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  • Fußball und der 7. Oktober

»Shalom, Salam, Peace«

Vor allem Werder Bremen und Borussia Dortmund haben sich nach dem 7. Oktober klar gegen Antisemitismus positioniert

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 7 Min.
Bremer Fans gedachten am 21. September des ermordeten Hersh Goldberg-Polin
Bremer Fans gedachten am 21. September des ermordeten Hersh Goldberg-Polin

Es sollte keine Schweigeminute geben, keine Banner in der Trauerfarbe Schwarz. Die Fans von Werder Bremen wollten auch das Leben feiern und auf die Zukunft blicken. So hätte es sich ihr Freund Hersh vermutlich gewünscht. »Shalom, Salam, Peace«, diese Botschaft wurde am 21. September über der Kurve des Weserstadions vor dem Spiel gegen den FC Bayern ausgebreitet, in den kräftigen Farben Rot und Grün. Dazu der Wunsch: »Möge dein Andenken eine Revolution sein, mein Bruder.« In der Mitte ragte ein Gesicht in die Höhe, mit einem Lächeln, das man durchaus als entwaffnend bezeichnen könnte.

Hersh Goldberg-Polin gehörte zu den rund 240 Menschen, die von Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023 aus Israel nach Gaza verschleppt wurden, also vor fast einem Jahr. Goldberg-Polin soll ein lebensfroher und weltoffener Friedensaktivist gewesen sein, gerade mal 23 Jahre alt. Er wurde international bekannt, weil sich seine Eltern politisch besonders stark für seine Freilassung eingesetzt haben. Aber auch, weil er sich im Fußball engagiert hatte. Hersh Goldberg-Polin war Fan von Hapoel Jerusalem und Werder Bremen.

Ende August fand die israelische Armee in einem unterirdischen Tunnel von Rafah die Leichen von sechs Geiseln, darunter die von Goldberg-Polin. Wenige Tage später versammelten sich 150 Menschen vor dem Weserstadion. Ihr Treffpunkt war die grün-weiße Fahne mit der Forderung »Lasst Hersh frei!« Der Klub tauschte die Fahne bald darauf aus. Inzwischen ist dort zu lesen: »Ruhe in Frieden, Hersh!«

Fußball kann in Zeiten des Krieges eine Plattform für das Gedenken bieten. Im Umfeld des Lieblingsklubs wird die Komplexität im Nahen Osten etwas greifbarer. Aber nicht nur das: Etliche Vereine engagieren sich gegen wachsenden Antisemitismus und Feindseligkeit gegenüber Israel. In den internationalen Anhängerschaften wird ihnen das auch als einseitige Parteinahme ausgelegt. Doch Vereine wie Werder Bremen oder Borussia Dortmund bemühen sich um Differenzierung, denn ihre Arbeit zu diesem Thema hatte lange vor dem 7. Oktober begonnen.

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In Bremen war bereits 2007 eine Gruppe von Werder-Fans zu einer Exkursion nach Israel gereist. In den folgenden Jahren freundeten sie sich vor allem mit Anhängern von Hapoel Jerusalem an. Man besuchte sich gegenseitig, organisierte Workshops gegen Rassismus und veranstaltete Fußballturniere, auch im Westjordanland. Der Austausch zwischen Juden und Arabern war den Fans beider Klubs wichtig. In diesem Netzwerk engagierte sich auch Hersh Goldberg-Polin, der die US-amerikanische und israelische Staatsbürgerschaft besaß. Mehrfach besuchte Goldberg-Polin seine Freunde in Bremen.

Nach dem 7. Oktober wollte auch der SV Werder Öffentlichkeit für die Gefangenen in Gaza schaffen. Auf der Leinwand im Stadion und in den sozialen Medien zeigte der Klub unter anderem das Foto von Hersh Goldberg-Polin. Die Fans schwenkten Banner mit Botschaften wie: »Bleib stark Hersh« oder »Bringt sie nach Hause«. Sie wandten sich an Menschenrechtsorganisationen und warben für Spenden an Familien der Opfer der Hamas. Andere Institutionen wie die Bremische Bürgerschaft oder das Theater Bremen thematisierten das Leid von Hersh Goldberg-Polin ebenfalls.

Und kurzzeitig keimte Hoffnung auf. Im April stellte die Hamas in einem Video den körperlich schwer gezeichneten Goldberg-Polin zur Schau. Der SV Werder wollte diese Bilder auf seinen Kanälen nicht reproduzieren und intensivierte die Solidaritätsarbeit. Mitarbeiter des Klubs hielten Kontakt zur Familie Goldberg-Polin und reisten nach Israel, wo Anhänger von Werder inzwischen einen Fanklub gegründet hatten.

Die Beziehungen zwischen dem deutschen und israelischen Fußball sind seit dem 7. Oktober enger geworden. Etliche Fangruppen, zum Beispiel beim FC Bayern, beim 1. FC Köln oder in der Regionalliga bei Chemie Leipzig bekundeten ihre Solidarität mit Israel. Mehrere Bundesliga-Klubs luden Angehörige der Geiseln in ihre Stadien ein. Eine Delegation der Vereine reiste mit dem World Jewish Congress und der Deutschen Fußball-Liga nach Israel.

