- Wissen
- Albanien
Tourismus in Albanien: »Es wird nie langweilig«
Anders als viele Gleichaltrige ist die Soziologin Sindi Memaj in Albanien geblieben und bietet Kochkurse für Touristen an
Frau Memaj, was haben Sie heute in Ihrem Kurs gekocht?
Wir fangen mit Wein an. Das ist mein Trick, um glückliche Gäste zu haben. Wir bereiten eine Art Vorspeise zu, Bruschetta, italienisch, aber mit einem albanischen Einschlag. Sie wissen, unsere Küche ist stark von Italien beeinflusst. Als Zweites machen wir Tavë Kosi, unser Nationalgericht. Es handelt sich um eine Art Spinatkuchen, der im Südosten, wo ich herkomme, sehr traditionell ist. Und die Nachspeise.
Wie gut kommen Ihre Gäste mit dem Kochen zurecht?
Für die meisten Rezepte, die wir nachkochen, muss man keine besonderen Kochkünste haben. Ich habe nie erwartet, dass meine Gäste durch einen Kochkurs zu Profis werden, weil ich auch keiner bin. Meine Mutter schon und ich habe von ihr gelernt. Ich erwarte von meinen Gästen, dass sie sich mit unserer Kultur vertraut machen, die Gerichte hier selbst zubereiten, andere Menschen kennenlernen und Erfahrungen austauschen. Es sind wirklich einfache Rezepte, die jeder nachkochen kann. Manchmal nehmen sogar Kinder an den Kursen teil. Wenn sie das können, können es alle.
Kocht Ihre Mutter in einem Restaurant?
Sie arbeitet in einer Berufsschule als Lehrerin, sie bildet Profiköche aus. Im Moment muss sie sich ausruhen, da sie vor Kurzem am Auge operiert wurde.
Sindi Memaj, 27 Jahre alt, hat 2020 ihren Master in Soziologie und Kriminologie in Tirana, Albanien, abgeschlossen. Seit 2018 bietet sie für die Agentur »Go as local« Kochkurse für Tourist*innen an.
Wie sind Sie zu den Kochkursen gekommen?
Ich habe während meines Studiums angefangen mich für den Tourismus zu interessieren. Ich stamme nicht aus Tirana, sondern aus dem Südosten Albaniens. Ich bin wegen der Universität nach Tirana gekommen, und ich arbeite und lebe auch nach dem Studium noch hier. In Tirana gibt es mehr Arbeitsmöglichkeiten, die besten Universitäten sind hier angesiedelt, und irgendwie ist es so, dass alle jungen Leute nach dem Abschluss der Oberschule in ihren Städten hierherziehen. Der größte Teil der Bevölkerung lebt in Tirana.
Als Sie mit dem Soziologiestudium begannen, welche Vorstellung hatten Sie da von Ihrer künftigen Laufbahn?
Ich habe Soziologie und Kriminologie studiert, weil ich Kriminologie wirklich liebe. Ich liebe sie immer noch. Und ich wollte eigentlich so etwas wie Detektiv werden. Ich hätte nie gedacht, dass das Kochen zu meinem Beruf werden könnte. Nachdem ich mit der Uni fertig geworden war, sah ich, dass die Dinge ein bisschen anders waren, als ich erwartet hatte.
In welcher Hinsicht?
Nachdem ich die Universität beendet hatte, fühlte ich mich vom Arbeitsmarkt enttäuscht, weil ich nicht in einem Bereich eingestellt wurde, der meiner Ausbildung entsprach. Wie die meisten ehemals kommunistischen Länder haben auch wir Probleme mit der wirtschaftlichen Transition, und manchmal ist es schwierig, eine Stelle zu finden, besonders im öffentlichen Sektor. Vielleicht wegen der Bürokratie und manchmal auch wegen der Korruption. Und während meines Studiums hatte ich bereits mit den Kochkursen begonnen. Sie haben mir immer Spaß gemacht. Ich habe jeden Tag andere Menschen aus anderen Kulturen kennengelernt. Das hat mich ziemlich verändert, um ehrlich zu sein. Zum Guten. Ich habe jeden Tag neue Dinge gelernt, und das hat mich dazu gebracht, verschiedene Situationen und Kulturen zu vergleichen, und mir die Möglichkeit gegeben, darüber nachzudenken, wie ich mein Land verändern kann. Es wird nie langweilig.
Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen?
Ich habe noch Kontakt zu vielen von ihnen. Die meisten meiner Freunde sind jetzt im Ausland. Und sie machen auch nicht das, was sie studiert haben. Irgendwie sind sie alle in verschiedene Länder ausgewandert. Die Migration ist in Albanien massiv, vor allem bei den jungen Leuten. Das ist auch eine Art Trend. Sie wollen ins Ausland ziehen, wo ihre Freunde sind, und sie wollen sich unabhängiger fühlen. Sie wollen alleine leben und versuchen, ihr Geld zu verdienen. Aber ich bin ein bisschen traurig, weil sie einfach wegziehen wollen, ohne es hier auch nur zu versuchen. Ich meine, Albanien ist nicht das beste Land zum Leben, wir haben eine Menge Probleme, die politische Situation ist nicht die beste. Aber irgendwie haben wir die Fähigkeit zu wachsen. Meiner Meinung nach haben wir auch eine Mischung aus guten Dingen, vor allem für den Tourismus: die Kultur, die Menschen, wir haben die Berge und das Meer. Ich hoffe, dass alle Menschen, die ausgewandert sind, zurückkommen werden.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Albanien wird ja zu einem immer beliebteren Reiseziel. Hatten Sie jemals Angst, dass eines Tages zu viele Touristen kommen könnten, so wie an anderen Orten in Europa?
In den vergangenen zwei oder drei Jahren hat der Tourismus in Albanien zugenommen und ist inzwischen die größte Einnahmequelle. Die Menschen sind froh, dass sie Touristen haben. Sie wissen das wirklich zu schätzen. Außerdem war Albanien während des Kommunismus lange Zeit isoliert. Die Menschen hatten also keine Erfahrung mit dem Tourismus, und deshalb geben sie viel darauf, wenn sie Gäste aufnehmen und etwas über ihre Kultur erfahren können. Vielleicht wird es eines Tages überfüllt sein, aber das wird Jahre dauern. Und wahrscheinlich werden die Einheimischen in dieser Zeit einen Weg finden, wie sie damit umgehen können.
Haben Sie schon mal daran gedacht, in eine andere Stadt in Albanien oder aufs Land zu ziehen?
Ja, in ein kleines Dorf in der Nähe von Tirana, vielleicht 30 bis 40 Minuten Fahrt. Ich will wirklich gerne Landwirtschaft betreiben, den ganzen Tag dort verbringen, auch mit Touristen, aber auch dort leben. Und ich möchte auch den Unterricht dorthin verlegen, aber das ist noch ein bisschen schwierig. Mein jetziger Standort ist ziemlich zentral. So können alle meine Gäste zu mir kommen, einfacher als auf einen Bauernhof. Aber ich bin dabei, die Transportmöglichkeiten und alles andere zu klären. Vielleicht ist es in zwei oder drei Jahren so weit.
Engagieren Sie sich in Albanien politisch?
Im Moment beteilige ich mich nicht, da ich glaube, dass ich nicht viel beitragen kann. Ich habe einmal an den Wahlen teilgenommen, und ich hatte nicht das beste Gefühl dabei. Man sieht die Korruption nicht direkt, aber man spürt sie.
Wie könnte man die politische Situation verändern?
Meiner Meinung nach sind die einzigen, die die Situation verändern können, die jungen Menschen, durch Bildung und harte Arbeit. Die jungen Leute müssen verstehen, dass sie ihren Teil dazu beitragen müssen, Albanien zu einem lebenswerten Land zu machen, und nicht nur auf die Vorteile eines lebenswerten Landes warten können. Vor allem wenn wir Teil der EU werden, bin ich mir ziemlich sicher, dass die Dinge besser werden, dass die Wirtschaft besser wird, aber es wird Zeit brauchen. Aber die Menschen haben kein Vertrauen in die Politik. Sie warten nur auf eine Gelegenheit, das Land zu verlassen. Und wenn alle jungen Leute auswandern, wer wird dann den Wechsel vollziehen?
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!