Katastrophales Krisenmanagement in Valencia

Die Region Valencia befindet sich auch drei Wochen nach der Flut im Ausnahmezustand

  • Ralf Streck, Catarroja
  • Lesedauer: 8 Min.
Der Schlamm steht nach den Regenfällen in einigen Straßen noch immer zentimeterhoch.
Der Schlamm steht nach den Regenfällen in einigen Straßen noch immer zentimeterhoch.

»Es sieht aus wie im Krieg.« Der Vergleich wird oft gezogen, um die Zerstörung durch die Flutkatastrophe in Valencia zu beschreiben. Auch nach drei Wochen steht in einigen Gemeinden der Schlamm zentimeterhoch in den Straßen. Am 29. Oktober herrschte das Wetterphänomen »Kaltlufttropfen«, an manchen Orten regnete es über 600 Liter pro Quadratmeter. Das ist mehr Niederschlag als sonst in einem Jahr fällt.

Das Phänomen erklärt sich so: Mit der Klimaerwärmung nimmt die Atmosphäre immer mehr Feuchtigkeit aus dem warmen Mittelmeer auf. In der Folge kommt es zu heftigen Niederschlägen. Auch Tornados entstehen, wenn die warme feuchte Luft auf eine darüber liegende Kaltluft trifft. Riesige Kaltluftgebiete lösen sich jetzt häufiger in großer Höhe vom Nordpol ab.

Überall türmen sich Autos und Müllberge auf. Einrichtungen von Wohn- oder Schlafzimmern, Mobiliar einer Bar oder eines Geschäfts stehen als Sperrmüll an der Straße, bereit zum Abholen. Ein fauliger Gestank und eine Staubglocke hängen über dem Gebiet. »Bitte tragen Sie Masken«, tönt es aus Lautsprecherwagen, die durch Catarroja fahren. »Trinken sie nur Wasser aus Flaschen«, wird in den Katastrophengebieten empfohlen. Von den 219 bisher registrierten Todesopfern in Valencia (222 in ganz Spanien) ertranken 32 in Catarroja.

Joan Magraner zeigt, wie hoch das Wasser im Kirchenzentrum von Catarroja stand.
Joan Magraner zeigt, wie hoch das Wasser im Kirchenzentrum von Catarroja stand.

Die Gemeinde mit 30 000 Einwohnern, etwa zehn Kilometer von Valencia-Stadt entfernt, ist inzwischen wieder an die Strom-, Wasser- und Gasverbindung angeschlossen. »Bei mir kam das Gas gestern wieder«, erzählt Anna Piera. Sie kommt zu dem von freiwilligen Helfern errichteten Solidaritätspunkt in Catarroja. Hier trifft man sich, um etwas zu essen, sich auszutauschen, Lebensmittel oder Wasser zu holen. Geschäfte, Bars oder Restaurants gibt es hier so wenig wie funktionstüchtige Autos, um anderswo einkaufen zu können. Die Polizei sperrt Zugänge zum Gebiet, um die Aufräumarbeiten der offiziellen Helfer nicht zu behindern.

Die tauchen in Catarroja aber nicht auf. Weder Militär noch die Nothilfeeinheit UME sind zu sehen, nur die Feuerwehr ist vor Ort, und Freiwillige schuften. Einige von ihnen treten zweistündige Fußmärsche aus Valencia an. Sie haben die Kirchengemeine »Maria Madre de la Iglesia« gesäubert und dort den Solidaritätspunkt eingerichtet. Hier hat die grauhaarige Piera endlich Gummistiefel bekommen. Die sind gerade mit einem Hilfstransport geliefert worden, den die Polizei erst abweisen und in eine Zentralstelle am Hafen in Valencia schicken wollte. Joan Magraner koordiniert die Hilfsdienste in der Kirchengemeinde. Der junge Mann ist froh über solche Lieferungen, da vom Hafen bisher nichts komme. »Wir verteilen hier Schippen, Besen, Schutzbrillen, Lebensmittel oder Kleidung, die von überall her gespendet werden.«

Auf dem Platz vor der Kirchengemeinde kochen marokkanische Einwanderer. »Wir müssen zum Leben zurückfinden und dürfen uns nicht vom Schlamm begraben lassen«, sagt Elena, die Kaffee einschenkt. Neben ihrem Stand hat ein Friseur einen improvisierten Salon aufgebaut und schneidet Haare gratis. Freiwillige lassen sich auf ehemaligen Kirchenbänken nieder, um eine Pause zu machen. Sogar psychologische und sanitäre Hilfe wird geleistet. Wunden müssen schnell versorgt werden, weil die Gefahr von Epidemien durch pathogene Bakterien steigt. Der Schlamm ist mit Fäkalien durchsetzt, denn die Flut hat das Abwassersystem verstopft.

