Eine Frage der Klasse

nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: Thesen und Forderungen zur selbst verschuldeten Krise der Partei

  • Lesedauer: 7 Min.
Bleibt es bei der Schuldenbremse, geht es beim nächsten Bundeshaushalt noch mehr ans Eingemachte. Zugespitzt lautet dann die Frage: Krieg oder Soziales?
Bleibt es bei der Schuldenbremse, geht es beim nächsten Bundeshaushalt noch mehr ans Eingemachte. Zugespitzt lautet dann die Frage: Krieg oder Soziales?

Im Vorfeld des Bundesparteitages der Linken im Oktober in Halle machen wir uns große Sorgen um die Zukunft der Linken. Die Linke befindet sich in einer selbstverschuldeten, existenzgefährdenden Krise. Die Linke ist auf Anpassungskurs und auf die Verteidigung von Parlamentsmandaten fixiert. Wenn Die Linke so weiter macht und ihre Politik nur auf kurzfristige Wahlerfolge statt auf langfristige gesellschaftliche Veränderungen ausrichtet, wird sie nicht nur noch mehr Zustimmung in der Bevölkerung verlieren, sondern macht sich überflüssig und wird implodieren. Die folgenden Thesen sind als Diskussionsgrundlage für eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse und der daraus für eine sozialistische Partei anstehenden Aufgaben gedacht.

1. Die krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus ist für immer mehr Menschen unübersehbar. Eine Krise folgt der nächsten. Finanzmarktkrise, Corona, Klimakatastrophe und zunehmende Auseinandersetzungen und Kriege um den Zugang zu Rohstoffen, Märkten und Einflusssphären. Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, die Menschen vor Hunger, Wassermangel, den Gefahren des Klimawandels und von Massenerkrankungen zu schützen. Millionen von Menschen fliehen vor den Folgen des Klimawandels oder vor Kriegen. Die Industrienationen machen ihre Grenzen für die Menschen dicht, die vor den Folgen der kapitalistischen Entwicklungen fliehen.

2. Der Krieg als Fortsetzung imperialistischer Politik ist von der Peripherie wieder ins Zentrum der Großmächte gekommen. Deutschland will als lange Zeit führende Wirtschafts- und Exportmacht in der EU beim Zugang zu den Ressourcen und Märkten in Zentralasien und dem Rest der Welt eine zentrale Rolle spielen und ist deshalb bei den Waffenlieferungen an die Ukraine und dem Versuch, Russland zu ruinieren, an vorderster Front dabei.

3. Der Krieg um die Ukraine ist ein Konflikt zwischen dem mächtigsten kapitalistisch- imperialistischen Block auf der Welt, den Vereinigten Staaten mit seinen europäischen Verbündeten, darunter auch Deutschland, einerseits, und Russland, einer ökonomisch und militärisch weitaus schwächeren und geschwächten und deshalb umso aggressiveren kapitalistischen imperialistischen Macht, andererseits.

4. Die USA rüsten sich bereits für die nächste große kriegerische Auseinandersetzung gegen das wirtschaftlich aufstrebende China. Auch da ist die Bundesregierung und ihr Kriegsminister vorne dabei und schickt Kriegsschiffe in den Pazifik.

Autoren und Unterstützer

Dieses Thesenpapier wurde von mehr als 30 Linke-Mitgliedern aus verschiedenen Landesverbänden und Parteigliederungen erarbeitet und unterzeichnet. Darunter sind aktive Abgeordnete wie die EU-Parlamentarierin Özlem Alev Demirel und frühere Bundestags – bzw. Europa­abgeord­nete wie Christine Buchholz, Inge Höger, Tobias Pflüger und Hubertus Zdebel. Mehrere Unterzeichner kandidieren beim Parteitag Mitte Oktober in Halle für den nächsten Parteivorstand.
Das Papier erschien zuerst auf der Webseite diefreiheitsliebe.de.

5. Eine starke Linke, die sich für Frieden und soziale und Klimagerechtigkeit einsetzt, ist in dieser zugespitzten Situation der Auseinandersetzungen dringend notwendig. Sozialismus oder Barbarei steht auf der Tagesordnung.

