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- Wahlkampf in Berlin
Linke will fünf Prozent bei den Neuwahlen schaffen
Berliner Landesverband stimmt sich auf den vorgezogenen Bundestagswahlkampf ein
Die von September auf den 23. Februar vorgezogene Bundestagswahl wirft die Terminplanung durcheinander. Die Bundestagsabgeordnete Petra Pau (Linke) kommt am Freitagabend später ins Berliner Karl-Liebknecht-Haus, weil sie erst noch vor 300 Pflegedienstleiterinnen gesprochen hat. Der Abgeordnete Gregor Gysi muss früher weg, weil er noch andere Verpflichtungen hat.
Im Rosa-Luxemburg-Saal des Hauses, in dem in der Weimarer Republik der KPD-Vorsitzende Ernst-Thälmann sein Büro hatte, tagt am Freitagabend der Landesausschuss der Berliner Linken. Es ist eine Art kleiner Parteitag und die Tagesordnung musste wegen der Neuwahl kurzfristig geändert werden. Die Delegierten beschließen einen Wahlkampffonds für die Jahre bis 2026. Der Landesverband soll schrittweise 450 000 Euro und alle seine Überschüsse einzahlen. Die zwölf Bezirksverbände sollen sich je nach ihren Möglichkeiten mit insgesamt 200 000 Euro beteiligen. Das reicht von knapp 2700 Euro vom Bezirksverband Spandau bis zu rund 33 500 Euro aus Friedrichshain-Kreuzberg.
Beschlossen wird weiterhin, die 2021 in Berlin gewonnenen Bundestagswahlkreise in Treptow-Köpenick und Lichtenberg zu verteidigen und »in weiteren Bezirken mit hohem Potenzial um Direktmandate« zu kämpfen. Der Landesvorsitzende Maximilan Schirmer nennt da Pankow, wo er nun persönlich antreten möchte und wo die Sozialisten von 2009 bis 2017 mit Stefan Liebich erfolgreich waren. Schirmer nennt auch Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Neukölln, wo die Partei selbst zu ihrer besten Zeit 2009 nicht gewonnen hat – als sie vier Wahlkreise in Ostberlin und zwölf weitere im übrigen Ostdeutschland holen konnte.
Über 300 Neumitglieder in einer Woche
Fünf Prozent bundesweit sind das erklärte Ziel, um wieder in Fraktionsstärke im Parlament vertreten zu sein. Das ist nicht mehr der Fall, seit sich zehn Abgeordneten abgespalten und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gegründet haben. Seitdem hat Die Linke im Bundestag nur noch den Status einer Gruppe. Jetzt muss sie bangen, ganz herauszufliegen. Schon 2021 war Die Linke mit 4,9 Prozent unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben, konnte sich aber durch zwei Direktmandate in Berlin und eins in Leipzig retten. Es wird schwer werden, wenigstens diese Ergebnisse zu wiederholen.
Doch der Landesvorsitzende Schirmer gibt sich am Freitag zuversichtlich. »Fünf Prozent bundesweit, das schaffen wir easy peasy«, behauptet er. Will heißen: kinderleicht. Zuversicht geben ihm mehr als 300 Neueintritte in den Landesverband seit Verkündung der Neuwahl vor einer Woche. Das sind 300 Mitglieder mehr, die an Haustüren klingeln und um Stimmen werben können. 7900 Mitglieder zählt der Landesverband jetzt – so viele wie lange nicht mehr. Bundesweit sind 3000 Neumitglieder zu verzeichnen.
Marx, Engels, Liebknecht, Gysi
Das Urgestein Gregor Gysi schätzt die dennoch ernste Lage aber realistisch ein. Zum Wahltermin im Februar sagt er: »Für uns ist das ein Problem, für das BSW könnte es die Rettung sein.« Bis zu einer Wahl erst im September hätte sich das BSW vielleicht schon verbraucht, denkt Gysi. Für ihn ist das BSW eine Konkurrenz. Aber der Hauptgegner müsse die AfD sein. Alle anderen Parteien müssten sich nach Ansicht Gysis selbstkritisch darüber austauschen, was sie falsch gemacht haben, dass Menschen die AfD ankreuzen oder gar nicht mehr wählen gehen.
