• Berlin
  • Landtagswahl Brandenburg

Verkehrsexperte rast auf Datenautobahn

Landtagskandidat Fritz Viertel (Linke) setzt auf Wahlwerbung bei Facebook und Instagram

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Der linke Verkehrsexperte Fritz Viertel rast über die Datenautobahn.
Der linke Verkehrsexperte Fritz Viertel rast über die Datenautobahn.

Fritz R. Viertel hat sich vergeblich um einen aussichtsreichen Listenplatz bemüht. Er steht jetzt auf Rang 13 der Landesliste der Linken für die Landtagswahl am 22. September. Für Brandenburg gilt die Faustregel: Für jedes Prozent Wählerstimmen bekommt eine Partei einen der gewöhnlich 88 Sitze im Parlament. Bei vier Prozent stand Viertels Linke bei der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap. Daraus muss geschlussfolgert werden: Der 32-Jährige hat keine Chance, über die Liste in den Landtag einzuziehen.

Viertel ist außerdem noch Direktkandidat im Wahlkreis 31, der aus der Stadt Erkner und den Gemeinden Hoppegarten, Neuenhagen, Schöneiche und Woltersdorf besteht. Aber da sind seine Aussichten kaum besser. Er trifft auf zwei Landtagsabgeordnete, die schwerlich als Hinterbänkler zu klassifizieren sind: den Ex-Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) und den früheren Rüdersdorfer Bürgermeister André Schaller (CDU). Dazu bekommt er es mit Rainer Galla (AfD) zu tun, der im vergangenen Jahr beinahe die Landratswahl im Kreis Oder-Spree gewonnen hätte.

»Dem Online-Wahlkampf wird nach wie vor viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.«

Sven Kindervater Wahlkampfberater

Doch obwohl der junge Mann nicht gewinnen kann, lohnt es sich, mehr als ein Wort über ihn zu verlieren. Er hat schon als Student als Straßenbahnfahrer gejobbt und tut es heute noch gelegentlich, wenn er dazu kommt. Er war Referent der Linke-Landtagsfraktion, arbeitet inzwischen als Stadtplaner bei der Gemeindeverwaltung Rüdersdorf. Er ist Landesvorsitzender des alternativen Verkehrsclubs VCD und sagt in dieser Funktion: »Die bestehenden Verkehrsverhältnisse sind nicht nur ökologisch sinnfrei, sondern in höchstem Maße sozial ungerecht. Es sind die Ärmsten, die Lärm und Abgasen am meisten ausgesetzt sind, weil sie öfter an stark befahrenen Straßen wohnen. Dabei können sie sich viel seltener ein eigenes Auto leisten.« Deshalb streite er für eine Verkehrswende.

Und nun ist Fritz Viertel nicht nur persönlich bei Wahlkampfauftritten zu erleben, sondern ganz modern und auf eine in dieser Form hierzulande noch nicht übliche Weise auf den Internetplattformen Facebook und Instagram präsent, vor allem mit Bildern, aber auch mit Videos, die prinzipiell sehr gut laufen derzeit. Dahinter steht sein Berater Sven Kindervater, der schon im Januar versprochen hatte: »Wir werden den Wahlkampf im Wahlkreis 31 neu schreiben.«

Etwa 22 000 erreichbare Facebook- und Instagram-Konten gebe es in den fünf Städten und Gemeinden im Wahlkreis, erläutert Kindervater. 10 Euro pro Tag und Ort habe man in den virtuellen Wahlkampf gesteckt und für 425 Euro in zehn Tagen 10 000 Konten erreicht. »Bezahlte Reichweite ist unumgänglich«, sagt Kindervater. »Das Video kann noch so witzig sein, der Spruch noch so provokant: Kein Profil in den sozialen Medien hatte im Vorfeld der Wahlen ausreichend Reichweite.«

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Vielmals sei wieder zu erleben gewesen, wie eilig neue Konten ohne Werbebudget aus dem Boden gestampft wurden. Doch wer seine Botschaften unverändert verbreiten wolle, müsse Geld in die Hand nehmen, ob nun für Großplakate oder eine Instagram-Story. Politiker könnten unbezahlt kaum auf Reichweite kommen, da sie mittlerweile gegen Tausende hochprofessionelle Konten mit Dutzenden Mitarbeitenden, ausgeklügelten Finanzierungskonzepten und emotionalisierenden Inhalten agierten. Außerdem schränkten Plattformen wie Instagram und Facebook zunehmend die politische Reichweite ein, weil sie es leid seien, dass Fernsehsender im US-Wahlkampf immer noch den Großteil des Werbebudgets einsacken.

Kindervater kennt sich aus mit dieser Materie. Er leitet beim Verein Deutschland sicher im Netz (DsiN) das Projekt »PolisiN« (Politiker*innen sicher im Netz). Angeboten werden Schulungen etwa zum Umgang mit Desinformation und Hassreden, zum digitalen Bürgerbüro und übrigens auch zu erfolgreichen Kampagnen in den sozialen Medien – was der Kandidat Fritz Viertel jetzt praktisch ausprobiert. Er präsentiert sich als demokratische Alternative zu Hass und leeren Versprechungen und verspricht dem Wähler seinerseits: »Ich kämpfe mit dir für ...« mehr Bus- und Bahnverbindungen, einen echten Mietendeckel und sozialen Wohnungsbau, wehrhafte Demokratie statt Wehrdienst und so weiter.

»Dem Online-Wahlkampf wird nach wie vor viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt«, bedauert Kindervater, der mal Linksfraktionschef in der Gemeindevertretung von Neuenhagen war und dort 2018 bei der Bürgermeisterwahl antrat, aber mit 17,1 Prozent knapp die Stichwahl verpasste. Kindervater erzählt, selbst US-Senator Bernie Sanders – sozialistisches Urgestein der Demokraten und mittlerweile 83 Jahre alt – habe die deutsche Linke Katja Kipping bei ihrem letzten Aufeinandertreffen regelrecht entsetzt angeschaut, als er mitbekommen habe, wie wenig hier online getan werde.

Auch andere Kandidaten sind bei Facebook und Instagram zu finden. Das ist Standard. Doch selten steht eine ausgeklügelte Strategie dahinter. Fritz Viertels Online-Kampagne komme bisher bei den über 65-Jährigen sehr gut an und bei Männern im Alter des Kandidaten, sagt Kindervater. Da wäre jetzt eine Feinabstimmung gefragt, um auch andere Personengruppen anzusprechen. Dabei gehe es übrigens nicht um Manipulation der Wähler, versichert Kindervater: »Vielmehr muss der Wurm dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -