Brandenburgs Grüne: Trampolin ohne Schwung nach oben

Parteitag beklagt Niederlage bei Landtagswahl und nominiert Außenministerin Baerbock für die Bundestagswahl

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Gescheitert: Spitzenkandiatin Antje Töpfer (l.) und die Landesvorsitzende Hanna Große Holtrup
Gescheitert: Spitzenkandiatin Antje Töpfer (l.) und die Landesvorsitzende Hanna Große Holtrup

Brandenburgs Grüne gehen mit Annalena Baerbock als Spitzenkandidatin in die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar. Sie nominieren die Außenministerin am Samstag bei einer Landesdelegiertenkonferenz in der Stadthalle von Cottbus. Die 43-Jährige schwört ihre Partei auf »bedingungslose« Unterstützung der Ukraine im Krieg mit Russland ein und auf eine weitere Aufrüstung (»Die Zeitenwende gilt jeden Tag«). Bei vier Enthaltungen erhält Baerbock 120 Stimmen und sieben Gegenstimmen. Erst seit 2021 ist sie Ministerin, aber schon seit 2013 Bundestagsabgeordnete. Sie möchte gern Außenministerin bleiben und ihr Bundestagsmandat wieder nicht abgeben – trotz der bei den Grünen früher selbstverständlichen Trennung von Amt und Mandat.

Wenn Baerbock Außenministerin bleibt, dann nach derzeitigem Stand wohl unter einem neuen Kanzler Friedrich Merz (CDU). Sie mache Politik immer mit dem Herzen in ihrer Heimat Potsdam, beteuert die 43-Jährige. Dort lebt sie trotz kürzlich erfolgter Trennung von ihrem Mann weiter gemeinsam mit ihm und ihren Kindern unter einem Dach. Geboren ist Baerbock allerdings in Hannover und damit ein Westimport wie so viele Grüne im Bundesland.

Kaum eine Chance mit Listenplatz zwei

Immerhin hat Michael Kellner eine Ostbiografie, Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssektretär bei Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Für Platz zwei auf der Landesliste der Grünen hat Kellner anders als Baerbock einen Mitbewerber – den Hochschullehrer Erwin Keeve, Fachgebiet Medizintechnik. Keeve hat seinen Mitgliedsantrag gerade erst eingereicht, ist formal noch gar kein Parteimitglied, wie er sagt. Aufgewachsen in armen Verhältnisse in einem Bauerndorf im Münsterland – die Mutter starb, als Keeve vier Jahre alt war –, wollte ihn sein Vater einst abhalten, eine sichere Stellung bei der Bundesbahn für ein Studium aufzugeben. Professor Keeve vermeint, er könne seiner Herkunft wegen die Sprache der einfachen Leute sprechen.

Damit wäre Keeve Gold wert für die Grünen, die am Samstag beschließen, besser bei Menschen mit Berufsausbildung ankommen zu wollen und nicht nur bei Studierten. Doch Staatssekretär Kellner setzt sich nach einer ausgefeilten politischen Rede mit 112 zu 10 Stimmen gegen den eher bedächtigen Professor Keeve durch.

Dass auf Listenplatz drei Andrea Lübcke kommt, ist kaum der Erwähnung wert. Denn genauso, wie die 45-Jährige am 22. September nicht in den Landtag gelangte, wird sie nicht in den Bundestag einziehen. Nachdem Brandenburgs Grüne jahrzehntelang immer nur eine Bundestagsabgeordnete stellten, gelang ihnen 2021, worauf sie lange vergeblich hofften: Das Ergebnis reichte endlich für zwei Abgeordnete. Nun scheint es damit schon wieder vorbei zu sein.

Zurück in der Bedeutungslosigkeit

Der Absturz von 10,7 auf 4,1 Prozent bei der Landtagswahl im September war ein Rückfall in die landespolitische Bedeutungslosigkeit der Jahre 1994 bis 2009. Die Ex-Europaabgeordnete Ska Keller war schon bei den Grünen, als diese in Brandenburg weniger als 500 Mitglieder zählten und eine außerparlamentarische Opposition waren, die wenig Gehör fand. Zuletzt stieg die Mitgliederzahl in wenigen Wochen von 3000 auf 3300. »Wir werden lauter sein als je zuvor. Wir werden hartnäckiger sein als je zuvor«, kündigt die Landesvorsitzende Hanna Große Holtrup an, die nicht mit Durchhalteparolen geizt.