Die Linke müsse sich in erster Linie für die Arbeiter und Angestellten und für die Rentner einsetzen, sagt Gysi. Wegen Arm und Reich schrieben Marx und Engels das Kommunistische Manifest und gründeten Liebknecht und Luxemburg die KPD, erinnert Gysi. Er ist am 19. November mit Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow verabredet, will sie überzeugen, für den Bundestag zu kandidieren. Ramelow soll eins der drei dringend erforderlichen Direktmandate in Erfurt holen. Vorsorglich sei juristisch abgeklärt worden, ob Ramelow übergangsweise Bundestagsabgeordneter und zugleich noch Thüringens Ministerpräsident sein darf, wenn so schnell kein neuer Ministerpräsident gewählt ist. »Er darf«, verrät Gysi. Am 20. November wollen die drei Männer verkünden, ob sie im Zuge einer sogenannten Aktion Silberlocke kandidieren. »Man darf unser fortgeschrittenes Alter nicht vergessen«, wirbt Gysi um Verständnis für eine gewisse Nachdenklichkeit in dieser Frage. Er selbst wird im Januar 77 Jahre alt. Vergessen werden dürfe aber auch nicht, sagt Gysi, »dass wir vielleicht gebraucht werden«.
Es brandet Beifall auf. Auch sonst wird im Landesausschuss immer wieder begeistert applaudiert. Angeblich ist das keine für die anwesenden Journalisten gespielte gute Laune, sondern entspricht der Stimmung im Landesverband. Nur die ganz hinten sitzende Pankower Bezirksvorsitzende Sandra Brunner klatscht an diesem Abend nicht ein einziges Mal. Als Ferat Koçak am Rednerpult von seinem Sieg in Neukölln träumt, nimmt Brunner ihre Brille ab und reibt sich lange die Stirn. 2002 trat sie als junge Frau in Pankow gegen den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) an, schlug sich mehr als wacker und verlor trotzdem, weil sie gegen einen negativen Trend allein machtlos war. Damals verfehlte die PDS ebenfalls die Fünf-Prozent-Hürde. Die Partei gewann lediglich zwei Direktmandate, weswegen sie dann bis zur Neuwahl 2005 nur mit Petra Pau und Gesine Lötzsch im Bundestag vertraten war.
Lötzsch und Pau treten nun nach so vielen Jahren nicht wieder an. Lötzsch übergibt ihren Lichtenberger Wahlkreis an die neue Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner und sagt am Freitag im Landesausschuss: »So lange am Krieg verdient wird, wird es immer Menschen geben, die keinen Frieden wollen.« Die Linke sei die letzte Stimme gegen das Wettrüsten und müsse diese Stimme bleiben. Ines Schwerdtner verspricht: »Wir werden diejenigen sein, die gegen Militarisierung sind, und wir werden den Sozialstaat verteidigen.«
Wer braucht Die Linke?
»Wir brauchen Die Linke«, hat Bundestagsvizepräsidentin Pau erst am Freitag wieder von Pflegedienstleiterinnen gesagt bekommen. Dass die Partei gebraucht wird, werde oft erzählt, weiß Tobias Schulze. Doch sie müsse es auch beweisen, meint der Linksfraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus. Er bittet, dies über innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten zu stellen.
Wegen eines Antisemitismusstreits sind fünf Berliner Abgeordnete um Ex-Kultursenator Klaus Lederer aus der Partei ausgetreten. Einige Stadträte und Bezirksverordnete sowie weitere Mitglieder sind ihrem Beispiel gefolgt, darunter die stellvertretende Landesvorsitzende Deniz Seyhun. Bei Teilen der Partei gehe die Solidarität mit den Palästinensern mit antisemitischen Tendenzen einher, lautete Seyhuns Vorwurf.
Der Landesvorstand fordert von den fünf ausgetretenen Abgeordneten, ihre Mandate niederzulegen. Der stellvertretende Landesvorsitzende Ruben Lehnert steht hinter dieser Forderung, betont nun aber am Freitag: »Diese Auseinandersetzung muss jetzt pausieren, weil wir Wichtigeres zu tun haben.«
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