Von der Leyens Team steht

Die Auswahl einiger neuer EU-Kommissare stößt auf Kritik

  • Stella Venohr
  • Lesedauer: 5 Min.
Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission
Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission

Nach wochenlangen Spekulationen über die Zusammensetzung der nächsten EU-Kommission hat Ursula von der Leyen das Team für ihre zweite Amtszeit als Präsidentin der mächtigen Brüsseler Behörde vorgestellt. Thematisch setzt sie dabei vor allem auf Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit, weniger auf Klimaschutz. Brisant ist eine Personalie: Mit Raffaele Fitto soll zum ersten Mal ein Politiker der rechtsextremen italienischen Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) zu einem der Vizepräsidenten der EU-Kommission ernannt werden.

Vor fünf Jahren war der Fokus klar. »Das letzte Mal war das Thema der globalen Erwärmung absolut top«, sagte von der Leyen. Das Thema sei mit Blick auf Waldbrände und Überschwemmungen immer noch dominant. »Aber dieses Mal hat zum Beispiel das Thema Sicherheit, ausgelöst durch den russischen Krieg in der Ukraine, aber auch das Thema Wettbewerbsfähigkeit viel mehr Einfluss« auf die Organisation ihres Teams, sagte sie.

Verteidigungsunion als Schlüsselthema

Das zeigt sich auch an dem neu geschaffenen Posten des Verteidigungskommissars. Besetzen soll ihn Litauens Ex-Premierminister Andrius Kubilius – und damit jemand aus einem Land, das an Russland grenzt. »Er wird sich für die Entwicklung der Europäischen Verteidigungsunion einsetzen und unsere Investitionen und industriellen Kapazitäten stärken«, betonte von der Leyen.

Der Posten kommt mit einigen Herausforderungen. Pläne, einen Binnenmarkt für die Rüstung zu schaffen, stoßen oft auf Gegenwind – vor allem von Ländern, die dadurch benachteiligt wären. Kubilius, der zweimal litauischer Ministerpräsident war, ist seit 2019 Abgeordneter im EU-Parlament.

Ehemaliger Finanzminister soll Ressort für Migration erhalten

Vor einer großen Aufgabe steht auch der bisherige österreichische Finanzminister Magnus Brunner. Er erhält die Zuständigkeit für Migration und ist damit für die Umsetzung der Asylreform verantwortlich. Das wird nicht einfach, da das Thema immer wieder für Uneinigkeit zwischen den Ländern sorgt. Zuletzt hatte etwa Deutschland mit vorübergehenden Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen eine Debatte ausgelöst.

Die EU-Kommission mit einem Apparat von rund 32 000 Mitarbeitern schlägt Gesetze für die Staatengemeinschaft vor und überwacht die Einhaltung des EU-Rechts. Alle 27 EU-Staaten durften mindestens eine Kandidatin und einen Kandidaten nominieren. Die Deutsche von der Leyen steht an der Spitze der Behörde, daher gibt es keinen zusätzlichen deutschen Kommissar.

Nominierung Fittos ist ein politisches Risiko

Ein Name unter ihren Kandidaten sorgte bereits vor der Vorstellung für Stirnrunzeln. Der Italiener Fitto war bislang Europaminister in der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und soll nun einer der Vizepräsidenten und Kommissar für Kohäsion und Reformen werden. Damit wäre er unter anderem für den Europäischen Sozialfonds und einen Fonds für regionale Entwicklung verantwortlich.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Die Ernennung Fittos birgt ein politisches Risiko für von der Leyen, da die designierten Kommissare noch von den zuständigen Ausschüssen des Europaparlaments angehört werden müssen. Einzelne Personen könnten noch ausgetauscht werden, bevor das Plenum letztlich über das gesamte Personalpaket abstimmt. Angesichts der komplexen politischen Konstellationen und nationalen Interessen bleibt der Ausgang der Abstimmung, die voraussichtlich im November stattfinden wird, ungewiss. In der Vergangenheit wurden dabei bereits einige unliebsame Kandidaten ausgetauscht.

Kritik an Fittos Ernennung

Fitto gilt als umstritten, weil er der rechten Partei Melonis angehört. Grüne, SPD und Linke im Europaparlament kritisierten von der Leyen umgehend für ihre Entscheidung. »Ursula von der Leyen belohnt Rechtsnationale«, teilte etwa der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi, mit. Doch es gibt auch andere Stimmen. In Brüssel gilt Fitto bei vielen auch als gemäßigt und vor allem proeuropäisch. Meloni zeigte sich jedenfalls hochzufrieden über die geplante Ernennung ihres Vertrauten Fitto. »Endlich ist Italien wieder ein Hauptdarsteller in Europa«, erklärte sie in Rom.

In den sozialen Medien und hinter verschlossenen Türen machten bereits wochenlang Spekulationen die Runde, wer welche Position übernehmen würde. Von der Leyen besetzt viele der Spitzenpositionen in ihrem neuen Kommissionsteam nun mit Frauen. Vier der insgesamt sechs Vizepräsidenten sind weiblich. Auch die neue EU-Außenbeauftragte ist eine Frau: Estlands bisherige Premierministerin Kaja Kallas.

Keine Geschlechterparität

Das angestrebte Ziel der Geschlechterparität verfehlt von der Leyen dennoch. Der neuen Kommission würden 40 Prozent Frauen und 60 Prozent Männer angehören, erklärte sie. Dabei hatten die Staats- und Regierungschefs laut von der Leyen ursprünglich fast 80 Prozent Männer vorgeschlagen: »Das war völlig inakzeptabel.« Einer der künftigen Männer ist wohl der geschäftsführende Außenminister Stéphane Séjourné aus Frankreich. Er soll das begehrte Industrie-Ressort erhalten.

Wann die neue Kommission ihre Arbeit aufnehmen kann, ist noch unklar. Es sei für sie unmöglich, die Dauer dieses Prozesses vorherzusagen, sagte von der Leyen. Ursprünglich war der 1. November geplant. dpa/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.