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Kamala Harris: Geduldige Blitzstarterin im US-Wahlkampf

Die US-Demokraten hatten vor Jahren keine Lust auf Kamala Harris. Nun überschütten sie ihre Präsidentschaftskandidatin mit Jubel

Kamala Harris füllte zuletzt im Wahlkampf auch die größten Arenen. Das war bei ihrer letzten Kandidatur noch ganz anders.
Kamala Harris füllte zuletzt im Wahlkampf auch die größten Arenen. Das war bei ihrer letzten Kandidatur noch ganz anders.

Vor knapp fünf Jahren hatte sich Kamala Harris ganz in Schwarz gekleidet. An diesem 3. Dezember 2019 war zwar niemand in ihrem Umfeld gestorben, doch sie wusste: Was sie in den folgenden vier Minuten erzählen und dann per Videobotschaft in die Welt schicken sollte, würde bei ihren Anhängern Trauer auslösen: »Mit tiefem Bedauern, aber auch großer Dankbarkeit, beende ich meine Kandidatur«, sagte die damalige Senatorin von Kalifornien, scheinbar allein in einem Büro sitzend. Elf Monate zuvor hatten ihr noch 20 000 begeisterte Menschen zugejubelt, als sie in Oakland verkündete, US-Präsidentin werden zu wollen.

Eine Umfrage hatte Harris damals schnell auf Platz drei eines großen Bewerberfeldes in der Demokratischen Partei platziert, in Reichweite von Joe Biden und Bernie Sanders, die beide viel bekannter waren als die ehemalige Staatsanwältin. Doch in nur zwei Jahren in Washington hatte sie sich schnell den Ruf einer gefürchteten Vernehmerin erworben, die regelmäßig Donald Trumps Justizminister und für den Obersten Gerichtshof nominierten Verfassungsrichter auseinandernahm. Die »weibliche Barack Obama« wurde die charismatische Frau betitelt. Warum aber wurde sie dann nicht gewählt? Warum hatte sie schon kapituliert, noch bevor die ersten Stimmen in den Vorwahlen abgegeben wurden? Und warum steht dieselbe Partei im Herbst 2024 nun so geschlossen hinter der Vizepräsidentin?

USA-Wahl

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Im Jahr 2019, das ist heute klar, war das politische Feld links vom damaligen Präsidenten Donald Trump um einiges vielfältiger. Es gab moderate Kräfte wie Joe Biden und den heutigen Verkehrsminister Pete Buttigieg, die ein Zurück zur Stabilität nach Trump in den Vordergrund ihres Wahlkampfs stellten und damit vor allem die gesellschaftliche Mitte ansprachen. Das andere Ende des Spektrums war mit den linken Galionsfiguren Bernie Sanders und Elizabeth Warren ebenfalls besetzt. Dazwischen ihren Platz zu finden, fiel der noch unerfahrenen Harris lange schwer.

Schnell wurde außerdem klar: Auf einen weiteren Obama, der vor allem mit Charisma und Redegewandtheit punkten konnte, hatten die Wähler der Demokraten diesmal keine Lust. Seit sich Hillary Clinton 2016 gegen Bernie Sanders durchgesetzt hatte, dann aber Trump unterlegen war, interessierten die Demokraten eher politische Konzepte als nur der Fakt, an der Macht zu sein. Das Argument von Harris, im Kampf gegen Trump wählbarer zu sein als Sanders und Co., zog nicht mehr. Vielmehr herrschte Angst davor, es in den rückständigen USA erneut mit einer Frau zu probieren.

»Mir sind Labels nicht wichtig. Ich gehe jede Sache von dem Standpunkt an, wie sie die Menschen beeinflusst«, sagte Harris damals der »New York Times« auf die Frage, welcher Ideologie sie sich nahe fühle. »Politik muss immer relevant sein. Dieses Prinzip leitet mich und nicht irgendein ideologischer Test.« Da die Partei anders tickte, verpuffte der frühe Enthusiasmus rund um ihre Kandidatur. Harris fand einfach kein Thema, das Wählerschaften hinter ihr vereinte.

Versucht hatte sie es. Ursprünglich unterstützte sie die Idee einer gesetzlichen Krankenversicherung für alle (Medicare for all) von Bernie Sanders. Um sich von ihm zu unterscheiden, wollte sie Privatversicherer dann aber doch nicht mehr eliminieren. Das brachte ihr nur Kritik von beiden Seiten ein. Für die einen ging sie nicht weit genug, die anderen warfen ihr vor, Obamas mittlerweile beliebt gewordene Gesundheitsreform aufs Spiel zu setzen.

Selbst bei den Themen Kriminalität und Justizreform, mit denen die erfolgreiche Juristin am meisten hätte punkten müssen, war sie die falsche Kandidatin für jene Zeit. Die heute 60-jährige Tochter von Einwanderern aus Jamaika und Indien war schon als Kleinkind von ihren aktivistischen Eltern auf Bürgerrechts-Demonstrationen mitgenommen worden. Als später eine Schulkameradin von ihrem Stiefvater sexuell misshandelt worden war, fasste Harris den Entschluss, als Anwältin den Schwächsten der Gesellschaft helfen zu wollen.

