Hadi Darvish ist einer von acht Sportlern im Flüchtlingsteam

Geflüchtete mit Behinderungen erleben besondere Herausforderungen, dem iranischen Gewichtheber half der Sport

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.
Gewichtheber Hadi Darvish floh aus dem Iran nach Deutschland und startet in Paris für das Flüchtlingsteam.
Gewichtheber Hadi Darvish floh aus dem Iran nach Deutschland und startet in Paris für das Flüchtlingsteam.

Hadi Darvish staunte. Der Gewichtheber wirkte so, als könne er nicht glauben, was er da sah. Während der Eröffnungsfeier der Paralympics bewegte er sich mit seinem Rollstuhl durch das Zentrum von Paris. Er blickte auf den Eiffelturm, lächelte Teamkollegen an, fotografierte die Maskottchen der Spiele. »Es ist eine unglaubliche Ehre, in Paris dabei zu sein«, sagt er. »Und es zeigt, dass sich harte Arbeit und Geduld am Ende doch auszahlen.«

Darvish ist im Iran aufgewachsen. Als Kind erkrankte er an Polio, er war zunehmend auf einen Rollstuhl angewiesen. Trotzdem ging er schwimmen und trainierte im Fitnessstudio. 2012 sah er im Fernsehen die vollen Stadien bei den Paralympics in London. Diese Begeisterung wollte er auch erleben.

2019 kam Darvish mit seiner Frau und zwei Kindern nach Deutschland. Er sagt: »Wir mussten im Iran unseren Besitz verkaufen, um uns die Flüge leisten zu können.« Sie beantragten Asyl. Er möchte nicht über die Fluchtursachen sprechen, sondern lieber über das Ankommen. Fast zwei Jahre hat die Familie in Flüchtlingsunterkünften gelebt. »Am Anfang wollte keine Bank für uns ein Konto eröffnen. Zum Glück habe ich dann über den Sport Kontakte geknüpft.« Irgendwann bekam die Familie eine Wohnung in Königswinter.

Der Gewichtheber trainiert in einem Fitnessstudio sechsmal pro Woche. Für seinen Wettkampf bei den Paralympics am Freitag in der Klasse bis 80 Kilogramm wähnt er sich in guter Form. Die eigentliche Herausforderung, sagt er, war der Weg dorthin: »Nach meiner Ankunft in Deutschland wusste ich erst nicht, an wen ich mich wenden sollte. Ich habe Mails an Vereine und Verbände geschickt. Viele blieben unbeantwortet.« Schritt für Schritt aber machte er sich mit dem Sportsystem vertraut. Und ist nun auf der größten Bühne überhaupt aktiv – im Flüchtlingsteam.

Bei den Paralympics ist zum dritten Mal ein Team von Geflüchteten dabei. Beim ersten Mal, 2016 in Rio, waren zwei Athleten vertreten. 2021 in Tokio waren es sechs, in Paris sind es nun acht. Diese Sportler sollen die mehr als 120 Millionen Menschen repräsentieren, die ihre Heimat aus politischen oder humanitären Gründen verlassen mussten. Im Taekwondo gewann die Afghanin Zakia Khudadadi am ersten Wettkampftag mit Bronze die erste paralympische Medaille überhaupt für das Flüchtlingsteam.

Heute leben weltweit 1,2 Milliarden Menschen mit einer Behinderung, 80 Prozent davon in einkommensschwachen Regionen.

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»Viele geflüchtete Menschen beginnen ihr neues Leben mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen«, erläutert Andrew Parsons, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). »Der Sport kann eine wichtige Rolle dabei spielen, dass sie sich in die Gesellschaft integrieren.«

Mithilfe des Flüchtlingsteams kehren die Paralympics auch zu ihren Ursprüngen zurück. 1939 war der deutsch-jüdische Neurologe Ludwig Guttmann mit seiner Familie nach England geflohen. In einem Krankenhaus nordwestlich von London revolutionierte er die Behandlung für Querschnittsgelähmte. Guttmann animierte sie auch zu mehr Bewegung.

Im Juli 1948 organisierte der Flüchtling Guttmann einen Wettkampf im Bogenschießen für Kriegsversehrte. Diese Spiele von Stoke Mandeville begannen am selben Tag wie die Olympischen Spiele in London. An dieses Fundament der Paralympics erinnert IPC-Präsident Parsons: »Mit Sport konnten die Patienten ihre Reha beschleunigen. Sie konnten wieder eine Arbeit aufnehmen, Steuern zahlen und damit das Gesundheitswesen und den Staat entlasten.«

Heute leben weltweit 1,2 Milliarden Menschen mit einer Behinderung, 80 Prozent von ihnen in einkommensschwachen Regionen. Diese Zahlen werden weiter steigen, angesichts von Kriegen und Umweltschäden. Viele werden womöglich fliehen müssen. Und auch in Deutschland müssen sich Politik und Zivilgesellschaft mit den Konsequenzen beschäftigen.

Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, verweist in einem Videointerview auf die Herausforderungen für Geflüchtete mit Behinderungen: Ist die Barrierefreiheit in Flüchtlingsunterkünften gewährleistet? Oder: Wo erhalten zum Beispiel blinde Kinder Unterstützung beim Deutsch-Unterricht? Auch der Hadi Darvish und seine Familie mussten sich nach ihrer Ankunft in Deutschland mit diesen Fragen befassen. Nun genießt der 37-jährige Gewichtheber aber erst mal die Vorfreude auf seinen paralympischen Wettkampf. Danach will er weiter lernen und sich einbringen, am liebsten als Trainer.

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