6. Aber Die Linke duckt sich weg und ist zu klaren Positionen gegen Aufrüstung und Krieg, gegen die Macht des Kapitals nicht in der Lage. Die Linke befindet sich in einer selbstverschuldeten existenzgefährdenden Krise. Sie ist auf Anpassungskurs und auf die Verteidigung von Parlamentsmandaten fixiert. Die Wahlergebnisse bei den EU-Wahlen und den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sprechen eine deutliche Sprache. Die Linke ist zwar immer noch eine der mitgliederstärksten linken Parteien in Europa. Aber viele Genossinnen und Genossen sind verunsichert, haben sich zurückgezogen und sind passiv. Sie fragen sich, ob es sich noch lohnt, für Die Linke weiter zu kämpfen, und warten ab.

7. Die Linke macht nur noch Stellvertreterpolitik und hat ihr eigentliches Ziel, den Aufbau von Gegenmacht und den Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft, aus den Augen verloren. Es fehlt an Klassenbasis und Klassenorientierung. Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist es mehr als wahrscheinlich, dass die Partei nicht nur noch mehr Beachtung, Bedeutung und Zustimmung in der Bevölkerung verlieren, sondern implodieren und sich über kurz oder lang auflösen wird.

8. Die Linke kann nicht Krise. Von den Krisen der letzten Jahrzehnte, angefangen mit der Finanzmarktkrise über die Migrations- und Klimakrise bis zum Krieg Russlands und der Nato um die Ukraine, hat es Die Linke nicht geschafft, in diesen Krisen mit klaren und eindeutigen Positionen gemeinsam mit den vielen Mitgliedern und Bewegungen Kämpfe für gesellschaftliche Veränderungen zu organisieren. Stattdessen übernimmt sie lieber mit Formelkompromissen die Rolle der Retterin des Kapitalismus.

9. Auf dem kommenden Bundesparteitag im Oktober geht es um die grundsätzliche strategische, programmatische und strukturelle Ausrichtung der Partei. Rücken wir Krieg und Frieden in Verbindung mit den Themen Soziales und sozial-ökologischer Umbau in das Zentrum unserer Politik oder bleibt es beim »Weiter so«? Werden wir eine Mitgliederpartei oder überlassen wir die Weichenstellungen weiterhin den Parlamentarier*innen und den Hauptamtlichen im Apparat? Sind wir für die Befristung von Mandaten und die Trennung von Amt und Mandat?

»Vorwärts oder vorbei?«: Debattenserie über die Krise in der Linkspartei
25.08.2018, Sachsen, Hoyerswerda: Wimpel der Partei Die Linke mi...

Die Linkspartei steckt tief in der Krise, braucht neues Führungspersonal und dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? »nd« startet eine Debattenserie über Probleme und Perspektiven: »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« Alle Texte der Serie finden Sie hier.

10. Zugespitzt formuliert: Hauptverantwortlich und damit entscheidend für den Niedergang und die fehlende Zustimmung ist die fehlende Klassenbasis und Klassenorientierung. Sie ist die Ursache für die falsche programmatische Ausrichtung der Partei zu Krieg und Frieden. Alle Wahlanalysen bestätigen, dass die Kriegsfrage die wahlentscheidende Frage war. Die Taktik der Partei auf Bundesebene war aber, sich in der Frage Ukraine-Krieg nicht zu positionieren. Es gab keine wirkliche Analyse über die Interessenlage in der Ukraine. Die Parteiführung ist weggeduckt und hat die Deutungshoheit anderen überlassen. Diese wahltaktische Ausrichtung muss sich umgehend ändern. Die Linke muss den Charakter der Kriege als imperialistische Kriege um Macht und Einflusssphären benennen.

11. Gleiches gilt für den Nahost-Krieg. Für einen gerechten Frieden im Nahen Osten, gegen das völkerrechtswidrige Vorgehen der israelischen Regierung und Armee gegen die Zivilbevölkerung in Gaza und auch auf Nachbarländer gibt es seit Monaten viele Proteste gerade von jungen Menschen. Für diese Protestierenden ist Die Linke keine Ansprechpartnerin. Der genozidale Krieg gegen die Bevölkerung in Gaza wird genauso wenig benannt wie die Repression gegen die Solidaritätsbewegung in Deutschland.

