Den Fachkräftemangel sollen Ältere beheben

Studie: Die Bertelsmann-Stiftung will 1,3 Millionen Vollzeitstellen mit 50- bis 77-Jährigen besetzen

Ein 72-jähriger Straßenarbeiter in Griechenland.
Ein 72-jähriger Straßenarbeiter in Griechenland.

Der verzweifelten Suche nach Fachkräften sollen offenbar Ältere Abhilfe schaffen. Die Ampel-Regierung plant dafür Erleichterungen im Arbeitsrecht und finanzielle Anreize, wie die neue sogenannte Rentenaufschubprämie – mit ihr sollen ältere Menschen ab 2028 mehrere zehntausend Euro von der Rentenversicherung erhalten, wenn sie statt mit 67 mit 70 Jahren in Rente gehen.

Die Vorschläge der Ampel reichen aber nicht aus, stellen die Arbeitsmarktforscher André Schleiter und Eric Thode von der gewerkschaftsnahen Bertelsmann-Stiftung fest. Ihr Konzept nimmt deswegen über finanzielle Anreize und arbeitsrechtliche Erleichterungen hinaus auch eine bessere Gesundheitsvorsorge, altersgerechte Arbeitsplätze sowie mehr Entlastung bei Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen in den Blick. So sollen künftig Teilzeitbeschäftigungen aufgestockt-, spätere Renteneintritte und die Rückkehr aus der Rente vereinfacht- sowie den Wiedereinstieg vor dem Renteneintritt erleichtert werden.

1,3 Millionen Vollzeitarbeitskräfte würden dem Arbeitsmarkt so zusätzlich zur Verfügung stehen. Vorbild für die Berechnungen von Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) war das schwedische Rentenmodell. Für die Studie haben die Forscher die zentralen Eckwerte des schwedischen Arbeitsmarkts für Ältere auf mehrere deutsche Szenarien übertragen.

So nennt unter Teilzeitbeschäftigten in Deutschland mehr als ein Viertel konkrete Gründe, nicht in Vollzeit arbeiten zu können. Dazu gehören insbesondere Krankheit, dauerhafte Erwerbsminderung, Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen oder fehlende verfügbare Vollzeitstellen. Mit besserer Gesundheitsvorsorge und altersgerechten Arbeitsplätzen, mehr Entlastung bei Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen sowie finanziellen Anreizen könnten sie ihre Stundenzahl aufstocken oder in eine Vollzeittätigkeit wechseln, so die Ergebnisse der Bertelsmann-Stiftung.

Für unterschiedliche Berufsgruppen brauche man diverse Maßnahmen, sagte Thode gegenüber der Presseagentur dpa. So könne eine lange in der Produktion beschäftigte Person im höheren Alter auf eine weniger körperlich anstrengende Position im Betrieb wechseln, ein Dachdecker sich beispielsweise künftig im Büro am PC um die Materialbeschaffung kümmern. Die Abschaffung der Rente mit 63, wie sie immer wieder diskutiert wird, bringe vergleichsweise wenig gegen den Arbeitskräftemangel.

Die Vorschläge der Bertelsmann-Stiftung gingen in die richtige Richtung, sagt Matthias W. Birkwald, Rentensprecher der Gruppe Die Linke im Bundestag zu »nd«. Es bräuchte aber über altersgerechte Arbeitsplätze hinaus auch »alternsgerechte« Arbeitsplätze. Eine alternsgerechte Arbeitsgestaltung soll die Arbeitsfähigkeit für die gesamte Dauer der Erwerbstätigkeit erhalten und Unter- und Überforderung sowie dauerhafte Leistungseinbußen vermeiden. Längere Arbeit Älterer könne außerdem einen Beitrag zur Minderung des Fachkräftemangels leisten, diesen aber nicht lösen, so Birkwald weiter. Dazu brauche es weitere Maßnahmen.

Hintergrund der neuen Studie ist der demografische Wandel. Die Zahl der Menschen im Alter zwischen 55 und 70 Jahren sinkt erheblich. 2020 lag sie bei 18,5 Millionen Personen, 2035 werden es 17 Millionen sein, errechnete das DIW auf Basis des Mikrozensus, der größten jährlichen Haushaltsbefragung. Zugleich haben es Arbeitssuchende über 50 weiterhin schwer am Arbeitsmarkt. Sie waren 2023 durchschnittlich 100 Tage länger ohne Arbeit als jüngere Menschen, wie Zahlen des Deutschen Gewerkschaftsbund belegen. Mit ihrer Aktivierung könnte der demografisch bedingte Rückgang in der Erwerbstätigkeit dieser Altersgruppe nahezu ausgeglichen werden.

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