Die 65-jährige Piera hatte Glück. Ihre Wohnung liegt im ersten Stock, und die Flutwelle, die auf fast drei Meter anwuchs, drang nicht bei ihr ein. »Dass ich noch am Leben bin, verdanke ich einem Busfahrer«, sagt sie und erzählt, wie sie auf dem Nachhauseweg von der Arbeit war, als der Fahrer in einem Kreisel gegen 18 Uhr 30 die Welle kommen sah. »Er steuerte um, bog eilig auf den Ikea-Parkplatz ein. Die Fahrgäste konnten sich ins Obergeschoss retten. Wäre er nicht eilig abgebogen, wären wir fortgeschwemmt worden.« Sie berichtet, wie Beschäftigte und Kunden aus dem Untergeschoss gerettet wurden und bricht in Tränen aus, als sie von verzweifelten Menschen spricht, die an ihnen vorbei gespült wurden. »Ich habe die letzte Flut 1982 erlebt, aber das war nichts gegenüber dem, was wir jetzt erlitten haben.«

Weniger Glück hatte Susy Alfonso. »Aber ich bin glücklich, denn ich bin am Leben!« Fast alles hat sie verloren. »Nur durch ein Wunder ist einer meiner beiden Söhne nicht ertrunken«, sagt sie und führt durch ihre leere Parterre-Wohnung, die von Freiwilligen gesäubert wurde. An der nassen Wand zeigt die drahtige blonde Frau, dass das Wasser bis unter die Decke stand. Sie hat nur noch die Kleidung, die sie trägt, und besitzt weder einen Herd noch einen Topf. Ihr gerade abgezahlte Wagen ist Schrott, er wurde wie viele andere Autos am Gemeinderand aufgestapelt. Den Job im Altenzentrum hat sie verloren, weil das Heim überschwemmt wurde. Sie betreut jetzt als Freiwillige die alten Menschen mit Hausbesuchen dort, wo sie privat untergebracht wurden. »Dank der Freiwilligen hier werden wir alles wiederaufbauen«, erklärt sie trotzig, auch sie weint. Die tödlichen Vorgänge sind noch frisch, für eine Verarbeitung war bisher keine Zeit.

Für Hoffnung sorgen bei den Opfern nur Freiwillige. »Ohne die würden wir noch immer Scheiße essen«, erklären Piera. Und Carme Aguilar ergänzt: »Denen sollte man ein Denkmal setzen, denn sie kommen jeden Tag, um uns zu helfen, und sorgen dafür, dass es uns fast an nichts fehlt.« Sie unterstreicht das Engagement von »jungen Leuten«. Die Autoritäten dagegen seien ein Totalausfall. Aguilar kann bis heute nicht glauben, dass es keine Warnungen gab, obwohl der staatliche Wetterdienst »Aemet« schon Tage zuvor vor »sintflutartigen Regenfällen« gewarnt hatte.

Als die zuständige Regionalregierung Valencias unter Carlos Mazón am Katastrophentag nach 20 Uhr eine SMS-Warnung auf die Handys schickte, stand nicht nur Catarroja längst unter Wasser. »Erst gegen 20.30 Uhr kam die SMS an, als die Flutwelle schon bis zu unserem Balkon im ersten Stock reichte«, empört sich Aguilar. Derweil hatte ihre Familie längst neun Frauen aus der Apotheke unter ihrer Wohnung über »zusammengeknüpfte Bettlaken« gerettet und danach vier Frauen, die aus einer angrenzenden Zahnklinik angeschwemmt wurden. »Sie hatten sich stundenlang an der Apothekentür festgekrallt«, berichtet sie. »Schrecklich« sei das gewesen.

