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  • Landtagswahl Brandenburg

SPD und AfD Kopf an Kopf und Linke förmlich zerrieben

Riskantes Manöver von Ministerpräsident Dietmar Woidke ermöglichte fulminante Aufholjagd

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 7 Min.
SPD-Ministerpräsident Woidke konnte sich nach zeitweiliger Schräglage in Brandenburg wieder aufrichten.
SPD-Ministerpräsident Woidke konnte sich nach zeitweiliger Schräglage in Brandenburg wieder aufrichten.

Bei der Landtagswahl in Brandenburg ist es am Ende doch wieder das Kopf-an-Kopf-Rennen von SPD und AfD geworden. Wie schon vor fünf Jahren konnte die in den Umfragen zunächst deutlich zurückliegende SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke auf den letzten Metern noch zur AfD aufschließen. Ob es den Sozialdemokraten am Sonntag aber auch wirklich gelingt, die AfD noch zu überholen, blieb nach den ersten Hochrechnungen am Wahlabend noch unklar.

Beide Parteien dürfte jeweils um die 30 Prozent der Stimmen eingefahren haben mit einer leichten Tendenz, dass die SPD die Nase wieder vorn behält. Die SPD könnte über 30 Prozent erzielt haben und damit einen Prozentpunkt vor der AfD gelandet sein. Damit dürfte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im Amt bleiben. Er hatte seine politische Zukunft mutig an die Voraussetzung geknüpft, dass seine SPD so siegt wie bei allen Landtagswahlen in Brandenburg beginnend mit dem Jahr 1990. Nun müsste er nicht abtreten und könnte unter Umständen seine Koalition mit CDU und Grünen fortsetzen, insofern die Grünen die fünf Prozent auch wirklich schaffen. In einer Hochrechnung von 20 Uhr sah es dann allerdings so aus. als würden die Grünen unter dieser Marke landen. Außerdem hatte die CDU im Vorfeld wenig Neigung gezeigt, sich in Koalitionsverhandlungen erneut mit den Grünen zu einigen.

Nach einer fulminanten Aufholjagd, die sie vor einigen Monaten bei einem Umfragewert von unter 20 Prozent startete, übertraf die SPD am Sonntag dann sogar ihr Ergebnis von der Landtagswahl 2019. Damals hatte sie 26,2 Prozent erhalten. Brandenburgs AfD, von der Experten zwischenzeitlich schon gehofft hatten, diese hätte ihr Potenzial mit 23,5 Prozent im Jahr 2019 ziemlich restlos ausgeschöpft, konnte ihr Ergebnis nun doch wieder deutlich steigern. Auf ein Drittel der Mandate ist sie aber nicht gekommen und könnte damit auch künftig keine Änderungen der Landesverfassung blockieren und auch keine anderen Entscheidungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Der Zweikampf dieser beiden Parteien geht zu Lasten aller anderen Parteien. Die Landes-CDU, die schon 2019 mit 15,6 Prozent ein historisch niedriges Ergebnis erzielte, scheint mit zwölf Prozent einen neuerlichen Negativ-Rekord aufgestellt zu haben.

»Für Erleichterung ist es noch ein bisschen zu früh«, erklärte in der ARD als erster befragter Politiker SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Die »furiose Aufholjagd« der Genossen in Brandenburg sei aber schon einmal ein Erfolg, der ihnen nicht mehr zu nehmen sei. Bundespolitisch ordnete Kühnert das Wahlergebnis folgendermaßen ein: »Wenn es gut läuft, sind die Probleme nicht größer geworden, aber auch nicht kleiner.«

Ministerpräsident Woidke zeigte sich erleichtert, dass dem Bundesland mit einem zu befürchtenden Sieg der AfD »kein großer brauner Stempel« aufgedrückt worden sei. Da dies aber gegen 18.20 Uhr noch lange nicht sicher war, wollte Woidke vorerst noch ein bisschen auf die Euphorie-Bremse treten.

Die Linke wird nach 10,7 Prozent vor fünf Jahren nun förmlich zerrieben und hat den Prognosen zufolge klägliche drei Prozent erhalten. Seit den 27,2 Prozent bei der Landtagswahl 2009, nach der die Sozialisten in eine zehn Jahre währende rot-rote Koalition eingetreten waren, ist es für sie stetig abwärts gegangen bis auf diesen schier unglaublichen Tiefpunkt. Bei der mäßig besuchten Wahlparty in der Hinzenberg-Klause mahnte die Landesvorsitzende Katharina Slanina, den Mut nicht sinken zu lassen. Es sei ein harter Tag, aber man dürfe den Optimismus nicht verlieren.

Hoffen und Bangen mussten am Wahlabend die Grünen, die seit 2019 der kleine Juniorpartner in einer Regierung mit der SPD und der CDU gewesen sind. Die Grünen hatten vor fünf Jahren mit 10,8 Prozent so gut abgeschnitten wie nie zuvor in Brandenburg. Noch vor Monaten wähnten sie sich auf lange Sicht sicher über der Fünf-Prozent-Hürde und damit garantiert im Landtag. Dann kam das böse Erwachen. Als letzte Rettung klammerten sich die Grünen noch an die theoretische Möglichkeit, dass ihre Landtagsabgeordnete Marie Schäffer ihren 2019 in Potsdam gewonnenen Wahlkreis verteidigen kann und damit nach den in Brandenburg geltenden Regeln die Fünf-Prozent-Hürde für ihre Partei ausschaltet. Doch die Chance, dass sie diesen in Brandenburg für die Grünen bislang einzigartigen Sieg wiederholen kann, standen nicht besonders gut – zumal sie es diesmal mit Kulturministerin Manja Schüle (SPD) zu tun hatte, die als die Favoritin in diesem Wahlkreis gelten durfte. Ob es Marie Schäffer dennoch schafft, war am Wahlabend zunächst nicht abzusehen, nach dem schon weit fortgeschrittenen Auszählungsstand lag sie aber gegen 20.40 Uhr schon um die sieben Prozentpunkte hinter Schüle zurück.

