Gewaltbereite Jugendkultur: Jung, vernetzt, Neonazi

Jeannine Löffler vom Berliner Register in Treptow-Köpenick über rechtsextreme Jugendliche in Ostberlin.

Rechtsextremer unweit der Parade zum Christopher Street Day (CSD).
Rechtsextremer unweit der Parade zum Christopher Street Day (CSD).

Auf einer Antifa-Demo im Oktober in Marzahn hieß es, man wolle »den Faschos nicht das Spielfeld im Osten überlassen«. Vor allem junge Neonazis mobilisierten dagegen. Haben Rechtsextreme in Ostberlin wieder mehr Einfluss?

Ich würde sagen, wir sind auf dem Weg dorthin. Wir haben in den Kiezen wieder vermehrt Jugendliche, die sich in Gruppen treffen, und dann kommt es vermehrt zu Gewalt. Und sie treten mittlerweile schon sehr selbstbewusst auf, ja.

Sehen Sie eine Korrelation zwischen dem Erstarken der AfD in bestimmten Kiezen und der Präsenz dieser jugendlichen Gruppen?

Das würde ich nicht so herunterbrechen, sondern in einem größeren Zusammenhang sehen. Ich glaube, dass es ein gesellschaftliches Klima ist, das dazu beiträgt. Wir haben einen Rechtsruck und Jugendliche merken, dass es völlig in Ordnung ist, sich so zu äußern und mittlerweile auch den eigenen politischen Überzeugungen Gewalt folgen zu lassen. Es gibt diese ganzen Kampfsporttrainings, und auf Tiktok organisieren sie sich, um mit Gewalt die eigenen Ideale durchzusetzen. Wo diese Ideologie herkommt, diese Normalisierung von Queerfeindlichkeit und Rassismus, das ist eine gesellschaftliche Frage.

Interview

Jeannine Löffler koordiniert das Berliner Register in Treptow-Köpenick, das Fälle von Diskriminierung und extrem rechten Aktivitäten dokumentiert.

Gibt es spezifische Entwicklungen in Berlin, die dazu beitragen?

Das Auftreten von rechten Jugendgruppen passiert vor allem in den Ostbezirken, wir sehen viel Propaganda. In Treptow-Köpenick ist auch die Zahl der Übergriffe gestiegen. Es handelt sich vor allem um Angriffe auf politische Gegner*innen. Das heißt: öffentlich erkennbare Antifaschist*innen. Dann haben wir queerfeindliche Kampagnen. Da kommt gerade viel zusammen, von Leuten aus radikalfeministischen Kontexten, also dem kleinen transfeindlichen Teil der Frauenbewegung, bis hin zu rechten Akteuren, bis hin zu Neonazis. Als queer erkennbare Personen werden in diesen Situationen oft angesprochen, bevor sie verprügelt werden. Das passiert vor allem in den Ostbezirken. Ich würde sagen, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf sind Schwerpunkte. Bei DJV (»Deutsche Jugend voran«) und »Jung und Stark« das sind die beiden Jugendgruppen, die sich gerade entwickeln sehen wir, dass sie in Berlin nicht an die Jugendorganisation der »Heimat« (früher NPD) angedockt sind, so wie in anderen Bundesländern. Doch gerade bei der erwähnten Demonstration in Marzahn hat man auch Akteure gesehen, die schon sehr lange aus alten Strukturen bekannt sind, die der NPD oder freien Kameradschaften zugeordnet werden können.

Gibt es eine Vernetzung zwischen den Älteren und den jungen Gruppen?

Nein, das sah auf den Bildern nicht so aus. Das wirkte eher so: »Wir sind da, wir laufen mit.« Aber wir konnten keinen regen Austausch erkennen.

Wie sind die Jugendlichen in Treptow-Köpenick organisiert, wo Sie zuständig sind?

Wir steuern auf eine Verdopplung der Vorfälle zu. Das ist nicht in allen Bezirken so, das ist ein krasser Ausreißer. Aber ich hatte letztes Jahr meinen Höchststand mit knapp 450 dokumentierten Meldungen und bin jetzt bereits bei 850 Fällen.

Hat das spezifische Gründe?

Es braucht etwas Zeit, das einzuordnen. Aber das fing schon im Februar an, als es hieß, hier sind Jugendgruppen in unseren Jugendclubs, die machen Probleme mit rassistischen Gesängen oder Pöbeleien. Das zog sich das ganze Jahr durch. Ich bin mir noch nicht sicher, ob die Leute organisiert sind oder es einfach Freundesgruppen sind, die wahnsinnig viel Propaganda produzieren: also bestimmte Schriftzüge, Zahlencodes, Keltenkreuze. Das ist krass angestiegen. Aber auch, dass sie übergriffig sind, hat zugenommen. Auf einem Workshop während einer Jugend-Demokratiekonferenz zum Thema »Extreme Rechte« hatte ich um die 25 Schüler*innen, die mir genau das auch bestätigt haben: dass innerhalb des letzten Schuljahres Leute, die vorher schon unangenehm waren, nun massiv aufgedreht haben.

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Wie viele aktive, organisierte rechtsextreme Jugendliche gibt es in Berlin? Noch muss überregional mobilisiert werden, um viele Teilnehmer auf Demos zu bringen.

Ich glaube, der Gedanke, der hinter der Frage steht, ist überholt. Klar haben wir noch alte Strukturen wie beim III. Weg: in sich geschlossen, gut organisiert. Sie unterscheiden sich aber meiner Beobachtung nach stark von diesen Jugendgruppen. Bei denen gibt es einen Kern von Menschen, die man öfter sieht. Aber das sind völlig fluide Gruppen. Wir reden wirklich von Jugendlichen und dem, was Jugendliche tun: Sie sind in der Pubertät, saufen, nehmen Drogen. Auch die Herangehensweise ist anders. Viel passiert über soziale Medien wie Instagram oder Tiktok. Wir haben lauter individuelle Profile, die anheizen. Die ploppen immer wieder auf und sind wieder weg. Deshalb ist es schwierig, das als geschlossene Bewegung zu beschreiben. Hinzu kommt, dass es Leute gibt, die übergriffig werden und Antifaschist*innen angreifen, aber nicht auf Demos gehen, weil sie keinen Bezug dazu haben und sagen: Ich mache lieber Kampfsport.

Das heißt, im Gegensatz zu den 90ern und 2000ern haben wir statt klassisch hierarchisch organisierten Strukturen eine digitalisierte Jugendkultur?

Es gibt natürlich wie bei DJV immer noch einen festen Kern von Leuten, die Dinge organisieren. Aber gerade was Gewalt und Bedrohungssituationen angeht, ist das ziemlich fluide. So einfach ist das nicht mehr.

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