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer im Wahlkampf immer wieder betont hatte, nicht noch einmal mit den Grünen regieren zu wollen. Auch nach der Wahl bezichtigte Dierks die Ökopartei eines »gouvernantenhaften, schurigelnden Politikstils«. Grünen-Landeschefin Marie Müser wiederum betonte zwar, man sehe sich »weiterhin als Kraft, die sächsische Landespolitik gestalten will«. Allerdings hadern die Grünen auch spürbar mit dem mageren Ergebnis und gehen deutlich auf Abstand zu Kretschmers CDU, der sie vorwerfen, mit einer Angstkampagne gegen die Grünen »die demokratische Mitte enorm geschwächt« zu haben. Für Die Linke wiederum erwiderte Schaper auf die Frage nach eventueller Bereitschaft zum Mitregieren, man sehe sich »nicht in der Position, nach vorn zu springen«. Man werde die Entwicklung beobachten und bei Bedarf »solidarisch miteinander entscheiden«. Kretschmer erteilte in Berlin einem Bündnis mit der Linken eine Absage. Man sei zwar politisch im Gespräch, »aber eine strukturelle Zusammenarbeit, eine Koalition gibt es nicht«.
In den Landtag gewählt ist neben den 119 Abgeordneten der sechs Parteien auch Matthias Berger, der Oberbürgermeister von Grimma, der als Spitzenkandidat der Freien Wähler seinen Wahlkreis direkt gewann. Ob er das Mandat annimmt, blieb zunächst offen; die Freien Wähler hatten sich mehr Einfluss erhofft. Im Zweifelsfall dürfte er von der AfD umworben werden – um dieser durch die Hintertür doch noch zur Sperrminorität zu verhelfen.
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