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Italienisches Guantanamo in Albanien

Die Regierung von Giorgia Meloni lässt zwei Lager für Geflüchtete in Albanien errichten. Viele rechtliche Fragen sind noch ungeklärt.

  • Tom Mustroph, Shengjin
  • Lesedauer: 8 Min.
Ein italienischer Polizist bewacht den Eingang des Flüchtlingslagers in Shengjin.
Ein italienischer Polizist bewacht den Eingang des Flüchtlingslagers in Shengjin.

Es ist 9 Uhr im Hafen von Shengjin. Ein Dutzend Fischerboote liegt am Kai, die Netze sind zum Flicken ausgebreitet. Während Fischer ihrer Arbeit nachgehen, fährt ein Polizeitransporter aufs Gelände. Er hält direkt vor einem sieben Meter hohen Metallzaun. Dahinter verbirgt sich der sogenannte Hotspot: Ein bewachtes Lager zur Aufnahme von Geflüchteten, das die italienische Regierung hier im Norden Albaniens errichten ließ. Männer und Frauen in Uniform und Zivil steigen aus. Es ist das Personal des Lagers, das offenbar zur Frühschicht eintrifft. »Wir arbeiten noch nicht fest hier, die müssen uns erst richtig einstellen«, sagt einer der Männer lachend. Er verschwindet mit den anderen im Tor und will keine weiteren Auskünfte geben. Eine Interviewanfrage bei den Offiziellen wird mit dem Hinweis abgelehnt, dass das Innenministerium in Rom dafür zuständig sei. Von dort kam bislang keine Reaktion auf eine Anfrage.

Geringe Transparenz ist ein Merkmal des umstrittenen Flüchtlingsabkommens zwischen der postfaschistischen Regierung Giorgia Melonis und der von Korruptionsaffären erschütterten albanischen Gegenseite unter Premierminister Edi Rama. Vereinbart wurde es vor fast genau einem Jahr, am 6. November 2023. Eröffnet werden sollten die Lager im Mai. Der Termin verschob sich aber in den Oktober. Jetzt stehen zumindest die riesigen Zäune, und zweistöckige Wohncontainer im Inneren sind zu erkennen. Dicht an dicht gedrängt sollen sie bis zu 260 Menschen beherbergen.

64 Bewacher für 16 Bewachte

Die ersten 16 kamen Mitte Oktober, transportiert von der »Libra«, einem 80 Meter langen Militärschiff. Vier der 16 mussten gleich zurückgeschickt werden – zwei waren minderjährig, zwei andere waren in Libyen sexueller Gewalt ausgesetzt. Sie hätten selbst nach den Regeln des Abkommens gar nicht nach Albanien gebracht werden dürfen. »Es ist völlig unklar, wie auf hoher See die Auswahl getroffen wird, wer für die albanischen Lager infrage kommt«, kritisierte der italienische Abgeordnete Paolo Ciani das undurchsichtige Verfahren. Zusammen mit drei Kolleg*innen der Demos-Partei stattete er den Lagern im Oktober einen offiziellen Besuch ab. Zwei weitere Geflüchtete hatten den Parlamentarier*innen versichert, in den Gewässern unmittelbar vor Lampedusa aufgegriffen worden zu sein. »Das Abkommen sieht aber vor, dass nur Personen, die in internationalen Gewässern gerettet werden, nach Albanien gebracht werden dürfen«, sagte der Politiker gegenüber italienischen Medien und versprach eine »enge parlamentarische Kontrolle«, auch durch Abgeordnete des Europaparlaments.

