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Linke in Sachsen: Gestutzt, aber Gestalter
Sachsens Linke will Angebot von CDU und SPD zur Mitwirkung ernst nehmen
Es wirkt wie bittere Ironie: Die Linke in Sachsen musste sehr tief fallen, um ein bisher unerreichbar scheinendes Ziel zu erreichen. Am 1. September kam sie auf dem Tiefpunkt ihrer parlamentarischen Existenz im Freistaat an: Fünfprozenthürde verfehlt, nur dank zweier Direktmandate in den Landtag eingezogen, die Fraktion auf sechs Abgeordnete geschrumpft. Wenige Wochen später sieht es so aus, als könne sie erstmals seit drei Jahrzehnten nennenswerten Einfluss auf die Landespolitik bekommen. Ein führender Genosse formuliert sarkastisch: »Wir haben uns zur Gestaltungsmacht geschrumpft.«
Hintergrund ist, dass Sachsen auf eine Minderheitsregierung zusteuert. Nach dem Scheitern ihrer Gespräche mit dem BSW kündigten CDU und SPD am Freitag an, über eine Koalition verhandeln zu wollen, die im Landtag freilich nur 51 der 120 Abgeordneten hinter sich vereint. Um die fehlenden Stimmen für Gesetzentwürfe und andere Vorschläge einzusammeln, soll ein »Konsultationsmechanismus« eingeführt werden. Die Vorhaben sollen vorab den Oppositionsfraktionen im Landtag übermittelt werden, damit »deren Auffassungen in den Gesetzgebungsprozess einfließen können«, wie es in einem Grundsatzpapier heißt.
Zur Abstimmung sollen die Vorhaben allerdings nur gestellt werden, wenn eine Mehrheit ohne die AfD sicher ist. Heißt konkret: Die zehn fehlenden Stimmen werden bei BSW (15 Abgeordnete) und Grünen (7) gesucht – sowie eben der Linken.
Für die Genossen, die bisher von der seit 34 Jahren regierenden CDU bis auf wenige Ausnahmen geschnitten wurden und keine Aussicht auf Umsetzung ihrer Positionen hatten, ergäben sich damit »krasse neue Möglichkeiten«. So formulierte es Sophie Koch, Landesvize der SPD, die am Samstag als Gast beim Parteitag der Linken am Samstag in Neukieritzsch bei Leipzig auftrat. Die Minderheitsregierung sei »die beste Möglichkeit, um die AfD von jedem Fünkchen Macht fernzuhalten«, sagte sie – und betonte zugleich, dass die bisherigen Mechanismen von Regierung und Opposition »so nicht mehr da sein werden«.
Koch appellierte: »Wenn ihr dabei seid, spielt ihr eine wichtige Rolle.« Das Ergebnis sei zwar nicht das von der ehemaligen Juso-Chefin politisch favorisierte rot-rot-grüne Bündnis, aber es garantiere der Linken »zumindest Beteiligung«.
Die Genossen schlagen das Angebot nicht aus. Man werde es »ernst nehmen und prüfen, was das praktisch bedeutet«, sagt Landeschef Stefan Hartmann: »Wenn unsere Ideen einfließen können, wäre das eine neue politische Kultur.« Zumindest für ein essenzielles politisches Vorhaben hatte die Partei der künftigen Koalition schon von sich aus ein Kooperationsangebot unterbreitet. Ein dringlicher Antrag, der auf dem Parteitag beschlossen wurde, stellt unter bestimmten Bedingungen Zustimmung für einen Landesetat in Aussicht.
»Wir sind bereit, über einen sozial verantwortlichen Haushalt zu sprechen, wenn CDU und SPD auf uns zukommen«, sagt Susanne Schaper, ebenfalls Landesvorsitzende und Chefin der Landtagsfraktion. Sie betonte, der baldige Beschluss eines solchen Finanzplans sei entscheidend, damit soziale, kulturelle und Demokratieprojekte nicht in Existenznöte kommen.
Hinter vorgehaltener Hand räumen etliche Genossen eine gewisse Skepsis gegenüber der Offerte von CDU und SPD ein. Erstere regiert seit 34 Jahren, hat bisher noch jeden Koalitionspartner an die Wand gespielt und sucht zumindest auf kommunaler Ebene Mehrheiten inzwischen regelmäßig mit der in Sachsen als »gesichert rechtsextrem« eingestuften AfD. Auch daran, dass die Brandmauer im Landtag hält, gibt es Zweifel.
Die Grünen, die bisher mit CDU und SPD koaliert haben, deren Verhältnis zur CDU aber nach einer aggressiven Wahlkampagne von deren Seite äußerst frostig geworden ist, weisen das Kooperationsangebot denn auch rundheraus zurück. Wolfram Günther, Noch-Umweltminister und Vize-Regierungschef, sprach von einer »weit geöffneten Hintertür für die AfD«. Die Landesvorsitzende Christin Furtenbacher ergänzte, es handle sich um einen »Dammbruch von bundesweiter Bedeutung«.
Bei der Linken hält man diese brüske Zurückweisung für unklug; es herrscht der Wille vor, dem Angebot zumindest eine Chance einzuräumen. Angesichts der schwierigen Lage sei »jetzt keine Zeit für Fundamentalopposition«, sagt etwa der Ex-Landtagsabgeordnete Klaus Bartl und fügt an: »Wir sollten die prinzipielle Auseinandersetzung ein Stück weit zurückstellen.« Politische »Spreizübungen« würden jetzt nicht weiterhelfen.
Den Begriff hatte Landeschefin Schaper schon einige Tage zuvor mit Blick auf die »politischen Selbstdarsteller« des BSW verwendet, die zunächst die Sondierungsgespräche abgebrochen hatten und CDU und SPD anschließend vorwarfen, eine Minderheitsregierung bedeute »Stillstand pur«. Schaper dagegen betonte: »Wir stellen uns der Verantwortung und laufen nicht davon.« Ein wichtiges Motiv dafür sei, dass »die Faschisten nicht in die Nähe von Einfluss kommen« dürften.
Auf dem Parteitag gab es dazu keinen Widerspruch. Ob die künftige Koalition hält, was sie verspricht, wollen die Genossen abwarten. Wie sie im Landtag damit umgehen, solle »nicht die Fraktion allein entscheiden«, versprach Hartmann. Die Partei werde »breit und demokratisch« eingebunden. Sollte es irgendwann gar eine schriftliche Vereinbarung mit CDU und SPD geben, dann werde darüber in einem Mitgliederentscheid abgestimmt, sagte er dem »nd«.
»Wir stellen uns der Verantwortung und laufen nicht davon.«
Susanne Schaper Landeschefin Die Linke Sachsen
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