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Streiks in Metall- und Elektroindustrie
Wirtschaftsflaute könnte Dynamik ausbremsen. Experte erwartet hohe Kompromissbereitschaft
Dass es gleich zum Ende der Friedenspflicht zu Warnstreiks kommen würde, war eine ausgemachte Sache. Denn für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie steht viel auf dem Spiel. Die rasante Inflation der vergangenen Jahre hat sich zwar inzwischen etwas normalisiert. Doch die Preise verweilen auf einem hohen Niveau, insbesondere für Lebensmittel.
Aus Berechnungen des Tarifforschers Reinhard Bispinck geht hervor, dass die Preissteigerung in den Jahren 2021 bis 2023 deutlich über der Lohnentwicklung in der Metall- und Elektroindustrie lag. Die Folge waren drastische Reallohnverluste bis zu fünf Prozent.
Vor diesem Hintergrund fordert die IG Metall in der Tarifauseinandersetzung eine Entgelterhöhung von sieben Prozent sowie eine pauschale Erhöhung der Ausbildungsvergütungen um 170 Euro. Hinzu kommt eine nicht näher bestimmte soziale Komponente für untere Einkommensgruppen sowie die Ausweitung der Wahlmöglichkeiten zwischen Zeit und Geld. Die Laufzeit soll mit zwölf Monaten wesentlich kürzer sein.
Die Forderungsaufstellung der Gewerkschaft war vergleichsweise moderat ausgefallen und bewegt sich im unteren Bereich der letzt- und diesjährigen Verhandlungsrunden in anderen Branchen, wie Thorsten Schulten erklärt. Er leitet seit 2016 das Tarifarchiv des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
Wenig überraschend, dass die IG Metall das Angebot des Unternehmensverbands Gesamtmetall, das bereits in der zweiten Verhandlungsrunde vorlag, nicht akzeptierte. Die Arbeitgeber boten eine Erhöhung von nur 3,6 Prozent in zwei Schritten bei einer Laufzeit von 27 Monaten sowie eine einmalige Anhebung der Ausbildungsvergütungen an. Konkrete Zahlen zur Ausbildungsvergütung nannte der Verband nicht.
Die IG Metall-Vorsitzende Christiane Benner kommentierte das Angebot und sagte vor den Warnstreiks: »Das magere Angebot der Arbeitgeber verkennt den Ernst der Lage.«
»Am großen Showdown ist momentan keine der Seiten interessiert«
Heiner Dribbusch Tarif- und Streikforscher
Wie konfliktträchtig der kommende Tarifstreit indes werde, sei ungewiss, erklärt der Streik- und Tarifexperte Heiner Dribbusch im Gespräch mit »nd«. Er war bis 2019 Referatsleiter für Tarif- und Gewerkschaftspolitik beim WSI. Auch wenn die nach Mitgliedern größte Gewerkschaft der Bundesrepublik bereits mobil macht, wisse sie, dass die Lage in der Metall- und Elektroindustrie alles andere als einfach ist.
Wie in der Gesamtwirtschaft befinden sich viele Betriebe in der Flaute, nicht zuletzt in der Automobilfertigung, der Leitbranche der Industrie. Auftragsbestände sinken, die Exportnachfrage ist rückläufig, Unternehmen halten sich mit Investitionen in Produktionsanlagen und neue Technologien stark zurück.
Auf Anfrage dazu teilt Oliver Falck, Leiter des Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien am Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo, mit, dass es sich um »extrem heterogene Branchen« handle, »die durch den tiefgreifenden Strukturwandel sehr unterschiedlich betroffen sind«. Einerseits gebe es sehr energieintensive Metallunternehmen, die sich langfristig höheren Strompreisen gegenübersehen und auch in CO2-sparende Produktionsverfahren investieren müssen. Die Elektroindustrie hingegen umfasst Branchen wie Elektronik, Medizintechnik, elektrische Haushaltsgeräte und die IT-Industrie. »Einige Bereiche laufen da sicherlich gut«, erklärt er. Doch viele Bereiche stünden unter erheblichem internationalem Wettbewerbsdruck. Dadurch sei ein pauschaler Lohnabschluss schwierig, erklärt er.
Dennoch, dass die Arbeitgeberseite schon in der zweiten Verhandlungsrunde ein konkretes Angebot auf den Tisch legte, ist im Vergleich zu vergangenen Tarifrunden ungewöhnlich. Das frühe Angebot deutet für Dribbusch darauf hin, dass sie »nicht an großer Eskalation interessiert ist«. »Aber«, erklärt der Arbeitskampfexperte, »die Unternehmen wissen auch, dass ihr erstes Angebot nicht reicht und sie nachlegen müssen.«
Er erwartet in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage vieler Betriebe eine hohe Kompromissbereitschaft. »Am großen Showdown ist momentan keine der Seiten interessiert«, sagt er. Die Rahmenbedingungen sind ganz anders als vor der letzten Tarifrunde im Jahr 2022, als die Inflationsraten in die Höhe schossen.
Dies bedeutet aber nicht, dass die Verhandlungen völlig reibungslos verlaufen. Der Gewerkschaft wird es in der nun beginnenden »Warnstreikphase« darum gehen, Druck aufzubauen, um das Ergebnis möglichst nah an ihre Ausgangsforderungen heranzubringen. Dass die IG Metall dafür eine starke Mobilisierung ihrer Mitglieder hinkriegt, daran zweifelt Streikexperte Dribbusch nicht. Wie es dann weitergeht, hängt von der Reaktion der Arbeitgeberseite ab.
Den Auftakt in der Warnstreikphase machen am Dienstagfrüh die Beschäftigten des VW-Werks in Osnabrück und in anderen Betrieben in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Am Montag war bekannt geworden, dass der VW-Vorstand plant, das dortige Werk zu schließen. Gestreikt wird auch in Berlin, Brandenburg und Sachsen sowie in Bayern und der Tarifregion Thüringen und Mitte, der Unternehmen in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland angehören. Die dritte Verhandlungsrunde beginnt am 31. Oktober und geht bis zum 5. November.
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