WTO-Jahresbericht: Die Hochzeit des Welthandels scheint vorbei

WTO-Jahresbericht lobt Erfolge der Globalisierung und wirbt für mehr wirtschaftliche Inklusion

WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala
WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala

Die Welthandelsorganisation (WTO) ist nach wie vor eine wichtige Verteidigerin des globalen Handels. Diesem werde zu Unrecht vorgeworfen, er schaffe Ungleichheit in der Welt. »Das Gegenteil ist der Fall«, heißt es in dem am Montag veröffentlichten »Welthandelsreport 2024« der Genfer UN-Organisation. Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern holten zu den fortgeschrittenen Volkswirtschaften auf, während Millionen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften weiter voranschritten. 

In den letzten 30 Jahren ist die Welt nach Ansicht der WTO Zeuge einer Periode beispielloser Einkommenskonvergenz geworden, begleitet von einem starken Rückgang der Armut. Zwischen 1995 und 2023 wuchs das globale Pro-Kopf-Einkommen inflationsbereinigt um etwa 65 Prozent, das Pro-Kopf-Einkommen der Volkswirtschaften mit niedrigem und mittlerem Einkommen sogar um mehr als 190 Prozent. Wirtschaftswachstum trug dazu bei, in diesen Ländern die extreme Armut von 40,3 Prozent auf 10,6 Prozent der Bevölkerung zu senken. Daher sei es »unverständlich«, dass noch immer über den Nutzen der Globalisierung gestritten werde, heißt es in dem 160-seitigen Report.

Die Welthandelsorganisation schreibt hier eine Wachstumsgeschichte, die auch von linken Ökonomen nicht grundlegend bestritten wird. Etwa die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik weist jedoch auf die Schattenseiten hin, etwa auf Erdüberlastung und Klimafolgen, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen im Bergbau, Hungerlöhne für Kaffeebauern und Wohnungsmangel in den Metropolen.

Schattenseiten der Globalisierung

Auch die WTO leugnet die Schattenseiten der Globalisierung nicht. So hält der Report fest, dass immer noch 712 Millionen Menschen weltweit in extremer Armut leben. Und die Ungleichheit in den Ländern sowie zwischen Ländern und Regionen bleibe »konstant hoch«. Dennoch wirbt WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala weiter für Globalisierung: Die »globale wirtschaftliche Konvergenz«, sei nur möglich geworden, weil die Welt offener und integrierter geworden sei, was den Zugang zu neuen Märkten erweitert, neue Technologien für ein schnelles und nachhaltiges Wachstum gefördert habe. Laut der Nigerianerin könnte und sollte viel mehr getan werden, um einen wirklich »integrativen Welthandel« und im Ergebnis »mehr Inklusion« zu erzielen.

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Die WTO ist selbst quasi ein Kind der Globalisierung. Im April 1994 in der neutralen Schweiz gegründet, sollte sie die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen für einen freien, kapitalistischen Welthandel regeln. Als Höhepunkt gilt der Beitritt Chinas im Jahr 2001. Gerade Entwicklungsländer sahen sich in den globalen Vereinbarungen jedoch weiter stark benachteiligt. Und mit der Weltfinanz- und -wirtschaftskrise 2008 bröckelte die Begeisterung für liberale Handelspolitik auch anderswo.

Statt auf einheitliche WTO-Regeln setzt der Globale Norden lieber auf bilaterale Verträge. Mittlerweile sind laut deutschem Zoll Handelsabkommen zwischen der EU und 78 Ländern in Kraft. Mit weiteren 25 sind sie vereinbart, aber noch nicht in Kraft getreten. Was auch dem gewachsenen Widerstand gegen neoliberale Globalisierung in Teilen der Zivilgesellschaft und der Parteienlandschaft geschuldet ist. So liegt das Abkommen der EU mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay seit Langem auf Eis.

Im Zentrum der WTO stehen zwei Grundprinzipien: Länder müssen alle Handelsvorteile wie zum Beispiel Zollvergünstigungen, die sie einem Staat gewähren, auch allen anderen 164 Mitgliedsländern garantieren. Zudem dürfen ausländische Waren und deren Anbieter nicht schlechter behandelt werden als inländische.

Vor allem in den USA haben es Anhänger solch allgemeingültiger Regeln in beiden großen Parteien traditionell schwer. Spätestens seit Präsident Donald Trump mit Zollschranken gegenüber China, aber auch der EU seine America-first-Politik umsetzte, stehen die WTO-Regeln im Abseits. Auch Nachfolger Jo Biden blockiert die Neubesetzung des Genfer Gremiums, das Streits zwischen Mitgliedsländern schlichten soll – und auch nicht davor zurückschreckte, die Großmächte USA und China zur Änderung ihrer Handelspolitik zu drängen.

Welthandel wächst wieder

Vor dem »Aus« steht der Welthandel trotzdem nicht. Aufstrebende Volkswirtschaften wie Vietnam oder Katar, aber auch exportorientierte wie Deutschland, Australien oder China setzen weiter auf zunehmende Ausfuhren. Nach der Corona-Delle hat sich der Welthandel im dritten Quartal 2024 weiter erholt, meldet die WTO. Aufs Jahr hochgerechnet steht ein Plus von 2,7 Prozent – was allerdings nur noch halb so viel ist wie zu Hochzeiten der Globalisierung.

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