»Stahl in Duisburg muss eine grüne Zukunft haben«

Betriebsratsvorsitzender Ali Güzel über kämpferische Kollegen bei Thyssen-Krupp, Willkür des CEO und die Frage der Dekarbonisierung

  • Interview: David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Protestaktion bei Thyssen-Krupp Steel
Protestaktion bei Thyssen-Krupp Steel

Wie steht es nach der Auswechslung von drei Vorständen und dem Rücktritt von vier Aufsichtsräten um den kriselnden Riesen Thyssen-Krupp Steel?

Der größte deutsche Stahlproduzent ist mit vielen Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert. Die Konjunktur kommt nicht in den Tritt, Deutschland ist der kranke Mann Europas, die Stahlindustrie wird zusätzlich von Importen außerhalb der EU massiv unter Druck gesetzt. Wir stehen vor der größten Transformation unserer Industrie, wollen und müssen die Stahlproduktion dekarbonisieren. Der kürzlich geschasste Stahlvorstand hat einen neuen Businessplan erarbeitet inklusive Reduzierung der Produktion und Personalanpassungen. Unserer Konzernmutter, der Thyssen-Krupp AG mit dem CEO Miguel López, reicht dies nicht, weil sie uns möglichst billig loswerden beziehungsweise verselbständigen möchte – unter Beteiligung eines Investors. Ich übertreibe sicher nicht, wenn ich sage, dass es eine der schwersten Phasen der Thyssen-Krupp Steel ist.

Interview


Ali Güzel ist Betriebsratsvorsitzender am größten Stahlstandort Europas in Duisburg-Hamborn/Beeckerwert. Das Interview führte David Bieber.

Wie ist die Stimmung in der Belegschaft?

Unsere Kolleginnen und Kollegen verspüren eine sehr große Unsicherheit. Sie sind gleichzeitig kämpferisch, weil sie sich so sehr mit dem Stahl identifizieren und nicht lautlos zusehen werden, wie ein Konzernvorstand mit der Brechstange versucht, sich durchzusetzen. In seiner Verantwortung hat sich der Aktienwert erst halbiert und ist dann auf ein historisches Tief gerutscht. Wir befürchten, dass er den Stahl zum Wohle des Restkonzerns opfern will. Das wäre ein industrielles Desaster für die Region, Nordrhein-Westfalen und Deutschland.

Eigentlich wollten Sie, zusammen mit der Gewerkschaft, vor wenigen Tagen nur die Belegschaft informieren. Dann aber startete der Betriebsrat spontan eine Aktion, die man sonst eher aus Frankreich kennt.

In den Büros informieren sich Beschäftigte über die aktuelle Lage, Hintergründe, Handlungsmöglichkeiten und Auswirkungen sowie über ihre Rechte und fragen nach Möglichkeiten, sich der López-Willkür zu widersetzen. Die mobilen Betriebsratsbüros vor den Toren der Betriebe sind außerordentlich gut besucht worden. Die spontanen Arbeitsniederlegungen haben teilweise zu Verkehrsblockaden geführt, wie in Siegen, Dortmund, Duisburg, und zu spontanen Solidaritätsbekundungen prominenter Politikerinnen und Politiker. Die Resonanz hat uns selbst überwältigt – und ein bisschen stolz gemacht. Die Gesellschaft ändert sich und damit auch die Formen des Protestes. Aktuell wird von unserer Seite aus aber nicht gestreikt, da wir in der Friedenspflicht sind.

Was wäre mit Blick auf die Arbeiter in Duisburg der Worst Case und was wäre Ihr Wunsch?

Wir sind nicht bei Wünsch-Dir-was, sondern in einer der härtesten Auseinandersetzungen um die Zukunft des größten Stahlproduzenten Deutschlands. Das weckt alle Warnsignale in uns. Stahl in Duisburg und in Deutschland muss eine grüne Zukunft haben. Bei allen notwendigen Veränderungen schließen wir betriebsbedingte Kündigungen aus – das ist mit uns nicht zu machen. Bei einer Verselbständigung gehen wir nur mit, wenn sie finanziell abgesichert ist. Selbst wenn nun sehr kompetente Stahlmanager und Aufsichtsräte weg sind, sind die Probleme nicht weniger geworden. Vielmehr ist klar, dass López für die chaotischen Zustände zuständig ist. Unsere Solidarität gilt an dieser Stelle insbesondere den Kolleginnen und Kollegen von Volkswagen, die sich aktuell in einer ähnlich schwierigen Position befinden.

Ist Thyssen-Krupp Steel am Standort Duisburg gut gerüstet für die anstehende grüne Transformation?

Wir sind mit unseren über 27 000 Kolleginnen und Kollegen absolut überzeugt davon, die Hütte CO2-neutral aufzustellen. Die grüne Transformation verbindet Klimaschutz und die Weiterentwicklung der Industrie. Das ist nicht nur erklärtes Ziel der Politik, sondern in erster Linie auch unser Zukunftsbild. Unsere Kolleginnen und Kollegen sind bestens gerüstet. Wir qualifizieren sie »on the job« und haben unsere Ausbildung modifiziert, um sicherzustellen, dass die neue Direktreduktions-Anlage von unseren Leuten betrieben werden kann. Beim Faktor Mensch mache ich mir keine Sorgen. Wir kochen seit über 200 Jahren Stahl und werden das auch CO2-neutral und wasserstoffbasiert hinbekommen.

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