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IG-Metall: Bässe für mehr Lohn
Demonstrationen zum Tarifauftakt in Metall- und Elektroindustrie
Bässe wummern an diesem Samstagmorgen über den Stadtplatz am Neuen Lustgarten in der Potsdamer Altstadt. Ein DJ der IG Metall Jugend legt 90er Eurodance auf, das Motto: »170 BPM für 170 Euro«. Hunderte Gewerkschafter*innen aus Berlin, Brandenburg und Sachsen haben sich hier versammelt, um den Auftakt der diesjährigen Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie zu begehen. Die IG Metall spricht später von 1500 Demonstrierenden. Unter lauten Sprechchören und den Geräuschen der Trillerpfeifen ziehen die Gewerkschafter*innen durch die Potsdamer Innenstadt.
Wie auch in den anderen Tarifbezirken im Bundesgebiet fordert die Gewerkschaft für Berlin-Brandenburg und Sachsen eine Tariflohnerhöhung von 7 Prozent mit einer Laufzeit von 12 Monaten und Nachbesserungen bei den freien Tagen, die als Alternative zu einem tariflichen Zusatzgeld genommen werden können. Zudem soll die Auszubildendenvergütung um 170 Euro steigen. Die Arbeitgeber kritisieren die Forderungen der Gewerkschaft und hatten teils eine Nullrunde in Aussicht gestellt. Sie verweisen auf die zuletzt schleppende wirtschaftliche Entwicklung und beklagen rückläufige Aufträge sowie Umsätze.
»Ich wohne noch bei meinen Eltern. Nicht weil ich das geil finde, sondern weil ich auf eine eigene Wohnung aktuell keine Chance habe«, begründet ein Auszubildender, der sich »nd« gegenüber als Valle vorstellt, vom Lautsprecherwagen aus die Forderungen für die Auszubildenden. Es sei »zum Kotzen«, dass die finanzielle Sicherheit fehle. So seien etwa die von Arbeitgebern mit der Begründung der Flexibilität eingeforderten Führerscheine große Posten für jemanden mit einem Azubi-Einkommen. Aktuell erhalten Auszubildende in der Metall- und Elektroindustrie laut Gewerkschaft rund 1100 Euro im ersten Lehrjahr, in Ostdeutschland oft weniger.
Verhandelt wird in Berlin und Brandenburg seit Freitag für rund 100 000, in Sachsen seit Mittwoch für rund 69 000 Beschäftigte. Die ersten Verhandlungen endeten ohne Angebote der Arbeitgeberseite. »Die Arbeitgeber glauben immer noch, sie könnten euch mit einer Nullrunde abspeisen. Das wird es mit der IG Metall nicht geben«, gibt sich der zuständige Bezirksleiter Dirk Schulze bei der Abschlusskundgebung am Bassinplatz kämpferisch. Es gebe zwar auch Unternehmen, bei denen es derzeit nicht gut laufe, gibt er zu. Tabellenwirksame Tariferhöhungen passten dennoch absolut in die Zeit, um durch Inlandsnachfrage zu einer Konjunktur beizutragen. Zudem appelliert er an die Arbeitgeber, Stellenstreichungen zu unterlassen: »Hände weg von den Arbeitsplätzen, Hände weg von den Standorten! Bei VW, bei ZF und bei allen anderen Unternehmen«. Der Autozulieferer ZF plant, bis 14 000 Stellen in Deutschland zu streichen – produziert wird unter anderem in Brandenburg an der Havel.
»Für viele Beschäftigte ist die Standortsicherung ein zentrales Thema.«
Anna-Lena Brand IG Metall Bautzen
Allgemein sind auffällig viele Beschäftigte aus Sachsen angereist. Insbesondere die Zwickauer VW-Belegschaft macht immer lautstark auf sich aufmerksam, auch wenn sie nicht unter den Flächentarif der Metall- und Elektroindustrie fällt. Der Sparkurs des VW-Konzerns könnte auch dort Auswirkungen haben, etwa in den vielen Zulieferbetrieben. Am Freitag gab der Autobauer laut Freier Presse bekannt, auch für die drei sächsischen Standorte Zwickau, Chemnitz und Dresden die Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung zu kündigen. In Sachsen könnten dem Unternehmen also bald Arbeitskämpfe ins Haus stehen.
Anna-Lena Brand zeigt sich im Gespräch mit dem »nd« mit der Demonstration am Samstag zufrieden. »Der Tarifauftakt war kraftvoll, bei den eigentlichen Warnstreiks wird es dann hoffentlich noch eindrucksvoller«, so die Gewerkschaftssekretärin für Erschließung und Jugend aus Bautzen. Brand ist mit etwa 80 Kolleg*innen aus der Geschäftsstelle Ostsachsen angereist. Wichtige Unternehmen dort sind unter anderem der Zugbauer Alstom in Görlitz und Bautzen sowie die Accumotive in Kamenz, wo Batterien für Elektrofahrzeuge hergestellt werden. »Für viele Beschäftigte in unserer Geschäftsstelle ist die Standortsicherung neben den Gehaltssteigerungen ein zentrales Thema«, erklärt sie. Für Brand ist zudem die Jugendforderung von besonderer Bedeutung. »Mit dieser ersten expliziten Jugendforderung seit mehreren Tarifrunden können wir die Tarifverhandlungen entknöchern und auch für junge Menschen zugänglich machen«, so die 25-Jährige.
Zum bundesweiten Abschluss der ersten Verhandlungsrunde finden am Montag noch Gespräche für das Tarifgebiet Küste statt. In der vergangenen Woche wurde unter anderem bereits in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verhandelt. In München waren am Mittwoch laut IG Metall knapp 5000 Beschäftigte auf die Straße gegangen. Die nächsten Beratungen sind für Mitte Oktober geplant. Die Friedenspflicht läuft am 28. Oktober aus, danach sind Warnstreiks möglich.
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