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Heidenheim wackelt vor dem größten Spiel der Klubgeschichte
Ausgerechnet vor dem Duell mit dem FC Chelsea im Europapokal schwächeln die Heidenheimer
Ein bisschen Selbstironie gehört auf der Ostalb zum guten Ton, und deshalb haben die Heidenheimer vorm größten Spiel ihrer Vereinsgeschichte schon gewitzelt, dass manch ein Profi des Weltklubs FC Chelsea gar nicht wissen dürfte, wo sich dieses Heidenheim mit seinem 15 000 Zuschauer fassenden Stadion eigentlich auf der Landkarte befindet. Tatsächlich kommt es dort an diesem Donnerstag sogar zu einem Spitzenspiel der Conference League. Der Tabellensechste empfängt den Ersten, beide haben neun Punkte aus den ersten drei Spielen gesammelt, die Londoner verfügen über die bessere Tordifferenz.
Der 1. FC Heidenheim fordert den FC Chelsea im Europapokal heraus: Was wie ein Scherz klingt, wird nun Realität. Man werde das wohl erst richtig realisieren, wenn es soweit ist, sagte der Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald vor dem Spiel. Auch Trainer Frank Schmidt, mit seinen 17 Amtsjahren eine Ausnahmeerscheinung im Profifußball, bezeichnete allein das Erreichen der Conference League als »unglaublich«. Nun kommt es dort zum Vergleich völlig unterschiedlicher Welten, zweier Vereine und Teams, die auf ungewohnten Pfaden in diesen Wettbewerb geraten sind: Heidenheim als Bundesligaaufsteiger, Chelsea als sechsmaliger englischer Meister und zweimaliger Champions-League-Sieger als gefühlter Absteiger.
Die Kontraste verdeutlicht auch der Blick auf die Kader. Die kickende Belegschaft der Londoner wird auf einen Marktwert von 963 Millionen Euro geschätzt, beim FCH sind es 63 Millionen Euro. Und während Chelsea mit seinem weltweiten Netzwerk einen regen Handel mit Spielern aus aller Herren Länder betreibt, fahnden bei Heidenheim ein Vater und sein Sohn nach Verstärkungen. Peter Baamann und sein Sohn Dennis suchen nebenberuflich von Freitag bis Sonntag hauptsächlich in der zweiten und dritten Liga nach deutschsprachigen Spielern. Unterstützt werden die beiden Heidenheimer Scouts seit Kurzem noch von einem Studenten.
Auch das ist Teil dieser beeindruckenden Heidenheimer Erfolgsstory, die davon erzählt, wie sich ein Verein und der Mittelstand der Region zusammengetan haben und Schritt für Schritt nach oben gekommen sind, die familiäre Struktur aber bewahrt haben. Als Sanwald vor 29 Jahren in der Landesliga die Abteilungsleitung übernahm, befand sich hinter der heutigen Haupttribüne ein Streichelzoo mit Schafen und Ziegen. Und als Sanwald den Verteidiger und Ex-Profi Schmidt vor rund zwei Jahrzehnten in die Heimat zurückholte, kickte Heidenheim in der Verbandsliga, ehe es mit Kapitän Schmidt in die Oberliga aufstieg. 2007 übernahm Schmidt das Traineramt, über die Regionalliga folgten weitere Aufstiege in die dritte Liga (2009), zweite Liga (2014) und Bundesliga (2023). Und jetzt also sogar der Europapokal.
Das historische Highlight gegen Chelsea fällt allerdings in eine schwierige Phase. In der Bundesliga haben die Heidenheimer aus den vergangenen sechs Spielen nur einen Punkt geholt und sind bis auf Platz 15 abgerutscht. Zudem schieden sie bei Zweitligist Hertha BSC aus dem DFB-Pokal aus. Wirklich schlecht habe man dabei nie gespielt, findet Kevin Müller, der bereits seit 2015 Heidenheims Tor hütet und damit der dienstälteste Profi im Kader ist, »aber irgendwie fehlt so ein bisschen was«.
Man sei »verwöhnt gewesen in den letzten Jahren, weil es gefühlt immer nur in eine Richtung ging. Und jeder denkt, es geht einfach so weiter. Tut es nicht«, sagte Kulttrainer Schmidt jüngst. Doch für ihn ist das nur ein noch größerer Ansporn. Er formulierte es so: »Der Wind bläst momentan mehr von vorne als in den letzten Jahren von hinten. Aber diese Herausforderung, die liebe ich.«
Von Überhöhungen hält Schmidt sowieso nichts, weshalb er sachlich auf das größte Spiel der Vereinsgeschichte vorausblickt. Der 50-Jährige erwartet gegen Chelsea ein schweres Spiel, schließlich seien die Londoner »eine top besetzte Mannschaft, die eine hohe Qualität hat«. Aber, sagte Schmidt, das Spiel sei »auch eine Chance, wieder die Vorzeichen ein Stück weit in die andere Richtung zu drehen. Und die werden wir versuchen zu nutzen«.
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