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Stefan Raab: Humor auf Kosten Schwächerer

Stefan Raab hat sich aufgeschwungen, den ESC zu retten. Ob das mit seinem anachronistischen Verständnis von Entertainment funktioniert, ist fraglich

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 6 Min.
In seinem Imperium ist Stefan Raab der »King of Kotelett«, und die Untergebenen führt er am Nasenring durch die Manege wie hier beim »TV Total Turmspringen« im Jahr 2004.
In seinem Imperium ist Stefan Raab der »King of Kotelett«, und die Untergebenen führt er am Nasenring durch die Manege wie hier beim »TV Total Turmspringen« im Jahr 2004.

Der Humor der 90er Jahre war grausam. Bully Herbigs Show »Bullyparade« hatte großen Erfolg mit Sketchen, welche die Figuren der Winnetou-Filme und des Raumschiffs Enterprise als Klischeeschwule Witzfiguren präsentierte. Und auch Bastian Pastewka hatte als dümmliche Schwulenparodie Brisko Schneider in der »Wochenshow« großen Erfolg.

Comedians wie Erkan und Stefan fanden es lustig, türkischstämmige Jugendliche als dümmliche Trottel darzustellen und ihren Slang zu imitieren. Christian Ulmen überfiel für »MTV-Alarm« in deutschen Fußgängerzonen und auf Festivals nichts ahnende Menschen, um sie zu verarschen. Und Harald Schmidt haute in seiner Show seinen Gästen Unverschämtheiten um die Ohren, dass es nur so schepperte. Das Herumtrampeln auf Minderheiten, überrumpelten Showgästen oder einfach nur auf Passanten war also angesagt.

Bloßstellen war ein Quotenhit. Die 70er Jahre waren in, vielleicht auch, weil im neuen Privatfernsehen nachts erstmals die etwas angestaubten Sexfilme dieses Jahrzehnts aus der Lederhose jodelten. Der Tübinger Sänger Dieter Thomas Kuhn versuchte – natürlich ironisch – den deutschen Schlager wiederzubeleben, brachte aber nur Zombie-Party-Versionen der Originale hervor. Der Neunzigerjahre-Humor war dagegen eine große Befreiung. Endlich konnte einfach alles gesagt werden! Absolut alles, was Mama, Papa und der Bayerische Rundfunk bisher verboten hatten. Und genau deshalb funktionierte er auch so gut.

Aber es war auch eine Entfesselung dessen, was sagbar wurde. Zunächst noch unter dem Deckmantel, es sei Spaß. Aber als es in den 90er Jahren ersten Protest der Political-Correctness-Bewegung (PC) gab, da wurde aus Spaß ganz schnell Ernst: »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!«, war die Parole der Stunde. Der grausame Humor der 90er hat vor allem deshalb so gut funktioniert, weil er Dinge aussprach, die vorher zum Glück nur am Stammtisch der Kriegsveteranen sagbar waren. Was da als junge, frische und neue Freiheit daherkam, war im Kern ein tief konservativer Humor, der eine altbackene Normalität spaßhaft und deshalb umso wirkungsvoller verteidigte. Und es ist diese Normalität, die heute ganz im Ernst gegen »Wokeness« verteidigt wird.

Und dann war da natürlich noch Stefan Raab, der alle aufgezählten Grausamkeiten in seinen Shows »Vivasion«, »TV Total« und »Schlag den Raab« zusammenfasste. Ein selbstgefällig dauergrinsender Typ, dessen Humor eine Mischung aus Arroganz, Überwältigung und bedingungsloser Selbstdarstellung auf Kosten Schwächerer war.

Irgendwann in den 90er Jahren saß der ziemlich abgewrackte Schlagersänger Rex Gildo neben Stefan Raab in dessen Show »Vivasion« im damaligen Musikfernsehen. Wie alle Gäste bei »Vivasion« musste er auf einem kleinen Hockerchen sitzen, von dem aus Raab auf ihn herunterschauen konnte. Gegen Ende der Sendung holte Raab die CD mit Rex Gildos neuem Album heraus, stand auf, steckte sich die CD vorne in die Hose, schwang die Hüften und stöhnte. Gildo bemerkte nebenbei, dass da vorne ja ganz schön viel Platz für die CD sei, vielleicht, um Raab ein paar seiner gemeinen Bemerkungen heimzuzahlen. Kaum war die Bemerkung ausgesprochen, erlosch Raabs selbstgefälliges Dauergrinsen und wich einem Moment lang echter Verärgerung. Da hatte einer seinen heterosexuellen Machismo infrage gestellt!

