Neues BKA-Gesetz ist verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht verlangt bis Juni 2025 Änderungen bei Überwachungs- und Speicherbefugnissen

Bremer Fans protestieren 2006 gegen Überwachung. Aus dieser Zeit stammen die Erfahrungen von einem der Beschwerdeführer.
Bremer Fans protestieren 2006 gegen Überwachung. Aus dieser Zeit stammen die Erfahrungen von einem der Beschwerdeführer.

Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag Teile des Bundeskriminalamtgesetzes in seiner Fassung von 2017 für verfassungswidrig erklärt. Die Entscheidung betrifft insbesondere Regelungen zur Überwachung von Kontaktpersonen sowie zur ausufernden Datenspeicherung im polizeilichen Informationsverbund (INPOL). Damit sind fünf Beschwerdeführer*innen, die ihre Klage 2019 mithilfe der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) eingereicht haben, in wesentlichen Punkten erfolgreich. Bis zum 31. Juli 2025 muss das BKA-Gesetz nun geändert werden.

Der Erste Senat des Gerichts urteilte, dass der Absatz im Paragraf 45, der dem BKA die heimliche Überwachung der Kontaktpersonen von Verdächtigen oder Beschuldigten »mit besonderen Mitteln zum Zweck der Terrorismusabwehr« erlaubt, nicht mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar ist. Die hierfür vorgesehene Eingriffsschwelle sei nicht verhältnismäßig, heißt es in der Urteilsbegründung. Sofern Kontaktpersonen – etwa Journalist*innen, Geschäftspartner*innen, Reisebüros oder andere Dienstleister – vom BKA überwacht werden sollen, müsse zu diesen eine »wenigstens konkretisierte Gefahr« vorliegen. Nur dann dürfen gegen sie längerfristige Observationen, verdeckt ermittelnde Polizist*innen oder Vertrauenspersonen eingesetzt werden.

Auch die Regelungen zur Datenspeicherung im polizeilichen INPOL-Verbund wurden vom Gericht beanstandet. Einem hierzu bestimmten Absatz im Paragraf 18 des BKA-Gesetzes zur »vorsorgenden Speicherung« fehle es laut dem Gericht an einer »angemessenen Speicherschwelle« und ausreichenden Vorgaben zur Speicherdauer. Die GFF hatte beanstandet, dass in der von Polizei- und Zollbehörden in ganz Deutschland genutzten INPOL-Datenbank auch Menschen als gefährlich markiert werden, von denen nur erwartet wird, sie könnten in Zukunft eine Straftat begehen. Dies habe ein enormes Stigmatisierungspotenzial für die Betroffenen.

In dem Urteil vom Dienstag moniert der Senat in Karlsruhe außerdem die beim BKA praktizierte Weiterverarbeitung der aus Überwachungsmaßnahmen gewonnenen Daten für andere Zwecke. Bei der Verwendung über den ursprünglichen Anlass handele es sich um einen neuen Grundrechtseingriff, der verfassungsrechtlich eigens gerechtfertigt werden müsse, so die Richter*innen. Allerdings geht es dabei nur um die Regelungen zur Weiterverarbeitung durch andere deutsche Behörden, die an das INPOL-System angeschlossen sind. Die Zweckänderung für interne Vorgänge im BKA genüge laut dem Bundesverfassungsgericht hingegen den gesetzlichen Anforderungen.

»Es ist eine gute Nachricht, dass die Gewaltenteilung funktioniert«, erklärte der GFF-Verfahrensbevollmächtigte Bijan Moini nach der Verkündung der Entscheidung am Dienstag. Auch der Deutsche Journalistenverband begrüßte das Urteil. »Das ist ein Sieg für die Pressefreiheit«, teilte der Bundesvorsitzende Mika Beuster mit.

Das BKA-Gesetz hat sich von einem Instrument zur Verbrechensaufklärung zu einem Werkzeug »vorsorglicher« Überwachung entwickelt.

Wie bereits im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2016 zum damals novellierten BKA-Gesetz gelten die beanstandeten Vorschriften bis zur endgültigen Neufassung fort. Damals hatte der Erste Senat die Verfassungsmäßigkeit von Überwachungsmaßnahmen des BKA zur Abwehr internationaler Terrorismusgefahren grundsätzlich gerechtfertigt, jedoch Änderungen in den Paragrafen zur Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchungen verlangt. Auch polizeiliche Datenübermittlungen ins Ausland ohne Überprüfung der rechtsstaatlichen Standards des Empfängers wurden gerügt.

Die neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat auch weitreichende Auswirkungen auf die sogenannte Datei »Gewalttäter Sport«. Diese Datenbank, die ebenfalls beim BKA geführt wird und auf die alle Polizeidienststellen von Bund und Ländern Zugriff haben, basiert auf den nun für verfassungswidrig erklärten Regelungen.

Ein Werder-Fan, der als Beschwerdeführer auftrat, wurde 2010 als Tatverdächtiger einer Sachbeschädigung als »Gewalttäter Sport« gespeichert, was zu einer Ausreiseuntersagung bei einem Champions-League-Spiel führte. Das Verwaltungsgericht Köln erklärte das dies später für rechtswidrig. Ähnliche Gewalttäter-Dateien führt das BKA zu den Bereichen »rechts« und »links«.

Linda Röttig, Vorstand im Dachverband der Fanhilfen, fordert die Bundesregierung auf, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zur Reform der Datei »Gewalttäter Sport« einzulösen. Wilko Zicht aus dem Vorstand der Grün-Weißen Hilfe Bremen sieht das Urteil auch als kritischen Punkt für die geplante Zusammenführung von Daten in einer großen gemeinsamen Datenplattform von Bund und Ländern.

Auch die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Louisa Specht-Riemenschneider lobt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es dürften »keine Daten ins Blaue gespeichert werden, wenn Menschen kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist«.

Das BKA-Gesetz hat seit seiner Einführung 1951 mehrere bedeutende Änderungen erfahren. Eine wesentliche Neufassung erfolgte 1997, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Volkszählungsurteil Rechnung zu tragen. Die wohl einschneidendste Novellierung trat 2009 in Kraft und bezog sich auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dazu erhielt das BKA mit 24 neuen Paragrafen erstmals weitreichende Befugnisse zur Gefahrenabwehr.

Zu den neuen Ermittlungsmethoden und Überwachungsmöglichkeiten gehörten die Rasterfahndung, Online-Durchsuchungen, die Überwachung von Internet und Telekommunikation, die Standortermittlung von Mobiltelefonen sowie die Wohnraumüberwachung auch bei Unverdächtigen. Zudem erhielt das BKA das Recht, präventive Ermittlungen ohne konkreten Tatverdacht durchzuführen.

Diese Novelle von 2009 führte schließlich zu mehreren, teils erfolgreichen Verfassungsbeschwerden. Die generelle Kritik bleibt jedoch bestehen: Das BKA-Gesetz hat sich von einem Instrument zur Verbrechensaufklärung zu einem Werkzeug »vorsorglicher« Überwachung entwickelt und erlaubt dazu bedenkliche Eingriffe in Grundrechte.

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