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Krise bei VW: »Beispiel für klassisches Konzernversagen«

Ökonom Rudolf Hickel über die Krise bei VW und die Notwendigkeit »schöpferischer Zerstörung«

Viele Probleme bei VW sind hausgemacht und Teil einer Transformationskrise des Konzerns.
Viele Probleme bei VW sind hausgemacht und Teil einer Transformationskrise des Konzerns.

Ist die Lage bei VW wirklich so dramatisch, wie der Konzern-Vorstand die Situation beschreibt?

Die Lage bei VW ist hochdramatisch. Die bisher üppigen Gewinne sind rückläufig. Im dritten Quartal sind die Gewinne vor Steuern um 42 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode gesunken. Noch fließen sie, schrumpfen jedoch im Trend. Dabei handelt es sich nicht um einen konjunkturbedingten Gewinnverlust. Vielmehr ist Aderlass strukturell bedingt. Auf den Kapitalmärkten setzen sich die Verluste bei der VW-Aktie seit Anfang 2021 mit noch rund 245 Euro im Trend auf heute etwa 90 Euro durch. Und dieser Abstieg der Kursbewertung ist noch nicht am Ende.

Gerade laufen die Tarifverhandlungen. Die IG Metall fordert unter anderem sieben Prozent mehr Lohn. Ist das in Anbetracht der Krise angemessen?

Die Tarifverhandlungen bewegen sich in einem herausfordernden Dilemma. Zum einen gilt die Logik: Vorausgelaufene Gewinnzuwächse, aus denen hohe Dividenden finanziert werden konnten, sind bei den Beschäftigten, der Basis der Wertschöpfung, noch nicht angekommen. Die Aufgabe der Tarifpolitik ist hier und heute, von den Gewinnen an die Löhne abzugeben. Insoweit passt die Tarifforderung zur bisherigen Gewinnentwicklung. Zum anderen muss das Lohnplus aus den künftigen Gewinnen, hinter denen die Erlöszuwächse stehen, finanziert werden. Diese Einkommensquelle ist jedoch vor allem wegen sinkender Nachfrage rückläufig. In den wichtigen Tarifverhandlungen wird ein Kompromiss auszuhandeln sein. Neben den Löhnen ist die Arbeitszeit Verhandlungsmasse. Vor allem müssen die lohnpolitischen Ergebnisse an Standort- und Beschäftigungsgarantien gebunden werden. Denn für die unvermeidbare Transformation werden künftig hoch motivierte Beschäftigte gebraucht.

Interview

Rudolf Hickel war Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen, Gründungsdirektor des »Institut Arbeit und Wirtschaft« (IAW) und Mitbegründer der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik«.

Das Gegenteil scheint der Fall. Laut IG Metall könnte das Werk in Emden geschlossen werden, die in Chemnitz und Zwickau stehen auf der Kippe. Davon wären zahlreiche Zulieferbetriebe im Osten betroffen. Droht ein Kahlschlag?

Ja, wenn es die Kapitalmärkte entscheiden würden, dann wäre ein Kahlschlag gewiss. Aber diese kapitalgetriebenen Märkte sind nicht in der Lage, den möglichen Aufbruch zu neuen Ufern im Gewinnkalkül zu bewerten. Dabei muss auch die gesamte Wertschöpfungskette von Automobilen berücksichtigt werden. Das Werk in Emden sollte unbedingt weitergeführt werden. Auch in Chemnitz und vor allem in Zwickau sollten Produktionskapazitäten gesichert werden. Voraussetzung dafür ist die Einbettung in die Konversion vom Verbrennermotor zu abgasfreien Automobilen. Erforderlich ist eine neue Arbeitsteilung des Gesamtkonzerns. Auch wegen der Betroffenheit der Zulieferindustrie in den Regionen ist es sinnvoll, zeitlich befristet staatliche Finanzmittel verfügbar zu machen.