Nüchterner beurteilt Ska Keller die Lage: »Vieles, woran wir uns in den letzten 15 Jahren gewöhnt haben, das gibt es jetzt nicht mehr.« Sie nennt da die Wahlkreisbüros der Landtagsabgeordneten. Es werden auch die großen Beiträge fehlen, die von den Ministern und Abgeordneten an die Partei überwiesen wurden. Der Landesverband muss sparen und bereitet sich mit einer Satzungsänderung darauf vor. Künftig wird es möglich sein, mit einer Landesdelegiertenkonferenz pro Jahr auszukommen und so bei der Saalmiete zu sparen.

In den Landesvorstand nachgewählt wird als Schatzmeister der junge Maximilian Kowol. Er möchte sich im März bei der regulären Vorstandswahl wieder um diesen Posten bemühen. Alle übrigen Vorstandsmitglieder wollen auf eine weitere Amtperiode verzichten. Das ist eine Konsequenz aus der krachenden Niederlage bei der Landtagswahl. Die Ursachenforschung wird jedoch verschoben. Zwar möchte der Delegierte Wolfgang Grassl nach wie vor wissen, ob es neben den bundespolitischen Begleitumständen auch selbstverschuldete Gründe für das Desaster gab. Zwei dazu gedachte Dringlichkeitsanträge zieht er allerdings zurück. »Es ist jetzt nicht die Zeit für selbstreflexive Prozesse«, begründet er das. Vordringlich ist nun der Bundestagswahlkampf.

Der Bundesvorsitzende Felix Banaszak redet seinen Brandenburger Parteifreunden in Cottbus ein, sie hätten nichts falsch gemacht. Die Bundespartei hätte ihnen Rückenwind geben müssen. Ex-Landtagsfraktionschef Benjamin Raschke tröstet mit statistischen Daten: Dass 75 Prozent der SPD-Wähler die SPD nur wählten, um einen Sieg der AfD zu verhindern.

Unfähig zur Selbstkritik

Bezeichnend ist, dass sich die gescheiterte Spitzenkandidatin Antje Töpfer im Tagungspräsidium als »Antje aus dem Kreisverband Havelland« vorstellt – als wüssten nicht einmal die Delegierten der eigenen Partei, dass sie die Staatssekretärin aus dem Sozialministerium ist, die das Gesicht der Grünen bei der Landtagswahl sein sollte. Sie war eine ausgesprochen blasse, denkbar ungeeignete Spitzenkandidatin, und das war bereits bei ihrer Nominierung nicht zu übersehen. Die Grünen geben nicht zu, dass sie in der Landesregierung mit SPD und CDU keineswegs so viel erreicht haben, wie sie sich einbilden.

Stattdessen gesteht Ex-Sozialministerin Ursula Nonnemacher nur: »Vom taktischen Wählen habe ich die Schnauze voll.« Damit habe man Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) »den roten Teppich ausgerollt«. Der machte wie schon 2019 mit der Ansage Wahlkampf, man müsse unbedingt die SPD wählen, um die AfD klein zu halten. Da machte Nonnemacher nicht mit. Sie habe wie immer mit beiden Stimmen die Grünen gewählt, sagt sie.

Erdmute Scheufele, Kreisvorsitzende in Oder-Spree, spricht ernüchtert von der »Taktisch-Wählen-Kacke«. Sie selbst sei herumgelaufen und habe dafür geworben, die Erststimme der SPD zu schenken, sagt sie. Trotzdem habe die AfD den Wahlkreis gewonnen.

Für helle Aufregung sorgt bei den Grünen auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit seinen Ideen, keine Waffen mehr in die Ukraine zu liefern und die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. Das BSW stehe für alles, was die Grünen ablehnen, sagt die Landesvorsitzende Alexandra Pichl. Ihre Stichworte lauten »Russlandfreundlichkeit« und »fossile Anhängigkeit«. Pichl verlangt: »Brandenburg darf niemals zum Sprachrohr russischer Interessen werden.«

Mut machen möchte der in der Sowjetunion geborene Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky. Er verheddert sich aber in Beschreibungen des Trampolinspringens, für das sich Außenministerin Baerbock begeistert. Was will er damit sagen? Dass die Grünen tief durchhängen müssen, um künftig wieder große Sprünge machen zu können? Irgendwas in der Art, aber es geht daneben.

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