So arbeitete sie nach dem Studium in den 1990er Jahren für diverse Staatsanwälte in Oakland und San Francisco, vor allem im Bereich von Kindesmisshandlungen. Sie stieg auf, wurde 2003 als erste Schwarze zur Bezirksstaatsanwältin von San Francisco gewählt, acht Jahre später zur ersten Generalstaatsanwältin des Bundesstaats Kalifornien und 2017 zur ersten US-Senatorin mit indischen Wurzeln.

Ihre juristische Biografie hätte im Präsidentschaftswahlkampf ihre Stärke sein sollen, doch die Demokraten wollten damals keine Vertreterin einer harten Linie beim Verfolgen von Straftaten. Gesetzesinitiativen, die sie in Kalifornien angestoßen hatte, wurden unter neuem Licht betrachtet zum Bumerang. Hatte sie ein Jahrzehnt zuvor damit punkten können, Eltern von Schulschwänzern mit Geld- und sogar Haftstrafen zu drohen, waren Geschichten von eingesperrten Müttern aus ärmeren Verhältnissen nun nicht mehr gern gesehen. Harris hatte derlei Gesetze einst mit Statistiken begründet, dass aus Schulabbrechern überproportional häufig Schwerverbrecher würden. Sie selbst hatte zwar nie Verhaftungen von Eltern veranlasst, andere Staatsanwälte in Kalifornien aber schon.

Beim Mord an George Floyd durch einen Polizisten im Frühjahr 2020 hatte Harris ihre Kandidatur zwar schon abgebrochen, die Bewegung Black Lives Matter und damit Debatten über eine Justizreform waren aber schon in vollem Gange. Schließlich hatten vor Floyd schon etliche weitere Polizeitote wie Eric Garner, Michael Brown und Tamir Rice Proteste ausgelöst. Das machte Harris für die erstarkenden progressiven Kräfte unter der Demokraten unwählbar. »Kamala is a cop« wurde zum anklagenden Slogan.

Dabei hatte Harris auch progressive Ansätze verfolgt. Sie ließ Sozialarbeiter-Programme finanzieren und plädierte bei gewaltfreien Ersttätern für sehr milde Strafen. Auch die Todesstrafe lehnte sie ab. Doch Eltern zu bestrafen, weil ihre Kinder nicht in die Schule gingen, passte nicht in dieses Bild. Harris erkannte zu spät, dass die Eltern eher Hilfe brauchten statt Strafandrohungen. Ihr Image wurde sie nicht mehr los. Zuerst sanken ihre Umfragewerte, dann blieben die Spenden aus, und sie musste aufgeben. »Ich bin keine Milliardärin. Ich kann meinen Wahlkampf nicht aus eigener Tasche bezahlen«, erklärte sie offen. Knapp ein Jahr später wurde sie an Bidens Seite zur Vizepräsidentin gewählt. Der hatte genug in der Spendenkasse.

Vier Jahre danach redet nun kaum noch jemand über Black Lives Matter. Es gab seit Bidens Amtsantritt vor allem medial betrachtet keinen mit George Floyd vergleichbaren Fall, der die Massen auf die Straßen getrieben hätte. Zudem stellte sich der neue Präsident auch nicht reflexartig auf die Seite von Polizisten, wenn sie schwarze Menschen töteten, wie es Trump getan hatte, auch wenn unter Biden mehr Bundespolizisten eingestellt wurden. Stattdessen kommt Harris ihre Vergangenheit als Staatsanwältin heute sehr zugute, wenn sie gegen den verurteilten Straftäter und noch mehrfach angeklagten Trump im direkten Duell antritt.

Dessen zweite Amtszeit zu verhindern, vereint fast alle US-Linken. Für Debatten über eine Polizeireform, die eher Sache der Einzelstaaten wäre, für eine Transformation der Justiz oder den Ausbau der gesetzlichen Krankenversicherung blieb in den drei Monaten der Blitzkandidatur von Harris keine Zeit. Die Vizepräsidentin hat außerdem viel dazugelernt, vor allem, wenn es um das Lavieren um schwierige Themen geht. Sie tritt viel selbstbewusster auf und kommt immer wieder auf ihre Stärken zurück: das Recht auf Abtreibung, die Verteidigung des Wahlrechts oder die Bezahlbarkeit von Mieten. Da niemand links von ihr hörbar für »Medicare for all« eintritt, hat sie intern nichts mehr zu fürchten.

Ein Geldproblem hat sie übrigens auch nicht mehr. Seit Bidens Rücktritt fließen die Spendenzahlungen auf Konten der Partei ungebremst. Harris und Co. hatten plötzlich mehr als eine Milliarde US-Dollar zur Verfügung. Es ist nur fraglich, ob das reicht, eine Mehrheit der US-Amerikaner davon zu überzeugen, sich von einer Frau regieren zu lassen.

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