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Die Polisario ist nun klageberechtigt
EuGH: Bilaterale Handelsverträge verstoßen gegen Selbstbestimmungsrecht des Volkes der Westsahara
Anfang Oktober entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, der EuGH, dass die Fischerei- und Handelsabkommen zwischen Marokko und der EU ungültig sind. Welche Bedeutung haben die Abkommen für die EU, Marokko und das Volk der Westsahara?
Die Bedeutung der Abkommen ist nicht zu unterschätzen, da die EU für Marokko die mit Abstand größte Handelspartnerin ist. Beinahe noch wichtiger sind diese Abkommen jedoch auf politischer Ebene. Für Marokko sind die Abkommen ein Grundpfeiler seiner Strategie, über wirtschaftliche Aktivitäten internationale Unterstützung für seine völkerrechtswidrigen Ansprüche auf die Westsahara zu bekommen. Die EU wiederum möchte Marokko bei der Stange halten, um sich weiter gegen Migration abzuschotten. Für die Sahrauis (indigenes Volk der Westsahara, Anm. d. Red.) bedeuten die bisherigen Abkommen dagegen eine eklatante Verletzung ihres fundamentalen Rechts auf Selbstbestimmung.
Warum ist das Urteil aus der Sicht von NGO Western Sahara Ressource Watch wegweisend? Die EU-Kommission und Marokko haben bei den vorherigen sechs Urteilen immer Wege gefunden, die juristischen Vorgaben zu umgehen.
Der Gerichtshof hatte schon zuvor die Eigenständigkeit der Westsahara und das Selbstbestimmungsrecht für das Volk der Westsahara bestätigt. Das aktuelle Urteil ist nun tatsächlich das Erste, das rechtskräftig Abkommen annulliert, die die Westsahara explizit mit einschließen. Die Frente Polisario (bewaffnete Unabhängigkeitsbewegung der Sahrauis, Anm. d. Red.) ist nun endgültig als klageberechtigt etabliert, da sie »das Volk der Westsahara als Inhaber des Rechts auf Selbstbestimmung vertritt«. Das Urteil grenzt außerdem den Handlungsspielraum der Kommission viel enger ein. Es stellt klar, dass strikt zwischen der Bevölkerung des besetzten Gebietes – welche marokkanische Siedler einschließt – und dem Volk der Westsahara als Träger des Selbstbestimmungsrechts zu unterscheiden ist.
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Glauben Sie, dass es ein neues Handelsabkommen geben wird, in dem die Frente Polisario tatsächlich auch als gleichberechtigte Partnerin mit einbezogen wird?
Theoretisch können neue Abkommen, die die Westsahara betreffen, weiterhin zwischen der EU und Marokko verhandelt werden. Falls die explizite Zustimmung der Polisario aber nicht vorliegt, lässt der EuGH nur eine andere Option zu: Dass dem Volk der Westsahara aus der »Nutzung der natürlichen Ressourcen des Gebiets ein präziser, konkreter, substanzieller und überprüfbarer Vorteil erwächst«. Auch dies sieht der EuGH in den Abkommen nicht erfüllt und es wird für die EU so gut wie unmöglich sein, die geforderten Kriterien ohne Einbeziehung des Volkes der Westsahara zu erfüllen.
Tim Sauer arbeitet für die Western Sahara Ressource Watch Germany. Die NGO kämpft gegen die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Westsahara wie Fisch, Landwirtschaftsprodukte und Phosphat. 80 Prozent des Gebietes sind seit 1975 völkerrechtswidrig von Marokko besetzt.
Wie hart könnte das Urteil europäische Unternehmen in der Westsahara treffen?
Ähnlich wie die EU werden auch Unternehmen nicht mehr mit Marokko als alleinigem Verhandlungspartner auskommen und die Sahrauis außen vor lassen können. Die Argumentationslinie vieler Unternehmen gleicht zudem jener der EU, die nun abgewiesen wurde. Ein aus den Geschäftsaktivitäten entstehender Vorteil der lokalen Bevölkerung ist ebenso wenig ausreichend für Rechtskonformität wie eine Konsultation derselben. Alle Unternehmen sollten daher ihre Aktivitäten in Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht Marokko überdenken und sich der rechtlichen Risiken gewahr werden.
Ein weiteres aktuelles Urteil des EuGH besagt, dass Importwaren aus den besetzten Gebieten ab sofort als aus der Westsahara stammend gekennzeichnet werden müssen. Was bedeutet das konkret?
Vorab: Das Handelsabkommen gilt noch ein Jahr, das Fischereiabkommen ist bereits ausgelaufen. Waren aus der Westsahara aus landwirtschaftlicher Produktion, wie Tomaten und Melonen, und Fischereierzeugnisse, wie Fischkonserven, wurden bisher als marokkanisch gelabelt. Die EU-Kommission müsste die Zollbehörden jetzt anweisen, solche Waren nicht mehr einzuführen. Auf der Ebene des Imports und beim Endverbraucher im Geschäft muss die Kennzeichnungspflicht eingehalten werden.
Was kann man angesichts der Urteile von der deutschen Bundesregierung und von der EU-Kommission erwarten?
Die EU-Kommission hat schon angedeutet, dass sie alles tun will, um die Handelsabkommen aufrechtzuerhalten. Um einem weiteren Desaster zu entgehen, sollte sich die Bundesregierung aber daran erinnern, dass sie dem Abschluss der Abkommen im EU-Rat nur unter Vorbehalt zugestimmt hatte und sich auf EU-Ebene darum bemühen, dass die Kriterien des Gerichtshofs nun genau eingehalten werden. Dazu zählt die Zustimmungspflicht des Volkes der Westsahara und eine strikte Unterscheidung zwischen der Westsahara und Marokko, insbesondere bezüglich der Herkunftsbezeichnung von Importwaren.
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