Frankreich: Misstrauen von rechts und links

In Paris steht die Regierung von Michel Barnier nach nur drei Monaten vor dem Sturz

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Frankreichs Regierungschef Michel Barnier ist an den Haushaltsverhandlungen gescheitert
Frankreichs Regierungschef Michel Barnier ist an den Haushaltsverhandlungen gescheitert

Die Regierung von Michel Barnier ist am Ende. Um den Haushalt der Sozialversicherung für 2025 trotz fehlender Mehrheit durch das Parlament zu bekommen, griff der französische Premierminister am Montag auf den Ausnahmeparagraphen 49.3 zurück.

Für Barnier bedeutet das, dass er sich automatisch der Vertrauensfrage stellen muss. Unmittelbar nach der Entscheidung brachten sowohl das rechtsextreme Rassemblement National (RN) als auch die Neue Volksfront, das Bündnis der linken Parteien, entsprechende Misstrauensanträge ein. Über die wird am Donnerstag abgestimmt.

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Le Pen will mit den Linken stimmen

Marine Le Pen kündigte an, dass ihr RN nicht nur für den eigenen Misstrauensantrag, sondern auch für den der Volksfront stimmen wird. Zusammen ergibt das etwa 320 Stimmen, während für die Annahme nur die einfache Mehrheit von 289 Stimmen nötig ist. Barniers Regierungszeit wird damit nach gerade einmal drei Monaten beendet sein.

»Wir sind an einem Moment der Wahrheit angekommen, der jeden Einzelnen vor seine Verantwortung stellt«, warnte Michel Barnier vor dem Plenum der Nationalversammlung. »Jetzt ist es an ihnen, den von der Nation gewählten Abgeordneten, zu entscheiden, ob unser Land einen verantwortungsvollen Staatshaushalt bekommt, der für unsere Bürger nötig und nützlich ist, oder ob wir uns in unbekanntes Gelände begeben.«

Barnier hatte auf weitere Duldung durch die Rechte gehofft

Bis zuletzt hatte der Premier versucht, die Rechtsextremen zur Fortsetzung ihrer Taktik der »Duldung« der Regierung zu bewegen, indem er auf einzelne Forderungen von RN einging und Abstriche an den geplanten Einsparungen machte. Doch Le Pen, die die Situation offensichtlich dafür nutzen wollte, sich den Wählern gegenüber als die wahre Verteidigerin der Interessen der einfachen Franzosen zu profilieren, legte immer noch nach.

Zuletzt forderte sie den Verzicht der Regierung auf wesentliche Teile der Rentenreform und verlangte beispielsweise die Senkung des Rentenalters von 64 auf 62 Jahre. Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte der Regierungschef begriffen haben, dass das Feilschen mit Le Pen nur dieser zugutekommt und die instabile Lage der Regierung nur weiter verschlimmert. Mathilde Panot, die Fraktionsvorsitzende der linken Bewegung La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) brachte das auf die Formel: »Barnier hat sich erniedrigen lassen, was zum blamablen Sturz seiner Regierung noch hinzukommt.«

Forderung nach Rücktritt Macrons

Für La France insoumise sitzt der Schuldige der aktuellen Misere im Élysée-Palast. Mit der Auflösung des Parlaments im Juni habe Emmanuel Macron die Krise ausgelöst, die durch die unklaren Mehrheitsverhältnisse nach der Neuwahl noch verschärft wurde. Der Präsident müsse deshalb zurücktreten, fordert La France insoumise.

Da die Sozialisten diese Forderung des linken Flügels der Volksfront nicht mittragen wollen und im Interesse der politischen und wirtschaftlichen Stabilität des Landes zu Verhandlungen und Kompromissen bereit sind, entsteht für die Linksallianz eine Spannungssituation, die zu ihrem Zerfall führen kann.

Ausnahmeparagraph beliebtes Mittel französischer Politik

Für Frankreich ergibt sich durch den absehbaren Sturz der Regierung eine neue, ungewohnte Situation. Seit Gründung der Fünften Republik wurde der Ausnahmeparagraf 49.3 mehrere Hundert Mal eingesetzt. Da aber die Regierung die damit verbundenen Misstrauensanträge dank ihrer Mehrheit im Parlament abweisen konnte, blieb dieser politische Hebel fast immer unwirksam. Nur einmal ist es 1962 gelungen, im Zusammenhang mit einer Verfassungsänderung und Wahlreform die Regierung von Georges Pompidou zu stürzen. Allerdings setzte Präsident de Gaulle den Premier umgehend wieder ein.

Wenn jetzt die Regierung Barnier fällt, kommt eine erneute Auflösung des Parlaments mit nachfolgenden Neuwahlen nicht infrage, da dieser Schritt nur im Abstand von einem Jahr möglich ist und zuletzt im Juni dieses Jahres erfolgte.

Neuwahlen sind nicht möglich

Um die Krise zu überwinden, sind aber mehrere andere Szenarien möglich. Der Präsident kann einen neuen Premierminister ernennen und mit der Regierungsbildung beauftragen. Dann müsste die gesamte Aufstellung, Debatte und Abstimmung über den Haushalt 2025 neu aufgenommen werden und am Ende könnte ein erneuter Misstrauensantrag und Sturz der Regierung stehen. Der Präsident kann aber auch Michel Barnier als Chef einer provisorischen Regierung im Amt belassen, und dies bis Juni 2025, wenn er erneut das Parlament auflösen und Neuwahlen anberaumen kann.

Für diese Übergangszeit kann der Präsident aber auch eine neutrale Persönlichkeit als Premier und eine »technische« Regierung mit Fachleuten statt Politikern einsetzen. Die von manchen Persönlichkeiten der rechten oder linken Opposition an die Wand gemalte Gefahr, dass sich in Frankreich ohne klare Regierungsverhältnisse eine Situation wie in den USA ergeben könnte, wenn es durch eine Blockade im Kongress vorübergehend einen »Verwaltungsstillstand« gibt und beispielsweise Beamte kein Gehalt bekommen, ist hier unzutreffend. Die französische Verfassung erlaubt für eine Übergangszeit, den Haushalt des Vorjahres in Kraft zu lassen, einschließlich der Steuereinnahmen sowie der Gehälter und anderer Ausgaben.

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