Die um 18 Uhr prognostizierten fünf Prozent nahm Spitzenkandidatin Antje Töpfer erst einmal positiv auf. Sie wusste aber auch schon: »Es wird ein langer Abend. Es wird ganz, ganz knapp.«

»Wenn es gut läuft, sind die Probleme nicht größer geworden, aber auch nicht kleiner.«

Kevin Kühnert SPD-Generalsekretär

Eine letzte Rettung für die Linke hätte in Strausberg Kerstin Kaiser sein können, wenn sie dort wie schon von 1999 bis 2014 ihren Wahlkreis ein fünftes Mal gewinnt. Doch das war ein äußerst schweres, fast aussichtsloses Unterfangen. Mit Stand 20.40 Uhr lag der AfD-Kandidat Erik Pardeik mit 35,5 Prozent schon unerreichbar weit vorn für Kaiser, die erst 8,6 Prozent der Erststimmen für sich verbuchen konnte. Die SPD-Landtagsabgeordnete Elske Hildebrandt bewegte sich bei 31,8 Prozent. Die große Unsicherheit in fast allen Landtagswahlkreisen war vorher gewesen, welchen Direktkandidaten die BSW-Wähler ihre Erststimme geben, da die Wagenknecht-Partei nur eine Landesliste aufgestellt hatte und demnach nur Zweitstimmen für die Partei bekommen konnte.

Noch relativ schienen die Aussichten des Landtagsabgeordneten Péter Vida (Freie Wähler), seinen Wahlkreis in Bernau zu verteidigen. Zwei allerdings von den Freien Wählern selbst in Auftrag gegebene Umfragen hatte ihn vor dem Wahltermin vorn gesehen. Bei der Landtagswahl 2019 hatten die Freien Wähler exakt 5,0 Prozent erhalten. Doch nun drohten sie, wieder unter diese Marke zu fallen – und Vida konnte den Wiedereinzug in den Landtag scheinbar ebenfalls nicht absichern. Denn nachdem um 20.45 Uhr die Ergebnisse von immerhin 68 der 80 auszählenden Wahlvorstände im Wahlkreis beim Landeswahlleiter vorlagen, stand Vida mit 23,5 Prozent der Erststimmen nur auf Platz drei und Steffen John (AfD) lag mit 28,5 Prozent an der Spitze.

Dass die an der Bundesregierung beteiligte FDP wahrscheinlich in Brandenburg nicht einmal zwei Prozent schafft, kommt nicht überraschend. In den Landtag eingezogen sind die Liberalen ohnehin erst zwei Mal: 1990 und 2009. Kommunalpolitisch waren sie früher immerhin noch einigermaßen verankert und konnten beispielsweise früher in Eberswalde und Guben den Bürgermeister stellen. Aber auch das ist inzwischen Geschichte. Landespolitisch ist die FDP völlig bedeutungslos. Ihr Spitzenkandidat Zyon Braun konnte im Wahlkampf allenfalls noch etwas Aufmerksamkeit erheischen, indem er den Rundfunk Berlin-Brandenburg erfolglos verklagte, ihn doch noch zum Fernsehduell der Spitzenkandidaten einzuladen.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) schaffte den Hochrechnungen zufolge aus dem Stand 13 Prozent. In den Umfrage war es nach der Gründung eines BSW-Landesverbandes und der Nominierung einer Landesliste zur Landtagswahl zunächst auf bis zu 17 Prozent hochgeschossen. Im Zweikampf von SPD und AfD musste die neue Wagenknecht-Partei dann aber auch etwas Federn lassen. Für den BSW-Spitzenkandidaten Robert Crumbach, einen früheren Sozialdemokraten, sind zwölf Prozent in Brandenburg nach dem Einzug in die Landtage von Sachsen und Thüringen, »jetzt das dritte tolle Ergebnis« für die erst zu Jahresbeginn gegründete Partei.

Der von der Linken übergetretene ehemalige Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg hatte schon im Vorfeld der Landtagswahl gemeint, mit 10 bis 15 Prozent in Brandenburg könnte das BSW sehr zufrieden sein. Selbst angetreten war der 70-Jährige, der von 2004 bis 2019 im Parlament saß, nun nicht mehr. Außer Scharfenberg gibt es unter den 40 handverlesenen BSW-Mitglieder in Brandenburg nur noch einen weiteren ehemaligen Landtagsabgeordneten – den ehemaligen FDP-Abgeordneten Stefan Grüll. Aber der saß vor 20 Jahren im Landtag von Nordrhein-Westfalen und der stand jetzt auch nicht auf der BSW-Landesliste.

Möglich wäre es bei einem Ausscheiden der Grünen aus dem Landtag, dass eine Landesregierung aus SPD, CDU und BSW die einzige Option ist und die AfD die einzige Oppositionsfraktion wäre. Linke-Spitzenkandidat Sebastian Walter hatte vor so einer Situation gewarnt. Er mahnte, wer die SPD wähle, bekomme am Ende wieder nur eine unsoziale Politik, die den Aufsteig der AfD in Brandenburg nicht verhindert, sondern sogar begünstigt habe. In fünf Jahren drohe dann als nächster Schritt im schlimmsten Fall eine absolute Mehrheit der AfD.

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