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Nüscht wie raus nach Wannsee!
Die nd-Kolumnistin besucht die Ostsee des kleinen Mannes
»Die Badesaison ist beendet, die Dame kommt mal bitte sofort wieder an Land!« Der Lautsprecher knarzt, die männliche Stimme fügt versöhnlicher an: »Das Betreten des Wassers ist nur noch im Saunabereich möglich.«
Hinter der Weide watet eine Frau aus dem Wasser. Zwei Dutzend Gäste wenden sich ihren Zeitungen und Handys zu oder schließen die Augen. Die Sonne scheint, es sind 26 Grad. Ich stehe auf einer Treppe, unter mir liegt ein 80 Meter breiter Streifen Ostseesand, kleine Wellen rollen an über 1000 Metern Strand aus.
Ein Mittwoch Mitte September. Der Sommer hat gerade mit Karacho sein Ende geprobt, Regenmassen wälzen sich unsere Flüsse hinab. Ein Wochenende Jacke tragen, dann steigt das Thermometer wieder. An meinem Schreibtisch klemmt eine Postkarte, die wenig Wasser und sehr viele Menschen zeigt. Die meisten stehen an einem Strand. Im Vordergrund blickt eine Dame kritisch auf ein Kind, das am Ufer planscht. Das Foto »Strandleben am Wannsee« entstand 1907, kurz nach Aufhebung des Badeverbots. Bis dahin war öffentliches Schwimmen in Preußen verboten.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Ich vermisse den Strand. Nüscht wie raus nach Wannsee, beschließe ich und fahre vom Nordbahnhof einmal durch die Stadt, steige am S-Bahnhof Nikolassee aus. Der Wald jenseits des Kronprinzessinnenweges duftet nach Herbst, ein Buntspecht fliegt mir voraus. Aus den Bäumen öffnet sich ein geräumiger Platz, ein Spitzdachhaus mit zwei Portalflügeln verheißt das Strandbad Wannsee. Das einzige Strandbad der Berliner Bäderbetriebe ist zugleich das größte Binnen-Seebad Europas. Ich löse das letzte Mal mit meiner Sommermehrfachkarte und zahle 11,50 Euro für die Sauna, eile über die Parkterrasse, bremse oben an der Treppe. Der Anblick des glitzernden Wannsees mit seinen Kähnen, Segel- und Ruderbooten und der Fähre nach Kladow ist atemberaubend.
Die Ostsee des kleinen Mannes ist eine Ausbuchtung der Havel, zwischen drei und zehn Meter tief. Hier bauten sich die Berliner 1930 ein Strandbad aus gelben Klinkern mit zweigeschossigem Laufgang, Duschen, Garderoben, Läden und Dachterrassen zum Sonnen und Turnen. Auf zur See. Sand, soweit das Auge blickt.
Ich laufe auf Bohlen in Richtung Wasser. Mittig dient eine schmale Seebrücke zur Aufsicht. Rechter Hand stehen zwei Fässer gen Wannsee, daneben ein Halbkreis Strandkörbe. Als ich genug gestaunt habe, erklimme ich das Fass mit der milderen Temperatur. Dieses hat 84,6 Grad, das andere ambitionierte 104,5. Noch bis 6. Oktober kann hier täglich sauniert werden. In meinem Fass einen Moment allein, sitze ich an der getönten Panoramascheibe und schaue. Später lasse ich mich von einem Stammgast überreden, zum Aufguss in das andere Fass zu steigen. Fehler! Mein Po verbrennt, Füße und Schienbeine werden geröstet und von oben stürzen sibirische Nadeln auf mich herab. Luft schnappen, nichts geht mehr. Ich flüchte mit Schwimmbrille in den Wannsee – wate und wate. Am Ende des abgeleinten Bereichs reicht mir das Wasser übers Knie, ich schwimme ein wenig Brust und lasse mich rücklings treiben, bis ich bei Menschen lande, die lächelnd im Wasser rumstehen.
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