Wahl in Österreich: Mühsame Koalitionssuche

Nach der Wahl in Österreich ist Bundespräsident Van der Bellen am Zug. Zum Regieren fehlen dem großen Sieger FPÖ bislang Partner

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 5 Min.
FPÖ-Chef Herbert Kickl wird nach Bekanntgabe der Ergebnisse von Anhängern der rechtsextremen Partei auf der Wahlparty in Wien gefeiert.
FPÖ-Chef Herbert Kickl wird nach Bekanntgabe der Ergebnisse von Anhängern der rechtsextremen Partei auf der Wahlparty in Wien gefeiert.

Knapp 30 Prozent der gültigen Stimmen für die rechtsextreme FPÖ – das ist die wichtigste Zahl, die die Nationalratswahl am Sonntag in Österreich gebracht hat. Es ist das erste Mal seit ihrer Gründung 1955, dass die FPÖ bei einer Nationalratswahl stärkste Partei wird. Mit Abstand und zum Teil deutlichen Verlusten folgen die anderen. Die konservative ÖVP kam auf 26 Prozent (minus 11), die SPÖ stagniert bei 21 Prozent, die Grünen sanken um 5,8 auf 8 Prozent und die liberalen Neos verzeichneten mit 9 Prozent ein leichtes Plus.

Für die ÖVP ist es der größte Verlust bei einer Wahl, für die Sozialdemokraten das schlechteste Ergebnis überhaupt. Am Sonntagabend wurden also Wunden geleckt und Zweckoptimismus beschworen, während bei der FPÖ die Korken knallten. Allerdings steht die FPÖ steht recht isoliert da. Eine wichtige Rolle kommt jetzt dem Bundespräsidenten zu – dem ehemaligen Grünen-Politiker Alexander Van der Bellen. Konflikte sind vorprogrammiert.

Am Montag werden bereits die ersten Konturen möglicher Kooperation deutlich. Und eines ist merkbar: Es wird dauern, bis sich da eine Koalition zusammenfügt. Zunächst beraten jetzt einmal die Parteien intern – ab Mittwoch soll es dann Gespräche ihrer Repräsentanten mit dem Bundespräsidenten geben. Im Schnitt dauert es in Österreich 60 Tage, bis eine Regierung steht. In diesem Fall wird aber eine längere Phase erwartet.

Vorgesehen ist laut Verfassung folgender Ablauf: Die Parteien sondieren, berichten dem Bundespräsidenten, der ernennt letztlich Kanzler und Minister. Allerdings ist danach keinesfalls ausgemacht, dass die stärkste Partei auch den Kanzler stellt. Andere Optionen sind also nicht nur rechnerisch möglich.

Am Tag nach der Wahl sieht es so aus: Die FPÖ als stärkste Partei erhebt Anspruch auf den Posten des Bundeskanzlers. Ihr Chef und Spitzenkandidat Herbert Kick steht dabei allerdings recht isoliert da. Die SPÖ hat eine Koalition mit den Freiheitlichen ausgeschlossen, ebenso die Grünen und Neos. Die ÖVP wiederum hat nur eine Koalition mit der Person Kickl explizit ausgeschlossen.

Nach der Sitzverteilung im Nationalrat sind mehrere Varianten denkbar. Zum einen eine Koalition aus FPÖ und ÖVP – wobei eine solche zumindest unter dem aktuellen ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer wohl ausscheidet. Dazu hat Nehammer zu explizit versprochen, keinesfalls mit Kickl koalieren zu wollen. Allerdings ist Nehammer nach den schweren Verlusten bei der Wahl angeschlagen. Andererseits hat die ÖVP wenig Appetit darauf, als Juniorpartner der FPÖ in eine Koalition zu gehen.

Eine hauchdünne Mehrheit von einem Mandat hätte eine Koalition aus ÖVP und SPÖ. Das ist zwar eine fast schon traditionelle Koalition in Österreich, allerdings auch eine, die bei beiden Parteien fast schon physisch sichtbare Aversionen erregt. Eine solche Variante wäre mit dem gegenwärtigen Personal der jeweiligen Parteispitzen – insbesondere ÖVP-Chef Karl Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler – kaum vorstellbar.

Rechnerisch möglich, aber in Österreichs politischer Geschichte ein Novum wäre eine Ampel aus ÖVP und SPÖ unter Einbindung der liberalen Neos oder der Grünen. Eine Beteiligung von Neos wäre dabei wahrscheinlicher. Eine solche Variante würde allerdings inhaltliche Auseinandersetzungen mit sich bringen, wie sie in Österreich eher unüblich sind.

Bemerkenswert ist, dass sich die ÖVP auch in ihren Reaktionen auf das Wahlergebnis wiederholt gegen eine Zusammenarbeit mit Kickl ausgesprochen hat. Schließlich regieren die Konservativen in den Bundesländern Niederösterreich und Salzburg bereits zusammen mit der FPÖ. Inhaltlich gibt es zwischen den zwei Parteien große Schnittmengen. Und auch auf Bundesebene existieren zwischen ihnen wenig Berührungsängste. Seit dem Jahr 2000 gab es hier drei Koalitionen der ÖVP mit der FPÖ – die aber jeweils fulminant platzten. Auch vor dem Zustandekommen dieser Koalitionen hatte es zuvor Absagen an die FPÖ gegeben.

Die Frage lautet also, wie ernst es die ÖVP diesmal mit der Absage an Kickl meint. Oder ob es ihr vor allem darum geht, die FPÖ in die Enge zu treiben, um ihr dann größere Zugeständnisse abringen zu können. Vor dieser Wahl hat es in der ÖVP jedenfalls etliche Stimmen gegeben, die sich offen für eine Koalition mit den Blauen aussprachen.

Allerdings hatte die FPÖ bisher auch immer ihre Rhetorik gedrosselt, wenn eine Regierungsbeteiligung in Reichweite war. Aber diesmal ist das nicht so, im Gegenteil. Erst am Freitag vor der Wahl wurde beim Begräbnis eines FPÖ-Funktionärs in Wien unter dem Beisein zahlreicher Kandidaten der Partei für den Nationalrat das SS-Treuelied gesungen. Im Internet ging ein Video davon viral, Vertreter der jüdischen Gemeinde erstatteten Anzeige. Seitens der FPÖ gab es statt Beschämung giftige Reaktionen: Man solle gefälligst keine Begräbnisse Fremder filmen.

Jetzt schlägt erst einmal die Stunde des Bundespräsidenten. Alexander Van der Bellen erklärte am Sonntag, dass er die Grundpfeiler der liberalen Demokratie schützen werde. Und er zählte explizit den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft auf. Dies seien die »Fundamente, auf denen wir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit aufgebaut haben.«

Die Verfassung gibt dem Bundespräsidenten großen Spielraum bei der Bestellung der Regierung. Und die Wahl der protokollarischen Nummer zwei im Staat, des Nationalratspräsidenten, obliegt der freien Entscheidung der Abgeordneten.

Dass Van der Bellen kein Freund der FPÖ ist, daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht. 2019 entließ der Bundespräsident Innenminister Herbert Kickl. Vorwürfe eines Verfassungsbruchs seitens der FPÖ sind in der aktuellen Lage rechtlich haltlos. Zur Historie der Feindschaft zwischen den Blauen und Van der Bellen gehört aber auch die Bundespräsidentenwahl 2016, als es zu einer Stichwahl mit dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer kam. Nach einer Wahlanfechtung der FPÖ wegen falsch ausgezählter Briefwahlstimmen musste der zweite Wahlgang wiederholt werden. Der Sieger hieß erneut Van der Bellen.

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