Er starrte Gildo an und ein Vernichtungsschlag bahnte sich an. »Wenn ich die CD dahin gesteckt hätte, wo sie hingehört«, blaffte er, »dann wäre das hier ziemlich ekelhaft geworden.« Rex Gildo war angesichts dieser unverhohlenen Verachtung sprachlos. Ein Skandal war das damals nicht. War ja nur Spaß. Die Ironie der 90er Jahre lag Gildo nicht, er nahm seine Kunst ernst. Aber Schlager ernst zu nehmen, war im Dieter-Thomas-Kuhn-Klima fast unmöglich geworden. Außerdem versuchte er sorgfältig seine Homosexualität zu verbergen. 1999 starb er. Einsam und alleine.

Stefan Raabs Homophobie ist übrigens legendär. Für »Raab in Gefahr« besuchte er ein schwul-lesbisches Fußballturnier, um »Witze« darüber zu machen. Er haute einen homophoben »Knaller« nach dem anderen raus. Unter anderem fragte er zwei am Spielfeldrand stehende Sanitäter, ob die Spieler sich denn eine »Rosettenzerrung« zugezogen hätten.

Leider ist Raab jetzt mit seiner RTL+-Show »Du kriegst hier nicht die Million« zurück. Eine aufgemotzte Kopie seiner alten Shows. Aber der 90er-Jahre-Humor kommt nicht mehr gut an. Die Zuschauerzahlen sinken. Raabs zweites Standbein soll deshalb jetzt die Rückkehr zum Eurovision Song Contest sein. Raabs Engagement für den ESC hatte in den 90ern mit seinem penetranten Mobbing des damals allgegenwärtigen ESC-Komponisten Ralph Siegel begonnen.

Siegel hatte für zahlreiche ESC-Künstler Songs geschrieben, unter anderem auch Nicoles Siegertitel »Ein bisschen Frieden« von 1982. Aber in den 90er Jahren wollte auch diesem Schlagerhelden nichts mehr so recht gelingen. 1998 produzierte und komponierte Raab für die Schlagerkuriosität Guildo Horn das Lied »Guildo hat euch lieb«. Es reichte für den 7. Platz. Im Jahr 2000 machte Raab selber mit. Sein Song hieß »Wadde hadde dudde da?«, und irgendwie traf er mit diesem Blödelzeug wohl den Nerv der Zeit. Er kam auf Platz 5. Und 2010 gewann Raabs Geschöpf Lena Meyer-Landrut mit dem Stampf-Song »Satellite«.

Zusammen mit der ARD und seinem Haussender RTL will er an diese glorreichen Zeiten anknüpfen. Aber der ESC ist nicht mehr das, was er 2010 war. Der norwegische Teilnehmer Alexander Rybak bezeichnete den ESC schon 2009 als »größte Gay Pride Parade der Welt«. 1998 hatte mit der Israelin Dana International eine Transperson gewonnen und Raab mit Guildo Horn auf die Plätze verwiesen. 2014 gewann die Österreicherin Conchita Wurst und 2018 die Sängerin Netta. Und den letzten Wettbewerb entschied der nonbinäre Schweizer Nemo für sich. Dazu kommt, dass der ESC zunehmend politisiert wird, obwohl das gemäß seiner Statuten ausdrücklich nicht so sein sollte. Der ESC 2024 in Malmö spiegelte die europäische und weltweite zerrissene Haltung zum Krieg zwischen Israel und der Hamas.

»Chefsache ESC 2025 – Wer singt für Deutschland?« ist der selbstverliebte Titel der Show, mit der die ARD, RTL und Stefan Raab nach einem Teilnehmer suchen. Dreimal darf man raten, wer hier wohl mit »Chef« gemeint ist. »Ziel der Zusammenarbeit ist es, dem deutschen ESC-Vorentscheid wieder mehr Kraft zu verleihen«, heißt es in der offiziellen Verlautbarung des ESC. Ob Raab diese Kraft ist, wird sich zeigen. Vielleicht ist er aber auch der neue Ralph Siegel, der genau wie Raab jetzt, damals einfach nicht aufhören wollte, obwohl seine Songs schlicht aus der Zeit gefallen waren.

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