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Vom Schatten der Sonnenseite

Potsdams Kenia am Ende: Die Bilanz der Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.
Sie gehen mit weniger als versprochen: Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und seine Stellvertreter Michael Stübgen (CDU) und Ursula Nonnemacher (Grüne).
Sie gehen mit weniger als versprochen: Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und seine Stellvertreter Michael Stübgen (CDU) und Ursula Nonnemacher (Grüne).

Sie wollten ein anderes, ein besseres Bild abgeben als die ewig zerstrittene Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt, versicherten SPD, CDU und Grüne in Brandenburg, als sie vor knapp fünf Jahren ihren Koalitionsvertrag besiegelten. Von einer Kenia-Koalition spricht man in Anspielung auf die rote, schwarze und grüne Farbe in der Flagge des afrikanischen Staates Kenia. Die 2019 geborene Zusammenarbeit von SPD, CDU und Grünen wird am Wahlsonntag, 22. September, zu Grabe getragen. Nach der Landtagswahl 2019 hatte es keine Mehrheit mehr für die alte rot-rote Koalition gegeben, wohl aber noch eine für eine rot-grün-rote. Doch weil Rot-Grün-Rot nur eine knappe Mehrheit von drei Stimmen im Landtag gehabt hätte, entschied sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), hinfort lieber mit der CDU zu regieren.

Gerade in der Auseinandersetzung mit der zur zweitgrößten Fraktion aufgestiegenen AfD benötigte Woidke eine stabile Mehrheit und die bot ihm einzig Kenia. Diese Regierung wird fast nur von der Macht des Faktischen und dem Zwang zur Einheit zusammengehalten. »Frischen Wind und Stabilität« hatte Woidke versprochen.

Ja, gehalten hat die Koalition bis zuletzt. Aber vielleicht ist das auch das Beste, was man von ihr sagen kann. Erneut eine Mehrheit hätten die drei Parteien – wenn man Umfragen Glauben schenken soll – schon lange nicht mehr gehabt. Immer mühsamer nur konnten die Reibungspunkte kaschiert werden. Mehr und mehr verlief die Regierungsarbeit nach der Methode: Du machst in deinen Ministerien, was du willst, ich in den meinigen, was ich will. Immer ungereimter wurde so, was die Regierung dem Land vorsetzte. Nun hat die offene Gegnerschaft im Wahlkampf die letzten Reste von Gemeinsamkeit vollends aufgezehrt. Die CDU möchte nicht noch einmal mit den Grünen gemeinsam regieren.

Nicht absehbar war bei Regierungsbildung, dass die Corona-Pandemie zu Entscheidungen zwingen würde, die keineswegs von jedem gebilligt worden sind. Auf die Gesellschaft übte das einen bis heute nachwirkenden Druck aus, der auf der einen Seite trotziges Bejahen, auf der andern zu andauernder Distanzierung geführt hat. Auch dass Deutschlands Reaktionen auf den Ukraine-Krieg und die Energiepolitik der Bundesregierung die Erdölraffinerie in Schwedt und die Stahlwerke in Eisenhüttenstadt, Hennigsdorf und Brandenburg/Havel in Bedrängnis brachten, trug nicht zur politischen Beruhigung bei.

Und doch ist es gerade die Wirtschaft, auf die Ministerpräsident Woidke stolz verweist, wenn er von der erfolgreichsten Legislaturperiode seit der Wende spricht. Nach nur 810 Tagen seien die ersten Elektroautos in der Tesla-Fabrik in Grünheide vom Band gerollt. Der Beweis sei erbracht: Auch in Deutschland können solche Dinge schnell gehen, schneller als vielleicht in Texas oder Kalifornien. Die Investition habe Brandenburg international bekannt gemacht. Tesla, aber keineswegs Tesla allein, verschaffte dem Land eine Vorzeigebilanz. In Cottbus entstand ein neues Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn für ICE-Züge, in Cottbus wird künftig auch ein Medizinstudium möglich sein. Brandenburg ist spitze beim Wirtschaftswachstum, hatte 2022 ein Wachstum von 3,3 Prozent, 2023 sogar von sechs Prozent.

Auf die Schattenseiten kommt der Regierungschef weniger zu sprechen. So fehlen – bedingt durch die Abwanderung und die niedrigen Geburtenraten bis 2010 – Fachkräfte allüberall. Es fehlen angesichts von Zuwanderung in den Jahren danach heute Wohnungen, Kitas und Schulen, und trotz Zuwanderung fehlen weiter Arbeitskräfte.

Sie wolle nicht als das »pingelige Spar-Mariechen aus der Prignitz« gelten, sagte Finanzministerin Katrin Lange (SPD). Die Koalition genehmigte sich kurz vor dem Inkrafttreten der Schuldenbremse noch eine Milliarde Euro Kredit für einen Zukunftsinvestitionsfonds. Alle Anstrengungen der vergangenen zehn Jahre, den Schuldenberg abzutragen, würden so mit einem Schlag zunichtegemacht, klagte Landesrechnungshofpräsident Christoph Weiser. Wenn eine neue Regierung – welche auch immer – die Kassen öffnet, wird sie diese leer vorfinden. Die einst angesparte Rücklage ist aufgebraucht.

Ob sich die Brandenburger inzwischen daran gewöhnt haben, dass ihr Bildungswesen bei nationalen und internationale Vergleichen hintere Plätze belegt, lässt sich schwer sagen. Aber wenn 40 Prozent der Kinder in der 4. Klasse nicht richtig lesen, schreiben und rechnen können, dann fragt sich, was in den Schulen vorgeht. Schon jeder vierte Lehrer im Land ist ein Seiteneinsteiger, und dennoch gibt es nicht genug davon.

Statt der Gesellschaft in der Landesverwaltung zu demonstrieren, wie man angesichts des Fachkräftemangels seine Aufgaben mit weniger Personal erfüllt, blähte Kenia die Verwaltung weiter auf. Bauern, Jäger und Fischer sprechen von »fünf verlorenen Jahren«. Gelobt wird allerdings ein verbesserter Hochwasserschutz. Den deutlichen Zuwachs an bestellten Zugverbindungen hält sich das Infrastrukturministerium zugute. Doch viele Züge kamen, wenn überhaupt, nicht pünktlich.

Ministerpräsident Woidke räumt ein, dass der große Vorsprung Brandenburgs bei Wind- und Solarenergie den Einwohnern des Landes seit Jahren deutlich höhere Stromkosten verursacht und in Bayern, das bei den erneuerbaren Energien lange nicht so weit ist, die Kilowattstunde fünf Cent weniger kostet. »Was das für eine Familie bedeutet, die 5000 Kilowattstunden im Jahr verbraucht, lässt sich ausrechnen.« Doch an den hohen Netzentgelten konnte Woidke nichts ändern.

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