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Roter Stern vs. FC Barcelona: Das Kunstwerk von Belgrad
Zirkus Europa: Endlich wieder ein großer Fußballabend im Marakana – wie einst, als das schönste Tor der Geschichte fiel
Lange nichts mehr von Emir Kusturica gehört, jedenfalls nichts, was seine Kernkompetenz als Filmemacher betrifft. Vor einem halben Jahr hat er Wladimir Putin besucht und bei der Gelegenheit die Verdienste des russischen Präsidenten um die slawische Sache gewürdigt. Das kam in der westlichen Welt nicht besonders gut an, aber Kusturica hat sich ja noch nie darum geschert, was andere von ihm denken. Der Serbe gefällt sich in der Rolle des ewigen Outlaws – auch deshalb bewundert er Diego Armando Maradona, den größten, aber auch umstrittensten Künstler, der je im europäischen Fußballzirkus aufgetreten ist.
Kusturica hat auch einen preisgekrönten Film über Maradona gedreht. Er heißt »Maradona by Kusturica«, was auf den ersten Blick wie eine Anmaßung klingt, auf den zweiten aber perfekt zum Inhalt passt. Es geht natürlich auch um den vor vier Jahren verstorbenen argentinischen Fußballgott, vor allem aber um die Liebe des Regisseurs zu seinem Hauptdarsteller. Kusturica spricht den Kommentar und spielt dazu die zweite Hauptrolle. Und ganz am Ende überredet er Maradona dann auch noch zu einem ganz besonderen Remake.
An diesem Mittwoch empfängt der FK Roter Stern Belgrad am vierten Hauptrunden-Spieltag der Champions League die Überflieger vom FC Barcelona. Endlich mal wieder ein großer Abend im Stadion Rajko Mitic, das die Belgrader nur Marakana nennen, weil es so ähnlich geschwungen ist wie die Fußball-Kathedrale von Rio de Janeiro.
Früher schlicht Pokal der Landesmeister, heute Champions League: ein inszeniertes Spektakel und Gelddruckmaschine des Fußballs. Sven Goldmann blickt auf den kommenden Spieltag.
In jenem Stadion war Kusturica dabei, als der FC Barcelona im Oktober 1982 im Europapokal der Pokalsieger 4:2 beim Roten Stern siegte. Maradona schoss damals zwei Tore – darunter sein schönstes überhaupt. Gewiss, trotz seiner beiden Geniestreiche bei der Weltmeisterschaft 1986 gegen England, dem bösen wie dem guten, als er den Ball erst mit der göttlichen Hand ins Tor schummelte und später einen selten gesehenen Sololauf über den halben Platz zauberte. Alles schön und gut, aber an das Kunstwerk von Belgrad reichen sie nicht heran.
An jenem Herbsttag vor 42 Jahren steht Maradona eine Woche vor seinem 22. Geburtstag und schon im Zenit seines Könnens. Er erzielt ein erstes Tor, interessanterweise mit dem Kopf, obwohl er doch der Kleinste auf dem Platz ist. Dann ist die Zeit reif für das Meisterwerk. Mit sieben Berührungen, alle mit dem begnadeten linken Fuß, treibt er den Ball von der Mittellinie in die gegnerische Hälfte, mit der achten schaufelt er den Ball in den Himmel der schwarzen Nacht über Belgrad. Steil hinauf Richtung Flutlichtmast, bis er dann genauso steil zurück ins Irdische plumpst, direkt hinter dem Torwart ins Tor. 120 000 Belgradern stockt der Atem. Und dann jubeln sie. Lauter als bei den beiden Toren ihrer Mannschaft.
In diesem magischen Augenblick verliebt sich der Filmemacher in den Fußballer. Ein Vierteljahrhundert später überredet Emir Kusturica dann Diego Maradona zu einer Reise nach Belgrad und einem Besuch im Marakana. Don Diego bekreuzigt sich vor dem Betreten des Rasens, er lässt den Ball tanzen, Hacke, Spitze, eins, zwei, drei. »Diego, zeig mir das Tor!«, ruft Kusturica über den Rasen. Aber gerne doch! In Lackschuhen schaufelt Maradona den Ball steil in den Belgrader Himmel, der diesmal blau strahlt, denn auch die Sonne will zuschauen beim Remake des vielleicht schönsten Tores aller Zeiten.
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