Mangelnde Transparenz wird auch auf albanischer Seite beklagt. »Als Meloni und Rama den Deal veröffentlichten, hatten sie das Parlament gar nicht einbezogen. Sie verkündeten ihn stattdessen im Fernsehen. Auch die üblichen juristischen Prozeduren wurden nicht eingehalten. Normalerweise muss ein solches Gesetz erst dem Präsidenten vorgelegt werden. Und auch die betreffenden Gemeindeverwaltungen und die lokalen Parlamente müssen einbezogen werden. All das ist nicht geschehen«, erzählt Nertila Marku. Die junge Frau ist Anwältin. Sie vertritt vor allem Frauen, die aus ehelicher Gewalt einen Ausweg suchen. Zusammen mit anderen Kritiker*innen des italienisch-albanischen Abkommens bereitete sie eine Klage vor dem Verfassungsgericht in Tirana vor. Das winkte den Deal durch. Auch das Parlament ließ nachträglich das Gesetz passieren. Viele Fragen aber bleiben. »Details des Abkommens wurden in der Folgezeit einfach geändert. Unklar ist vor allem die rechtliche Lage. In den Camps soll die italienische Gerichtsbarkeit gelten. Das bedeutet aber, dass Albaniens Souveränitätsrechte verletzt sind«, argumentiert die Juristin. Das Lager im Hafen von Shengjin und ein weiteres im etwa 20 Kilometer entfernten Gjader (Kapazität von 1024 Plätze, dazu 24 Plätze im internen Gefängnis) drohen so etwas wie die US-Exklave Guantanamo auf Kuba zu werden.

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Wie ein Hochsicherheitsgefängnis sieht vor allem die Anlage in Gjader aus. Ein riesiges Rolltor öffnet sich, als ich um Einlass bitte. Schnell kommen mehrere Polizisten. »Sie dürfen hier nicht weiter«, sagt einer von ihnen. Auch hier sind zweistöckige Barackenstrukturen zu erkennen, die schon im Hafen von Shengjin errichtet wurden. Als »heftige Haftanstalt« bezeichnete der Parlamentarier Ciani nach seinem Besuch das Lager. »Überall Zäune, Gitter, teilweise auch Gitter über den Köpfen, sodass man den Eindruck von Käfigen hat. Und wenn man zum eigentlichen Gefängnis kommt, merkt man keinen Unterschied«, beschrieb er das Innere.

Das Lager ist auf dem Gelände eines ehemaligen Militärstützpunkts errichtet. »Der stand über 30 Jahre leer, ist völlig verwahrlost«, erzählt Giorgio. Der 63-Jährige repariert Schiffe im Hafen von Shengjin. Er hat aber auch ein Haus in Gjader. »Ein Nachbar von mir ist sauer. Er baut gerade an seinem Haus. Dann haben sie ihm das Lager vor die Nase gesetzt, das ihm jetzt die Aussicht versperrt«, sagt Giorgio mit sarkastischem Lachen. Aber auch andere Sorgen, nicht nur ästhetischer Natur, plagen die Menschen in Gjader. »Wie wir aus den Plänen erfahren haben, soll das Abwasser in den nahen Fluss geleitet werden. Das bedeutet aber, dass es sich vor allem bei höherem Pegelstand, nach Regen etwa, auf die umliegenden Felder verteilen kann«, kritisiert Anwältin Marku. Sie stammt selbst aus Gjader, ist dort aufgewachsen, ihre Familie lebt weiter dort, während sie ihre Kanzlei in Tirana betreibt. Das italienische Innenministerium antwortet auch nicht auf eine »nd«-Anfrage nach den Umweltrisiken durch das Lager.

Der Fluss Drin begrenzt das Gelände auf der einen Seite, an der anderen bildet ein Gebirgszug eine natürliche Grenze. Die beiden anderen Flanken sind vom Dickicht gesäumt. Keine 100 Meter entfernt kommen aber auch schon die ersten Häuser der Anwohner*innen. Die alte Landebahn des Militärflugplatzes ist ebenfalls zu erkennen. Der Beton ist rissig, die Gebäude verfallen. Eine Schafherde hat das Gelände in Besitz genommen. Es scheint ein Gott verlassener Ort, an den Italien in seinem umstrittenen Pilotverfahren Geflüchtete verfrachtet.

Dass es die Internierten lange in den Lagern hält, glaubt Anwältin Marku nicht. »Die albanische Polizei ist für ihre Käuflichkeit bekannt. Polizisten drückten in den 1990er Jahren die Augen zu, als Schleuser nicht nur Albaner, sondern auch Afghanen und Chinesen über die Adria nach Italien brachten. Sie arbeiten weiter mit der Mafia zusammen. Und weil sie für die äußere Sicherheit der Lager zuständig sein werden, ist zu befürchten, dass es auch hier zum Menschenhandel aus den Lagern heraus kommt«, sagt sie.

