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Die Linke als Überbringerin schlechter Nachrichten
nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: Man muss ehrlich sagen, was ist und kommen wird – auch wenn man damit keine Wahlen gewinnt
Es ist so gekommen, wie es seit Monaten prognostiziert worden ist. Die zeitgenössische faschistische Partei, die sich »Alternative für Deutschland« (AfD) nennt, ist in zwei ostdeutschen Bundesländern führende Kraft im Landtag geworden und wer in Brandenburg jetzt noch sagt, »es ist ja noch einmal gut gegangen« mit SPD-Ministerpräsident Woidkes Sieg um Haaresbreite, hat den Schuss noch immer nicht gehört. Der Rest der politischen Landschaft versucht durch hektische Bocksprünge nach rechts den Abstand zum völkischen Nationalismus zu verkürzen. Ein allgemeiner kruder Populismus, veranstaltet von der Ampel über »Neuerdings rechts«-Bündnis Sahra Wagenknecht bis zu CDU/CSU und sonstigen, mündet in einem Überbietungswettbewerb der Erbärmlichkeit zu den Themen Klimawandel, Flucht, Migration und Rassismus, Diversity und Feminismus, Geschichts- und Außenpolitik. Genüsslich stellt die siegreiche Nazi-Partei ihre überwältigenden Erfolge gerade bei Jungwähler*innen und – ja – Arbeiter*innen aus.
Die düpierte Partei Die Linke, die mit drei Prozent noch unter den ebenfalls aus dem Landtag fliegenden Grünen rangiert, befindet sich nach dem Auszug des BSW zunehmend im freien Fall und es wird wichtig sein, einen Neustart wirklich radikal und grundsätzlich hinzulegen. These: Die Linke (Partei und Bewegung) muss die Überbringerin der schlechten Nachrichten sein. Sie muss die zu erwartenden drastischen klimagetriebenen Veränderungen benennen, die Konsequenzen für das gesellschaftliche Zusammenleben, für Konsum und Wohlstand, für zu erwartende kriegerische Auseinandersetzungen und gewaltförmige Reaktionen derer, die auf nichts verzichten werden. Im Sinne Rosa Luxemburgs auszusprechen, was ist – und was da kommt, muss Kern linker Politik werden, um an einem Umgang zu arbeiten, der der Gewalt trotzt und einen humanen Gegenentwurf (oder viele) stark macht. Im Zentrum müssen dabei der Schutz von Menschen-, Bürger*innen- und Freiheitsrechten, von Demokratie und Leben auf dem Globus stehen. In dem Moment, wo sie sich mit allen anderen im Kampf um Zustimmung und Wähler*innenstimmen auf Versprechungen innerhalb eines kapitalistischen Systems begibt, das so nicht weiter existieren kann, verliert sie die so dringend notwendige Glaubwürdigkeit. Es wird darauf ankommen, aus dem mortalen Würgegriff herauszukommen und für humane Alternativen zu kämpfen – zunächst auch ungeachtet der Wähler*innengunst. Wo sie eh kaum noch etwas zu verlieren hat.
Die Linkspartei steckt tief in der Krise, braucht neues Führungspersonal und dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? »nd« startet eine Debattenserie über Probleme und Perspektiven: »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« Alle Texte der Serie finden Sie hier.
Alle Zeichen deuten überdeutlich darauf hin, dass die westliche Welt, in der Deutschland noch ein in vieler Hinsicht enorm potenter Player ist, in eine vom eskalierenden Klimawandel getriebene Phase einer rücksichtslosen Besitzstandswahrung eingetreten ist. Die Bruchlinien verlaufen entlang der Südgrenzen hin zu den Wüsten, die der globalisierte Kapitalismus weltweit hinterlassen hat. Wenn hier immer wieder ein Klassenstandpunkt angemahnt wird und eine Arbeiter*innenklasse beschworen wird, wird es Zeit, Klartext zu reden. Eine saturierte verbürgerlichte Arbeiter*innenschicht in den westlichen Industrienationen steht einem lumpenproletarischen Heer von Menschen im und aus dem »globalen Süden« gegenüber (etwa im Dienstleistungssektor) – und kündigt die Solidarität mit ihm auf.
Vergesst die Arbeiter*innenklasse
Wer sich auf die Arbeiter*innenklasse in Tagen des Rechtsrucks beruft, muss sich die Arbeitenden der Weimarer Republik in Erinnerung rufen, die Kommunist*innen und Teile der Sozialdemokratie, die nach einer Phase brutalster Gewalt in den frühen Tagen des Nationalsozialismus so gründlich pazifiziert waren, dass sie sich mit dem faschistischen Projekt, bis auf einen widerständigen Rest, arrangierten oder sich ihm anschlossen. Schließlich waren es am Ende nur 0,3 Prozent der Deutschen, die sich unter Einsatz des Lebens gegen das Mordregime stemmten. Kurz: Mit einer Arbeiter*innenklasse, die sich nicht mehr der grundsätzlichen Solidarität mit den Elenden und Entrechteten erinnert, ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Wer als Arbeiter*innen-Aristokratie (etwa der deutschen Auto-, Rüstungs- und Stahlindustrie) und »hart arbeitende« (SPD-Jargon) Lohnabhängigen-Mittelschicht nicht nur die »einheimischen« Verächtlich-Gemachten übersieht und vom Staat gängeln lässt, sondern vor allem den eigenen Anspruch internationalistischer Verantwortung vergisst, kann nicht ernsthaft Referenzpunkt einer wirklich linken Politik sein. Und die Verhältnisse werden sich in aller Kürze ja noch verschärfen, der Klimawandel ist real und hat doch gerade erst richtig Fahrt aufgenommen. Energie, Wasser, rare Rohstoffe, die Sicherung des Wohlstands der wenigen Gewinner*innen des kapitalistischen Verwertungswahns, rückwärtsgewandte Gesellschaftsvorstellungen und Geschlechterbilder sowie – besonders wichtig – rassistische Grundhaltungen sind die kommenden Schlachtfelder. Und das Schlachten hat schon begonnen. Die Politiken der antifaschistischen Linken müssen diesen Zusammenhang umfassend auf der Agenda haben. Reine Straßenantifa oder Fixierung auf »echte« Nazis war gestern.
