NS-Zwangsprostitution: Verlorene Stimmen der Königsheide

Neue Ausstellung »Missing Female Stories« erinnert an Bordell-Baracke im Osten Berlins

  • Laura Meng
  • Lesedauer: 5 Min.
Sichtbar machen, was eigentlich nicht mehr zu sehen ist: Künstlerin Birgit Szepanski bei Eröffnung ihrer Ausstellung
Sichtbar machen, was eigentlich nicht mehr zu sehen ist: Künstlerin Birgit Szepanski bei Eröffnung ihrer Ausstellung

Ruhig und idyllisch geht es heute im Treptower Waldstück Königsheide zu. Von den Verbrechen, die sich hier ab 1946 in der sogenannten Bordell-Baracke für Zwangsarbeiterinnen zutrug, fehlt jede Spur. Frauen, die in der Königsheide zur Sexarbeit gezwungen wurden, flüchteten sich nach dem Krieg ins Schweigen. Nie erzählte Geschichten, auf die nun die Künstlerin Birgit Szepanski mit ihrer Ausstellung »Missing Female Stories« im Dokumentationszentrum für NS-Zwangsarbeit aufmerksam machen will.

Im Rahmen einer Gruppenausstellung zur Königsheide im Jahr 2022 ist Szepanski bei der Archivarbeit auf die Baupläne der Bordell-Baracke gestoßen. In dieser Baracke, die während des Dritten Reiches in der Zwangsarbeiter*innensiedlung in der Königsheide errichtet wurde, mussten Frauen, die selbst Zwangsarbeiterinnen waren, sich für ihre männlichen Mitgefangenen prostituieren. Die Zwangsarbeiterinnen stammten häufig aus von Deutschland im Ausland besetzten Gebieten oder waren Menschen, die von den Nationalsozialist*innen als »asozial« eingestuft wurden.

Zwischen den historischen Dauer- und Gastausstellungen gibt Szepanskis künstlerische Aufarbeitung eine neue Perspektive auf das Prinzip der Dokumentation. Im Zentrum der Ausstellung hängt ein großes Rechteck aus dünnen Stoffbahnen von der Decke. Es ist den Umrissen der Baupläne für die Bordell-Baracke nachempfunden. Die Pläne sind die einzigen Spuren des Baus in der Königsheide und auch der einzige »historische« Bestandteil der Ausstellung.

Die Lücke in der Geschichte ist ein wesentlicher Bestandteil der Ausstellung. Fotografien des Stoffrechtecks auf dem Waldboden in der Königsheide symbolisieren, dass dort, wo einst Menschen ausgebeutet wurden, heute nichts mehr zu sehen ist. Trotzdem kann mit Wissen über die damalige Ideologie und mit Berichten von Zeitzeug*innen vergleichbarer Ereignisse ein genaueres Bild von der Bordell-Baracke gezeichnet werden.

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»Die Ursprungsidee zu diesem perfiden System kam durch die Nationalsozialist*innen, die kategorisch darauf geachtet haben, dass ihr arisches Volk geschützt wird«, beschreibt Szepanski die Idee hinter den Bordellen für Zwangsarbeiter*innen. Mit den Bordell-Baracken wollten die Nationalsozialist*innen den Kontakt zwischen nach ihrer Definition »arischen« und »nicht-arischen« Menschen verhindern. Es ging aber nicht darum, für das Vergnügen der Zwangsarbeiter zu sorgen. »Sie haben das so geplant, dass es der Effizienz dient, der Arbeitskraft. Sie gingen davon aus, dass ein Mann, der körperlich befriedigt ist, leistungsstärker ist«, sagt die Künstlerin zu »nd«.