12. Außerdem hat die Partei keinerlei Vorbereitung auf die in Folge des Ukraine-Kriegs absehbare gesellschaftliche Krise mit all ihren Verwerfungen (Inflation, Kürzungsprogramme) getroffen. Infolgedessen wurden die Auswirkungen von Aufrüstung und Sozialabbau (Kanonen statt Butter) auch nicht in direkten Zusammenhang mit dem Krieg gebracht. Die »Kampagne« zum »heißen Herbst« 2022 vermied konsequent, steigende Preise und mangelnde soziale Abfederung in Verbindung mit den Rüstungsmilliarden zu bringen.

13. Die Thematik Kriegswirtschaft und Kriegstüchtigkeit wird an Bedeutung zunehmen. Das Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro wird in einem Jahr aufgebraucht sein. Bleibt es bei der Schuldenbremse, geht es beim nächsten Bundeshaushalt für 2026 sowie folgende Jahre noch mehr ans Eingemachte. Die finanziellen Mittel für weitere Aufrüstung, Waffenlieferungen und Ertüchtigung der militärischen Infrastruktur können im Wesentlichen nur aus dem Etat des Arbeits- und Sozialministeriums kommen. Zugespitzt lautet dann die Frage: Krieg oder Soziales?

14. Gleiches gilt für den sozial-ökologischen Umbau: In Sachen Energiepolitik sind zur Freude der fossilen Konzerne alte Zeiten angebrochen. Kohlekraftwerke bleiben länger am Netz. LNG-Terminals für teures und vor allem klimaschädliches US-Fracking-Gas wurden gebaut. Dahingegen wurden Mittel für einen umweltfreundlichen ÖPNV gestrichen oder Investitionsprogramme für kommunale Wärmeplanungen erst gar nicht bewilligt. Die Bekämpfung der Klimakatastrophe und der Ausbau der erneuerbaren Energien bleiben auf der Strecke.

15. Gesellschaftliche Veränderung zu erzielen muss das zentrale Ziel der Linken sein. Das gelingt nicht, indem durch Blick auf Umfragen untersucht wird, in welchen Themen wir vermeintliche gesellschaftliche Mehrheiten hinter uns haben, um diese dann in den Mittelpunkt unserer Wahlkampagnen zu stellen. Stattdessen sollten Mehrheiten für linke Themen durch Bündnisse und Mobilisierungen hergestellt werden. Die Mehrheiten gegen die Agenda-Politik, Hartz IV und den Sozialabbau der Schröder-Regierung sind durch zunächst kleinere und dann größere Bündnisse aufgebaut worden. Ein solcher Aufbau von Bündnissen zu zentralen linken Anliegen wie soziale Gerechtigkeit, Frieden, Klima und Antifaschismus findet aus der Partei heraus kaum statt. Er ist aber Grundvoraussetzung dafür, wieder gesellschaftlich relevant zu werden.

16. Die Linke muss Kurs als Friedenspartei halten und zusammen mit den Resten der Friedensbewegung und den Kolleg*innen in den Gewerkschaften eine zielgerichtete Antikriegspolitik aufbauen. Sie muss sagen, was ist und Streiks gegen die Rüstungsindustrie, Blockaden von Waffenlieferungen, von Kasernen und Raketenstützpunkten organisieren.

17. Kriege werden nicht aus moralischen Gründen für Demokratie oder die Menschenrechte geführt, sondern es geht den imperialistischen Ländern immer um Rohstoffe, um die Sicherung von Handelswegen und um Absatzmärkte, es geht um Profite.

18. Wenn sich das kapitalistische System selbst immer wieder infrage stellt, muss Die Linke an den Eigentums- und Machtverhältnissen rütteln mit dem Ziel der Überwindung des Kapitalismus. Dafür muss sie sich in allen Bereichen des Lebens verankern. Um Gegenmacht aufzubauen, muss sie am gesellschaftlichen Bewusstsein arbeiten und den Fokus auf eine klare klassenorientierte Politik ausrichten.

Zuletzt erschien in der nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: »Kluge Dialektik und linke Sicherheitspolitik« von Paul Schäfer und Gerry Woop (»nd.DerTag« vom 8.10.24)

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