Es wird darum gehen, sich mit diesen Zusammenhängen so zu beschäftigen, dass hinterher eine klare Neuorientierung und Sammlung einer neuen Klientel – quer durch den Gemüsegarten humaner Orientierung – steht. Und das hat nichts mit einer »Akademisierung« oder »Vergroßstädterung« linker Positionen zu tun: Man braucht keine Bildungsabschlüsse oder theoretischen Kenntnisse, um die Klimakatastrophe und ihre dramatischen Folgen zu verstehen und zu erkennen. Man braucht kein Abitur, um die Unmenschlichkeit und den Rassismus der europäischen, westlichen Abschottung und Besitzstandssicherung wahrzunehmen. Man muss nicht studiert haben oder in Berlin leben, um den kapitalistischen Wahnsinn abzulehnen.
Und doch werden es zunächst nur wenige sein, die auch bereit sind, sich aus der Umklammerung des Ist-Zustandes zu winden. Die meisten sind durch die sich überschlagenden Entwicklungen überrumpelt und sehen ihren Vorteil, die Privilegien gefährdet durch Pandemie, Energiekrise und Rohstoffengpässe, Kriege, Inflation und Teuerung usw. Es zeichnet sich ab, dass sie in der gegenwärtigen Phase der gesellschaftlichen Verrohung bereit sein werden, denjenigen ihre Stimme zu geben, die mit größter Wahrscheinlichkeit und Dreistigkeit – wie Trump, Meloni, Orbán , AfD usw. – den Status Quo zu sichern versprechen – zur Not mit Krieg, Gewalt und Pogrom. Die AfD kündigt das an und dem Bundespräsidenten fällt nach den Wahlsiegen der neuen Faschist*innen nichts besseres ein, als die Migration zum drängendsten Problem der Gegenwart zu erklären und nicht eben den um sich greifenden Faschismus.
Weg vom »Löhne hoch, Mieten runter«-Kleinklein
Es steht die grundsätzliche Auseinandersetzung darüber bevor, für wen Werte wie Demokratie, Solidarität, staatliche Fürsorge und grundsätzlich eben auch Menschenrechte gelten, und für wen eben nicht. Wer zweimal im Jahr für die Umsätze der Tourismusindustrie weltweit mit Flug- und Dampferreisen sorgen darf und wen man an den Grenzen des Reiches des Wohlstandes straflos niederkartätschen oder ertrinken lassen darf. Wer noch als Bürger*innengeldempfänger*in über dem Prekariat aus überwiegend migrantischen Food-Ausfahrer*innen, Pflegesklav*innen und Putzkolonnen stehen darf.
Es gibt genügend Menschen auch in den Plünderer*innenländern, die diese Barbarisierung des globalen Kapitalismus sehen und die Dringlichkeit erkennen, aus der fatalen Zwangsläufigkeit (zunächst einmal mit dem Kopf) auszubrechen und den ganzen Status Quo in Frage zu stellen und anzugreifen. Ein Überleben der Menschheit wird nur möglich sein, wenn die verhängnisvollen Verhältnisse auf internationaler Ebene erkannt, benannt und attackiert werden. Visionen und Formen alternativer Lebens-, Vergemeinschaftungsweisen und Gesellschaftsformen gibt es genug, auch wenn vieles davon utopisch anmutet und auch im ersten Versuch gescheitert sein mag: Ein Leben auf diesem Planeten wird es nur mit entschlossenem Aufbau von Lebensweisen jenseits des Patriarchats, des (Petro-)Kapitalismus, des Faschismus, des Rassismus und der Unmenschlichkeit geben. Das wissen viele. Und sie sind das neue »revolutionäre Subjekt« und die einzige Hoffnung auf Humanität.
Mit dem »Löhne hoch, Mieten runter«-Kleinklein, das dem erodierenden und polarisierenden Ist-Zustand verhaftet bleibt, wird es nicht gehen. Es geht ums Ganze, um einen aufgekratzten Utopismus der universellen Menschenrechte und eine grundsätzliche Verweigerung des gewalttätigen Status Quo. Es ist auf jeden Fall bei weitem nicht zu früh, sich jetzt wieder handlungsfähig zu machen, zu vernetzen und anzufangen, mit aller Kraft an ein utopisches Werk zu gehen. »Her zu uns!« – wie es auf dem ersten Antifa-Plakat von 1932 hieß!
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