Vor allem aber die weiblichen Perspektiven auf die Ereignisse in der Königsheide fehlen. »Es ist nicht einfach, Namen zu finden. Ich habe nichts gefunden und das zeige ich. Und damit zeige ich eben auch, dass es diese Leerstelle in der Geschichte gibt.«

In diesem besonderen Fall ist der künstlerische Zugang erst mal der einzige, um diese Frauen sichtbar zu machen, erklärt Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit gegenüber »nd«. Die einzigen Befunde aus dieser Zeit, die Baupläne, seien von Täter- und Verwaltungssprache durchzogen. »In den Originaldokumenten war immer nur die Rede von Bordell-Baracken. Es tauchte nicht mal das Wort ›Frauen‹ auf.«

Auch auf der wissenschaftlichen Ebene fehlt es an Material. »Das Thema Bordelle im Kontext zur zivilen Zwangsarbeit ist generell sehr wenig erforscht«, ergänzt Glauning. Bestehende Forschung gäbe es aber zu Wehrmachtsbordellen und Bordellen in Konzentrationslagern.

Ein anderer Aspekt, der den Blick auf die Geschichte beeinflusst, ist die männliche Perspektive. So hätten Männer in historischen Interviews ihre Geschichten gerne geschönt und Beziehungen zu Sexarbeiterinnen oft als sehr intim, fast schon romantisch beschrieben. »Sie haben ihren Schmerz, ihre Sehnsucht in ihre Geschichten imaginiert«, sagt Szepanski.

»In den Konzentrationslagern wurde den Frauen oft versprochen, sie würden aus dem Lager rauskommen, wenn sie sich prostituieren.«

Birgit Szepanski Künstlerin

Auch der Zwangsaspekt geht in diesen Erinnerungen völlig verloren. »Dieser Vorwurf der Freiwilligkeit hat sich eben durchgezogen«, ergänzt Glauning. Darüber, was der Zwang zur Prostitution mit den Frauen gemacht hat, hätten die Betroffenen in der Regel nicht gesprochen. Das erlebte Trauma und die Scham hätten die Frauen, so die Künstlerin, schweigen lassen.

»Die Frauen haben aber auch geschwiegen, weil sie keiner gefragt hat«, merkt Szepanski an. Dazu kam weiter der Vorwurf der Freiwilligkeit, den sich die Frauen möglicherweise auch selbst machten. »In den Konzentrationslagern wurde den Frauen oft versprochen, sie würden aus dem Lager rauskommen, wenn sie sich prostituieren.« Wirkliche Freiwilligkeit sei das nicht gewesen.

Auch wenn die Quellen speziell zu den Bordell-Baracken nur wenige sind, gibt die Dauerausstellung des Dokumentationszentrums für NS-Zwangsarbeit immerhin eine Idee davon, wie das Schicksal der Frauen damals aussah. »Wir wissen, dass es zu Zwangsabtreibungen gekommen ist«, merkt Museumsleiterin Glauning an. Es stand immer an erster Stelle, dass die Frauen so schnell wie möglich wieder mit der Arbeit beginnen. Sollte eine Zwangsarbeiterin ein Kind bekommen, so wurde dieses in der Regel wenige Wochen nach der Geburt in ein sogenanntes Entbindungsheim gebracht, wo es mit hoher Wahrscheinlichkeit verhungerte.

Die fehlenden Spuren zu den Geschichten der Frauen in der Königsheide können natürlich nicht sichtbar gemacht werden. Aus ihrem Leben, ihren Erlebnissen kann nicht erzählt werden. Doch es kann an das erinnert werden, was wir wissen.

Die Ausstellung ist ein erster Schritt, dem Thema Zwangsprostitution Sichtbarkeit zu geben. Gerade sei man im Gespräch mit dem Bezirksbürgermeister, für das Thema auch im öffentlichen Raum Sichtbarkeit zu schaffen. Bei etwa 10 000 Barackenlagern, die es in Berlin für Zwangsarbeiter*innen gab, könnte vielleicht auch noch Raum für neue Geschichten entstehen, sagt Glauning: »Gerade in den Außenbezirken gibt es vielleicht noch die Chance, auf Spuren zu stoßen, weil hier noch nicht alle Standorte überbaut wurden.«

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