Arbeit ist das ganze Leben

Über widernatürliche Bestrebungen, Menschen für ihre liebste Tätigkeit zu entlohnen

Ein wahrer Menschenkenner: Kanzler Olaf Scholz
Ein wahrer Menschenkenner: Kanzler Olaf Scholz

Viel wurde in der letzten Zeit über eine Prämie von 1000 Euro diskutiert, die ehemaligen Langzeitarbeitslosen ausgezahlt werden soll, wenn sie über ein Jahr einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sind. Bundeskanzler Olaf Scholz war nicht ganz überzeugt von dieser Art der Belohnung und gab zu Protokoll: »Ich persönlich teile die Theorie vieler Leute nicht, dass man jemanden zur Arbeit locken muss, weil ich glaube, wir sind alle zum Arbeiten geboren.«

Recht hat der Mann! Der Mensch ist zur Arbeit geboren. Weil unsere Vorfahren Jäger und Paketboten waren, verspüren auch heutzutage die Menschen den Drang, für DHL zu arbeiten. Die Lust darauf hat sich tief in die Gene der allermeisten Humanoiden gefressen, und es befriedigt sie auf größtmögliche Weise, wenn sie sich als wandelndes Verkehrshindernis durch die Rush Hour zwängen.

Andreas Koristka
Autorenfoto von Andreas Koristka am Donnerstag, den 10. Oktober ...

Andreas Koristka ist Redakteur der Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter dasnd.de/koristka.

Natürlich würden die Leute diese Arbeit auch ohne Entlohnung verrichten, aber irgendwie müssen ja Essen und Miete bezahlt werden. Das sind die nervigen Begleitumstände unserer Zeit. Und Olaf Scholz wäre der Letzte, der den Leuten nicht gönnen würde, wenn sie ein bisschen Geld für ihre Arbeit erhalten. Das ist für ihn eine Selbstverständlichkeit und gelebte Sozialdemokratie.

Trotzdem ist Arbeit für uns alle so schön, dass man sie eigentlich nicht mit Geld aufwiegen kann. Es gibt so viele wundervolle Berufe! Hilfsarbeiter im Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück, Reinigungskraft der Toilette am Bahnhof Berlin Zoologischer Garten, Sprecher der Gesellschafter der Hamburger Warburg Bank und Abertausende mehr! Sicherlich, die meisten Unternehmen sind ausbeuterische Schweinefirmen, die alles dafür tun, um den Planeten restlos zu ruinieren. Aber wir arbeiten ja nicht für sie! Wir arbeiten für uns, für unser geistiges und körperliches Wohlergehen. Dazu muss niemand gelockt werden. Denn es entspricht nicht der menschlichen Natur, sich auf eine Bank im Park zu setzen und nichts weiter zu tun, als die letzten warmen Sonnenstrahlen des Herbstes zu genießen, dabei ein gutes Buch zu lesen und von Zeit zu Zeit die possierlichen Eichhörnchen mit Keksen zu füttern.

Sicherlich, für fünf Minuten ist das mal okay. Aber schon will man wieder in die Firma, die vertrauten Kollegen sehen und wissen, ob sich das Ekzem im Gesicht des Hausmeisters gebessert hat. So hat Gott uns geschaffen. Wir sind kleine arbeitsgeile Racker, die sich den lieben langen Tag abschuften möchten. Genau aus diesem Grund sind Rentenzahlungen widernatürlich. Ihretwegen werden jeden Tag Millionen von Senioren der Freude beraubt, in den Steinbrüchen des Landes etwas Gutes für sich und die Gemeinschaft zu leisten.

Man kann nur ahnen, wie die Rentner aufblühen würden, wenn sie ganz normale Arbeitnehmer wären, die nach Gutdünken irgendeines Vorgesetzten durch die Gegend kommandiert würden. Wenn Olaf Scholz den alten Leuten wirklich helfen möchte, sollte er die Rente sofort abschaffen. Aber vielleicht arbeitet Scholz genau in diesem Moment daran. Denn zum Arbeiten ist auch er geboren …

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