Nach Kündigungswelle: Kampf ums Jüdische Krankenhaus Berlin

Beschäftigte des Jüdischen Krankenhauses protestieren gegen Kündigungen

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Jüdische Krankenhaus ist finanziell angeschlagen. Über die Bedeutung des Tarifvertrags Entlastung sind Gewerkschaft und Klinikleitung uneins.
Das Jüdische Krankenhaus ist finanziell angeschlagen. Über die Bedeutung des Tarifvertrags Entlastung sind Gewerkschaft und Klinikleitung uneins.

»Die Pflegehilfskräfte retten uns hier jeden Tag den Arsch!« Daniel Roeder, Betriebsratsvorsitzender am Jüdischen Krankenhaus (JKB) im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen, spricht vor etwa 40 versammelten Beschäftigten, die seine Worte mit Lärm aus Trillerpfeifen quittieren. Wichtige Hilfskräfte wolle man rausschmeißen, sagt Roeder. »Wir sind pleite, weil wir unsere Betten nicht belegen können, weil wir chronischen Personalmangel haben«.

Geht es nach dem JKB, verlieren bald 74 Pflegehilfskräfte ihren Job – rund zehn Prozent des Personals. Erste Verhandlungen über einen Sozialplan endeten ergebnislos. Auch deshalb hat die Gewerkschaft Verdi am Dienstag zu einer »aktiven Mittagspause« aufgerufen.

Das JKB hat offenkundig finanzielle Schwierigkeiten. Laut »Tagesspiegel« belief sich das Defizit im Jahr 2023 auf mehr als drei Millionen Euro. 60 Millionen Euro kostet ein neues Bettenhaus, das über ein Darlehen finanziert wird, obwohl der Senat die Investitionskosten tragen müsste. Zudem soll ab 2025 ein Tarifvertrag Entlastung (TVE) Unterbesetzungen mit Freischichten ausgleichen. Weiterhin dürfte die vom Gesundheitsministerium geplante Krankenhausreform, die stärkere Spezialisierung einzelner Kliniken vorsieht, zu Umstrukturierungen führen.

Das JKB begründet die finanzielle Lage mit Änderungen in der Krankenhausfinanzierung durch das GKV-Stabilisierungsgesetz. Ab 2025 könnten demnach nur noch Leistungen qualifizierter Pflegekräfte über das Pflegebudget von den Krankenkassen refinanziert werden, teilte das JKB auf nd-Anfrage mit. Weitere Gründe für die »akute Verschärfung der finanziellen Situation« seien neben dem Entlastungstarifvertrag samt vorangegangenen Streiks auch »die inflations- und tarifbedingten Kostensteigerungen« sowie die Missachtung der Investitionsverpflichtungen durch den Senat. Die Arbeit der Pflegehelfer*innen wolle man künftig von Externen zukaufen. Es sei nicht beabsichtigt, die Unterstützungstätigkeiten wieder den Pflegefachkräften zuzuordnen.

»Das Problem der Finanzierung war schon vor dem Tarifvertrag Entlastung akut.«

Ben Brusniak (Verdi) Gewerkschaftssekretär

Beschäftigte fürchten jedoch Mehrarbeit sowie den Verlust der betrieblichen Gemeinschaft. »Die Leasinglösung funktioniert nicht« sagt Sevil K.* zu »nd«. K. ist seit mehreren Jahren Stationsleiterin, elf ihrer direkten Kolleg*innen seien akut von der Kündigung bedroht. »Mein Team ist die Säule der Station, die sind mit den Betriebsabläufen vertraut und leisten gute Arbeit.«

Einen Zusammenhang zum TVE sieht man bei Verdi nicht. »Das Problem der Finanzierung war schon vor dem TVE akut«, sagt Ben Brusniak, Verhandlungsführer des TVE am JKB, zu »nd«. Es habe vielmehr den Anschein, dass Baukosten des neuen Bettenhauses und die Umstrukturierungen im Zuge der Krankenhausreform auf die Beschäftigten abgewälzt würden, so Brusniak. Der TVE sei für eine Zukunft des JKB notwendig. »Wir haben immer noch die Situation, dass Beschäftigte zu Krankenhäusern abwandern, bei denen bereits ein TVE gilt.« Insofern, so Brusniak weiter, seien die angedrohten Kündigungen auch langfristig personalpolitisch schädlich. Das JKB widerspricht: Die Belegschaft sei gewachsen und bei Austritten habe die angeführte Begründung nicht im Vordergrund gestanden.

Alle Seiten sehen den Senat in der Pflicht, zu handeln. Verdi will gegebenenfalls für einen Sozialtarifvertrag kämpfen. Für Mitte Oktober ist eine weitere Kundgebung anberaumt.

* Name redaktionell geändert

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.