Den Einwohnern von Shengjin und Gjader sind die neuen Anlagen eher unangenehm. »Wir sind doch selbst ein Volk von Migranten. Ich war auch einige Jahre in Italien, habe dort gearbeitet«, erzählt Giorgio. Ihm tun die Menschen leid, die dort festgehalten werden. Er denkt aber auch, wie viele Albaner*innen, dass man Italien wegen der eigenen Migrationsgeschichte entgegenkommen müsse. Dass das Entgegenkommen ausgerechnet einem so umstrittenen Projekt gilt, schmerzt ihn allerdings – wie auch seinen Kumpel Luigi. Der ist Fischer, geht vor allem auf Fang von Schwertfisch. Im Nebenjob fährt er aber auch Tourist*innen aufs Meer hinaus.

Denn die Hafenstadt Shengjin ist ein mittlerweile europaweit beliebter Urlaubsort. Die Strände sind schön, »I love Shengjin« steht einladend in großen Lettern vor der Einfahrt in die Stadt. Viele Bettenburgen wurden errichtet, weitere Hotels befinden sich im Bau. Das Lager im Hafen bedroht aber den Aufschwung durch den Tourismus. »Als verkündet wurde, dass Shengjin ein solches Camp bekommt, gingen die Hotelbuchungen um 40 Prozent zurück«, erzählt Luigi. Die um mehrere Monate verzögerte Öffnung der Lager sei vor allem darauf zurückzuführen, dass man die Hochsaison im Sommer nicht gefährden wollte.

Wie sich in Zukunft Tourismus und Verwahrpraxis für Geflüchtete verhalten, ist ungewiss. Manch einer versucht, Kapital aus beidem zu schlagen. Ein Fischrestaurant am Hafen, nur zwei Steinwürfe entfernt vom Camp, nennt sich seit kurzem Trattoria Meloni. Die Räume sind mit Pop-Art-Porträts der italienischen Premierministerin ausgestattet. »Meloni war noch nicht hier, aber sie kann gerne kommen. Wir wollen den Rummel nutzen, um etwas Aufmerksamkeit zu erreichen«, sagt der Betreiber pragmatisch. Zur Mittagszeit ist sein Restaurant tatsächlich rappelvoll.

650 Millionen Euro für das Projekt

Dennoch werden die Einnahmen niemals die Ausgaben erreichen, die Italien für den Betrieb der Lager in die Haushaltspläne eingepreist hat. Für den Zeitraum von fünf Jahren sind laut durchgestochenen Kostenaufstellungen insgesamt 653 Millionen Euro vorgesehen. Davon betreffen allein 252 Millionen Euro den Transfer des italienischen Personals, 170 Millionen Euro den Betrieb der Lager selbst und 95 Millionen die Schiffe, die die Geflüchteten über die Adria bringen sollen.

Fischer Luigi und Schiffshandwerker Giorgio sind sich übrigens sicher, dass ganz Europa auf ihre Stadt schaut. »Ihr Deutschen und auch die Briten planen doch Ähnliches«, sagt Giorgio. Es steht zu befürchten, dass der frühere Italienmigrant gut informiert ist. Italiens Regierung hat für diese Woche, passend zum einjährigen Jubiläum des Abkommens, neue Transporte in die Lager angekündigt. Sollte das Modell den Regierenden als Erfolg gelten, befürchten Grundstückseigentümer in Gjader, dass sie bei einer Erweiterung der Lager flugs enteignet werden könnten. Motive für Widerstand gegen das Abkommen gibt es also viele.

»Unklar ist vor allem die rechtliche Lage. In den Camps soll die italienische Gerichtsbarkeit gelten. Das bedeutet aber, dass Albaniens Souveränitätsrechte verletzt sind.«

Nertila Marku Rechtsanwältin
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