Der junge Anwalt Joaquín Rios-Capapé ist als Freiwilliger nach Caterroja gekommen. Mit Freunden aus Valencia ist er aktiv geworden. Sie hatten Geld zusammengelegt und mit zusätzlichen Spenden Dampfstrahler gekauft. Seither helfen sie täglich, wo sie gebraucht werden. »Wir müssen so schnell wie möglich zur Normalität zurückfinden«, erklärt er. Das Wasser hätte nicht kontrolliert werden können, wie bei den Fluten 1957 oder 1982, zudem sei die Prävention schlecht gewesen. Mit rechtzeitigen Warnungen hätten viele Tote verhindert werden können, glaubt auch er. Die Regionalregierung ließ aber 12 Stunden verstreichen, um Warnhinweise zu verschicken. Der Wetterdienst hatte bereits am Morgen Alarmstufe Rot für Valencia gegeben hatte.

»Wir müssen zum Leben zurückfinden und dürfen uns nicht vom Schlamm begraben lassen.«

Elena

»Wieso wurden wir um 14 Uhr von der Gemeinde aufgefordert, die Kinder aus den Schulen zu holen, aber alle Geschäfte blieben offen?«, fragt sich der Hilfskoordinator Magraner. »Verheerend« nennt er das Vorgehen der lokalen, regionalen und nationalen Verantwortlichen. »Den ersten Lokalpolizisten haben wir in unserer Straße sechs Tage nach der Flut gesichtet.« Mit Feuerwehrleuten müsse er aber dauernd zu den Polizeisperren fahren, damit sie Hilfslieferungen wie warmes Essen durchlassen.

Der Anwalt Rios-Capapé war am Wochenende nach der Flut auf der Großdemonstration, um zusammen mit 130 000 Menschen den Rücktritt der Regionalregierung zu fordern. Am kommenden Samstag will er dafür erneut auf die Straße gehen. Denn die Kritik am Krisenmanagement ebbt nicht ab. Die Proteste kämen nicht zum richtigen Augenblick, meint dagegen der Hilfskoordinator Magraner, der zunächst alle Kraft dafür einsetzen will, um schnell zur Normalität zurückzukehren. Dann könne man politische Konsequenzen fordern. Er befürchtet ein ökonomisches Desaster. »Rechnungen laufen weiter, Hypotheken müssen bezahlt werden.« Wenn der Wiederaufbau nicht schnell anläuft, seien die Folgen fatal.

An einen Rücktritt denkt der heftig in die Kritik geratene Regionalpräsident Mazón bislang nicht. Nach anfänglichen Vorwürfen auch aus den Reihen seiner rechten Volkspartei (PP) stützt sie ihn nun und macht die spanische Regierung für das schlechte Katastrophenmanagement verantwortlich. Dabei lagen die Kompetenzen ganz in Mazóns Händen. Unklar ist bis heute, warum er gegen 13 Uhr sogar Entwarnung gab und erklärte, das Unwetter werde um 18 Uhr abziehen. Lange war auch nicht bekannt, wo er sich in den tragischen Stunden befand. Erst kürzlich räumte er ein, mit einer Journalistin drei Stunden gegessen zu haben, statt im Krisenstab lebensrettende Entscheidungen zu treffen, wo er erst gegen 19.30 Uhr eintraf. Zu dem Zeitpunkt war Catarroja längst überflutet.

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Als Bauernopfer hat er am Montag seine bisherige Ministerin für Innovation und Tourismus, Nuria Montes, entlassen. Sie hatte Anfang November Familien den Zugang zu einer provisorisch eingerichteten Leichenhalle auf dem Messegelände in Valencia mit den Worten verwehrt: »Hier wird den Angehörigen der Zugang zu dem Bereich, in dem wir alle Verstorbenen aufbahren, nicht erlaubt sein. Sie müssen also auf einen Anruf des Gerichts und die Zustellung der entsprechenden Unterlagen warten.« Ihr wurde vorgeworfen, keine Empathie mit Opfern und Angehörigen der Katastrophe zu haben.

Regionalpräsident Mazón hatte sogar die Hilfe des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez abgelehnt und behauptete, alles sei unter Kontrolle. Das ist allerdings bis heute nicht der Fall. Dass Sánchez nicht den Notstand erklärte, um Mazón das Steuer aus der Hand zu nehmen, schürt Wut auch gegen seine Regierung im Katastrophengebiet. Sánchez hätte dann massiv Militär entsenden können, statt zu warten, dass Mazón die Hilfe tröpfchenweise beantragt. Offenbar traut er sich nicht zu einem solchen Schritt, oder will sich in einer ausweglosen Situation die Finger nicht verbrennen. Fast scheint es, als scheue er die Verantwortung.

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