Viele Aktionen finden außerhalb der Öffentlichkeit statt. Bei Borussia Dortmund wurden mehrere Workshops angeboten, in denen Mitarbeitende und Fans Fragen zum Nahost-Konflikt stellen konnten. Der Verein konnte nach dem 7. Oktober auch deshalb so schnell reagieren, weil er über Jahre ein Fundament gegen Antisemitismus errichtet hatte. Seit 2014 führte der BVB jährlich mindestens zwei Bildungsreisen in KZ-Gedenkstätten durch. Der Klub spendete eine Million Euro für den Ausbau der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und unterstützte mit kleineren Beträgen andere Gedenkstätten.

Die Hauptarbeit findet in Dortmund statt. Jahr für Jahr erinnert der BVB an seinen ehemaligen Platzwart Heinrich Czerkus, der als Widerstandskämpfer 1945 von den Nazis ermordet wurde. Regelmäßig finden im Stadion, im Vereinsmuseum oder im Fanprojekt Veranstaltungen gegen Antisemitismus statt, auch in Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde und der Gedenkstätte Steinwache, einem früheren Gefängnis der Gestapo.

Noch vor 15 Jahren war ein solches Engagement der Fans kaum vorstellbar. 2012 unterstützten Fans mit einem Banner im Dortmunder Stadion den »Nationalen Widerstand Dortmund«, eine verbotene rechtsextreme Organisation. Im Jahr darauf wurden zwei Dortmunder Fanarbeiter bei einem Spiel in Donezk von rechtsextremen Hooligans angegriffen. Der BVB reagierte auf den öffentlichen Druck, ließ sich von Wissenschaftlern beraten und leitete einen Wandel ein.

Mehr als ein Jahrzehnt später verfügen die Abteilungen im Klub über eigene Expertise. Sie können nun relativ schnell entscheiden, dass sie im Stadion das Lied »You’ll Never Walk Alone« einem Fan widmen, der von der Hamas ermordet wurde. Zudem trat der BVB in Dortmund einem Netzwerk gegen Antisemitismus bei. Stellvertretend für diese Maßnahmen wird Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer des Klubs, am 13. November den Leo-Baeck-Preis erhalten, die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden. Die Laudatio soll der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, halten.

Watzke ist neben dem früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger der zweite Fußballfunktionär, der diese prestigeträchtige Anerkennung erhält. Und trotzdem löst sie auch Misstrauen aus. In der internationalen Fanszene, vor allem in arabischen Ländern, werfen Fans dem BVB eine einseitige Positionierung für Israel vor. Einige von ihnen verbreiteten offenbar mit Freude die Bilder aus der Champions League am Mittwoch. Anhänger von Celtic Glasgow schwenkten bei ihrem Spiel in Dortmund palästinensische Flaggen. Eine Gruppe präsentierte auf T-Shirts den Schriftzug: »Free Palestine«.

In dieser aufgeladenen Atmosphäre dringt kaum durch, dass der BVB mit israelischen Gewerkschaften auch Dörfer unterstützt, in denen überwiegend arabische Menschen leben. Überdies bringen die »Israelischen Borussen«, ein Fanklub des BVB, seit Jahren jüdische, muslimische, christliche und atheistische Mitglieder zusammen. In Dortmund selbst werden Veranstaltungen mit Angehörigen der Hamas-Opfer mitunter nur intern beworben, um Störungen von Demonstranten zu verhindern. Ähnlich gehen auch andere Klubs in Deutschland vor, denen Fans eine Parteinahme zugunsten von Israel vorhalten.

In Europa gibt es kein anderes Land, in dem der Fußball seit dem 7. Oktober so klar Stellung gegen Antisemitismus bezieht wie in Deutschland. Es sind daher auch Klubs wie der BVB, die in einem Netzwerk für langfristige Maßnahmen werben, gemeinsam etwa mit dem FC Chelsea und Feyenoord Rotterdam.

Doch ihre Arbeit wird auch kritisiert und instrumentalisiert, zum Beispiel in Bremen. Die Veröffentlichungen des SV Werder im Gedenken an Hersh Goldberg-Polin wurden in sozialen Medien von unterschiedlichen Seiten aufgegriffen. Anhänger der israelischen Regierung und ihrer rechtsextremen Minister feierten Goldberg-Polin als Patrioten. Propalästinensische Aktivisten dämonisierten ihn als jüdischen Feind. Beide Seiten verbreiteten unter anderem ein Bild, das Goldberg-Polin in einer israelischen Uniform zeigt. Während des obligatorischen Militärdienstes hatte er als Sanitäter gearbeitet.

Diejenigen in Bremen, die ihn kannten, halten solche Vereinnahmungen für absurd. In Jerusalem setzte sich Hersh Goldberg-Polin mit seiner Ultragruppe »Brigade Malcha« für den Austausch von Juden und Palästinensern ein. Er entwarf Stadionbanner gegen Homophobie und Rassismus. Es gibt Fotos, auf denen er die Kufiya trägt, das »Palästinensertuch«. Die Fans in Bremen werden das Gedenken an ihren Freund in Ehren halten. Und sie werden daraus Ideen für die Zukunft ableiten. »Möge dein Andenken eine Revolution sein.« Ein großes Wort, Revolution. Aber für Hersh Goldberg-Polin gerade groß genug.

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