Die Konzernleitung moniert zu hohe Arbeitskosten.

Die Ursache liegt nicht bei den Arbeitskosten. Die bisher vergleichsweise hohen Arbeitskosten haben zu den hochwertigen Produkten gepasst. Versäumt wurde der Ausbau bezahlbarer Elektroautomobilität. Dazu gehört aber auch das bisher viel zu große Angebot an Pkw-Modellen. Jetzt bedarf es zugunsten des gigantischen Transformationsprojektes einer produktiven Kooperation auf der Basis einer stabilen Mitbestimmung. In diesem Neuanfang hat das Land Niedersachsen mit seiner Sperrminorität einen sinnvollen Platz.

Was sind die weiteren Hintergründe für die Verwerfungen?

VW ist ein klassisches Beispiel für Konzernversagen im technologisch-ökologischen Umbruch. Unterschätzt wurden die sich verschlechternden Marktchancen. Während der zügige Umbau in Richtung preiswerte Elektro-Pkw verpasst wurde, hat China etwa mit den BYD-Modellen im eigenen Land und weltweit die Märkte erobert. Zugleich ging der VW-Absatz in China zurück.

Erleben wir eine grundlegende Krise oder einen kurzfristigen Absatzrückgang auf hohem Akkumulationsniveau?

Sicherlich handelt es sich auch um eine Akkumulationskrise. Seit Jahren ist die große Frage, wie die profitwirtschaftlich angetriebene Ausweitung der Produktion von Automobilen auf dem Markt untergebracht werden kann. Auf Dauer lässt sich nicht auf Märkte im Ausland setzen. Aktuell handelt es sich in der Automobilwirtschaft um eine Transformationskrise. Nicht kapitalistische Verwertungsgrenzen, sondern der Kampf gegen die Klimakrise erzwingt die Transformation. Das heißt im Kern: Ausstieg aus der Verbrennertechnologie, hin auch zum Elektroantrieb. Das war schon lange erkennbar, wurde jedoch vom VW-Management nicht aufgegriffen. Zu dieser Todsünde gehört auch der Versuch, Dieselabgase zu manipulieren. Dieser Dieselskandal hat VW allein 32 Milliarden Euro gekostet.

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Die Rede ist von Überkapazitäten, die abgebaut werden müssten. Ist da etwas dran?

Wer jetzt nur den Abbau von Überkapazitäten fordert, hat die Herausforderung immer noch nicht begriffen: Es geht um den Um- und Ausbau der Kapazitäten in Richtung Elektroautomobile. Das bisher aktive Fachkräftepotenzial sollte nicht demontiert, sondern in die neuen Produktionsprozesse übernommen werden.

Wie bewerten Sie die Warnungen vor einer Deindustrialisierung?

Deindustrialisierung trifft die aktuelle Krise der hiesigen Industrie nicht. Die deutsche Wirtschaft wird derzeit durch eine Mehrfachkrise durchgeschüttelt. Durch die geopolitische Krise und die stotternde Globalisierung ist das bisherige Exportland Deutschland besonders betroffen. Die Abwanderung ins Ausland wird oftmals durch Subventionen im Namen etwa des neuen US-Protektionismus verursacht.

Welche Ansätze sehen Sie, um aus der Krise zu kommen?

Einen Ausweg bietet lediglich eine rigorose Konzentration auf eine grün-nachhaltige Wirtschaft. Wichtig ist es, die industrielle Basis nicht nur zu erhalten, sondern ökologisch zu transformieren. Schumpeters »schöpferische Zerstörung« ist erforderlich: Ausstieg aus der fossilen Wirtschaftsweise zugunsten einer dekarbonisierten, grün-sozialen Wohlstandswirtschaft. Wie das Beispiel »Grüner Stahl« zeigt, werden hier Technologien entwickelt, die mit ihren ökologisch positiven Wirkungen eine neue Exportoffensive ermöglichen.

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