Ukraine: Widerstand gegen Umbenennung von Ortschaften

Das Parlament will per Gesetz Ortsnamen tilgen, die mit Russland oder der Sowjetunion in Beziehung stehen

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 4 Min.
Sein Denkmal wurde schon demontiert wie hier in der ostukrainischen Stadt Dnipro. Jetzt könnte der Name des weltbekannten russischen Dichters Alexander Sergejewitsch Puschkin auch aus geografischen Bezeichnungen in der Ukraine getilgt werden.
Sein Denkmal wurde schon demontiert wie hier in der ostukrainischen Stadt Dnipro. Jetzt könnte der Name des weltbekannten russischen Dichters Alexander Sergejewitsch Puschkin auch aus geografischen Bezeichnungen in der Ukraine getilgt werden.

In der Ukraine sollen 327 Ortschaften, Städte und Siedlungen umbenannt werden. Mit dieser Strategie will das ukrainische Parlament im Rahmen seiner Entkommunisierungs-, Entsowjetisierungs- und Entrussifizierungspolitik das Land von der sowjetischen und russischen Vergangenheit befreien, so die Befürworter des Gesetzes. Mit diesem von einer Mehrheit von 281 Abgeordneten von insgesamt 450 Abgeordneten verabschiedeten Gesetz will das Land Bezeichnungen beseitigen, die angeblich nicht der ukrainischen Identität entsprechen. Betroffen von dieser Entscheidung sind Ortschaften, die sich in ihren Namen auf russische oder sowjetische Persönlichkeiten, Feiertage und Symbole beziehen, würden diese doch, so die Befürworter des Gesetzes, nicht zu den Werten der unabhängigen Ukraine passen.

In Zukunft wird es in der Ukraine also keine Ortschaften mehr geben, die sich auf Personen wie Puschkin, Gorki oder Kutusow beziehen. Betroffen von der Neuerung sind auch Städte mit Namen, die an sowjetische Feiertage oder Symbole erinnern. Städte, die in ihrem Namen die Worte »1. Mai«, oder das Wort »rot« enthalten, sollen genauso der Vergangenheit angehören wie Orte, deren Namen sich auf russische und sowjetische Staatsmänner, Parteimitglieder und Militärs der Zarenzeit und Sowjetunion beziehen.

Angebliche kulturelle Überlegenheit Russlands

Viktorija Onyschtschenko von Transparency International Ukraine hat in einem Kommentar für die Webseite Suspilne Analytica der staatlichen Rundfunkanstalt die Umbenennung von Städtenamen und Straßen unterstützt. Russland, so Onyschtschenko, habe über die Ortsnamen eine kulturelle und historische Überlegenheit deutlich machen wollen. Dabei habe man doch selbst unzählige berühmte Persönlichkeiten, die es verdienten, dass nach ihnen Straßen oder Orte benannt werden.

Bereits im März 2023 hatte das ukrainische Parlament geografische Namen verboten, die sich auf Russland und aus ukrainischer Sicht historisch fragwürdige Persönlichkeiten beziehen. Umbenennungen geografischer Bezeichnungen seien für die moderne Ukraine wichtig, hatten die Gesetzesbefürworter argumentiert, weil sich dadurch das Land nicht nur entkolonialisiere und entrussifiziere, sie dienten auch dem Selbsterhalt der ukrainischen Nation.

»Einfach nur die Schilder auszuwechseln, ist noch keine Befreiung.«

Wjatscheslaw Asarow Vorsitzender der Partei der Anarchisten

Doch es gibt auch Kritik am Vorgehen des Parlaments. Aus Protest gegen die jüngsten Umbenennungen verließ der im Gebiet Lwiw gewählte Abgeordnete Juri Kameltschuk die Regierungspartei Diener des Volkes. Ihn störe vor allem das undemokratische Vorgehen bei der Durchsetzung dieser Entscheidung, erklärt er auf seiner Facebook-Seite. Er habe kein Rederecht bei der entscheidenden Sitzung erhalten. Auch sein Ort sei von der Umbenennung betroffen, er schließe aber nicht aus, dass man die Bevölkerung für eine Umbenennung hätte gewinnen können. Kameltschuk störe, dass man, ohne die Bevölkerung einzubeziehen, »Entsowjetisierung übers Knie bricht«.

Auch der in Odessa lebende Blogger und Vorsitzende der Partei der Anarchisten, Wjatscheslaw Asarow, hält nichts von den jüngsten Umbenennungen, würde man mit diesen doch die lokalen Strukturen weiter entmachten. »Früher mussten die kommunalen Organe der Selbstverwaltung initiativ werden, wenn sie ihre Ortschaft umbenennen wollten«, so Asarow zu »nd«. »Den lokalen Räten oblag es, der Rada (ukrainisches Parlament, d. Red.) eine Vorlage zu einer gewünschten Namensänderung mit ausführlicher Begründung zukommen zu lassen.«

Skandal um Umbenennung einer Vorstadt Odessas

Die Frage der Namensgebung, so Asarow, sei als natürliches Recht der Gemeinde betrachtet worden. »In jüngster Zeit jedoch wurde den Gemeinden, insbesondere in den südöstlichen Regionen, unter dem Vorwand von Entkommunisierung und Entkolonialisierung das Recht auf Selbstverwaltung, auf ihre eigene Sprache, Geschichte und Kultur genommen.« Eine Gemeinde habe kein Recht mehr, ihren Namen zu behalten.

Ein anschauliches Beispiel sei der jüngste Skandal um die Umbenennung von Odessas Vorstadt Juschny in Port-Anental, so Asarow. Im November 2023 hatte sich der Stadtrat von Juschny gegen eine Namensänderung ausgesprochen. Aber den »echten Patrioten« aus dem Parlament habe auch die ukrainische Version von Juschny, also Pivdennyi, nicht gefallen. Sie wollten unbedingt den Namen der deutschen Kolonie.

Befreiung aus der wirtschaftlichen Sklaverei

Dabei habe sich diese deutsche Kolonie nicht auf dem Gebiet dieser Ortschaft befunden, sondern im Nachbarort Beljary, so Asarow. »Diese kleinliche Unterwürfigkeit ist Teil der allgemeinen Tendenz der derzeitigen Regierung, Straßen zu Ehren westlicher Monarchen und Politiker umzubenennen, in der Hoffnung, sich bei den Verbündeten beliebt zu machen und ein paar Almosen zu ergattern.«

Asarow vermisst in der derzeitigen Situation eine soziale Komponente. »Durch die Manipulation mit den Namen wird die eigentliche Bedeutung einer Entkolonialisierung verdrängt. Die Geschichte lehrt uns, dass andere Länder und Völker aus der kolonialen Abhängigkeit ausbrachen, um sich nicht nur von der nationalen Unterdrückung, sondern vor allem von der wirtschaftlichen Sklaverei zu befreien«, so Asarow. »Einfach nur die Schilder auszuwechseln, ist noch keine Befreiung.«

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